Geldpolitik:Die Welt unternimmt ein gewagtes Experiment

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Blick aus dem Fenster auf die wunderschöne Kulisse von Jackson Hole, Wyoming. (Foto: REUTERS)

Die US-Notenbank Fed will die Zinsen so lange bei null halten, bis die Wirtschaft wieder boomt. Eine lockere Geldpolitik ist jetzt keine Ausnahme mehr - sie wird zur Regel.

Kommentar von Markus Zydra

Viele Menschen haben eine feste Vorstellung vom Geld. Sie denken, es müsse erarbeitet werden, und sie finden, dass man Schulden zurückzahlen sollte. Diese deutsche Mentalität hielt nach Ausbruch der Finanzkrise 2009 unter dem Schlagwort "Schwäbische Hausfrau" Einzug in die internationale Politik. Deutschland hielt in Europa schlaue Vorlesungen über die Vorzüge des Sparens und staatlicher Haushaltsdisziplin.

Man sollte sich in diesen Tagen an diese Episode erinnern, um ein Gefühl zu bekommen für das epochale Experiment, das die Welt infolge der Corona-Krise quasi über Nacht gestartet hat. Plötzlich sind Billionen Euro da, wo doch noch kürzlich um Milliarden für Schulen und Digitalisierung gefeilscht wurde. Verständlicherweise hört man jetzt von Bürgern die mit erstauntem Blick vorgetragene Frage: Wo kommt das viele Geld plötzlich her?

Geldpolitik
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Von Markus Zydra

Die einfache Antwort: aus dem Nichts. Die Notenbanken stellen es per Knopfdruck bereit. Das funktioniert so: Die Regierungen der Industriestaaten nehmen Kredite an den Finanzmärkten auf, und die Zentralbanken kaufen diese Schuldscheine dort auf. Das haben sie in den letzten zehn Jahren auch schon getan. Doch jetzt, mit den Billionen zur Bekämpfung der ökonomischen Corona-Folgen, erreicht die Staatsverschuldung eine neue Dimension - und einen Punkt, wo es kein Zurück mehr gibt.

Die amerikanische Notenbank Federal Reserve hat am Donnerstag mit ihrem Strategiewechsel diese neue Epoche zementiert. Die US-Währungshüter wollen ihre Nullzinspolitik so lange fortsetzen, bis Vollbeschäftigung herrscht. Ob die Inflation dabei stark steigt, ob also die Kaufkraft der Menschen sinkt, ist den Währungshütern künftig nicht mehr so wichtig. Auch bei der EZB steht ein ähnlicher Strategiewechsel an - die Bank of Japan macht es schon seit 20 Jahren vor. Die lockere Geldpolitik wird endgültig zur Regel und wird nicht mehr die Ausnahme sein.

Die Währungshüter kommen damit den Politikern zur Hilfe. Eine straffe Geldpolitik, etwa durch höhere Leitzinsen, könnte die zum Teil hoch verschuldeten Industriestaaten in finanzielle Schwierigkeiten bringen, manche womöglich in die Pleite treiben. Also werden die Notenbanken ihre Nullzinspolitik fortsetzen und auch weiter Staatsanleihen kaufen. Die US-Notenbank kauft zusätzlich sogar "Junk-Bonds", also stark ausfallgefährdete Anleihen finanzschwacher Unternehmen, und die japanische Notenbank erwirbt Aktien, um die Börsen zu stützen. Die Notenbanken fungieren inzwischen ziemlich ungeniert als Sammelstelle für die Schuldenberge der Welt.

Vielleicht ist magische Geldvermehrung tatsächlich die beste aller Lösungen

Nun muss man in dieser Entwicklung nicht nur Nachteile sehen. Die Geschichte kennt Fälle, in denen lockere Geldpolitik in die Hyperinflation führte. Manchmal hat die Kooperation zwischen Notenbank und Politik aber auch leidlich funktioniert. Vielleicht ist es ja tatsächlich möglich, dass magische Geldvermehrung die beste aller Lösungen ist. In der Wirtschaftswissenschaft wird auch schon diskutiert, wie die Notenbanken diese Schulden eines Tages einfach streichen könnten, als ob da nie etwas gewesen wäre. Motto: Alles auf null, um neu durchzustarten, denn kaum jemand glaubt, dass die Schuldenberge der Staaten, Unternehmen und Privathaushalte, die nun höher liegen als zum Ausbruch der Finanzkrise, zurückgezahlt werden könnten.

Dennoch: Die globale Marktwirtschaft ist dabei, sich in eine Zentralbankwirtschaft zu wandeln, an deren Ende im schlimmsten Fall hohe Inflation, ein Schuldenschnitt oder gar eine Währungsreform stehen könnten. So unwahrscheinlich diese Szenarien aktuell auch sind. Man sollte sie mitdenken in einer Zeit, in der Geld scheinbar unbegrenzt und kostenfrei vorhanden zu sein scheint.

© SZ vom 29.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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