Süddeutsche Zeitung

USA:Fachleute rätseln über Kurswechsel der Fed

  • Die US-Notenbank Fed hat überraschend eine längere Zinspause angekündigt und schließt selbst eine Zinswende nicht aus.
  • Fachleute rätseln nun, wie es um die Konjunkturaussichten in den Vereinigten Staaten tatsächlich bestellt ist.
  • Fed-Chef Jerome Powell sagt, die US-Wirtschaft sei "in einem guten Zustand". Mit Präsident Trump, der die Notenbank seit Monaten beschimpft, habe die Entscheidung ebenfalls nichts zu tun.

Von Claus Hulverscheidt

Der gemeine Zentralbanker ist in vielerlei Hinsicht das glatte Gegenteil dessen, was Donald Trump ausmacht: Er ist leise und klug, er wägt seine Worte und vermeidet Prahlerei. Entsprechend genau musste hinschauen, wer die kleine Sensation ausfindig machen wollte, die die US-Notenbank Fed am Mittwochabend in ihrer Pressemitteilung versteckt hatte: Man werde in den nächsten Monaten "geduldig" ausloten, welche Schritte in der Zinspolitik vernünftig seien, erklärten die Währungshüter nach der Sitzung ihres federführenden Ausschusses - und das just an jener Stelle im Kommuniqué, an der es noch im Dezember geheißen hatte, man plane für 2019 mit "einigen weiteren Erhöhungen" des Leitsatzes. Trump hätte seinen Twitter-Lesern dieselbe Botschaft wohl weniger filigran, dafür aber umso deutlicher serviert: Schluss mit dem Zinserhöhungswahn!

Tatsächlich hat die Fed in der ersten Ausschusssitzung des Jahres eine Kurskorrektur eingeleitet, die in dieser Schärfe kaum jemand erwartet hatte. Seit Ende 2015 hatte die Notenbank ihren wichtigsten Leitsatz, die Tagesgeldzielspanne, neun Mal in Folge angehoben, um Inflationsgefahren zu begegnen und die 2008 nach der Finanzkrise eingeleitete Nullzinsphase zu überwinden. Für 2019 waren die Währungshüter selbst von mindestens zwei, vielleicht sogar drei weiteren Erhöhungen ausgegangen. Die Leitzinsspanne, die derzeit bei 2,25 bis 2,5 Prozent liegt, hätte damit die Region von rund drei Prozent erreicht, die unter Experten bisher als "neutral" galt - in der die Fed die Wirtschaftsentwicklung also weder aktiv befeuert, noch behindert.

Notenbankchef Jerome Powell sagte vor Journalisten, die Wirtschaftslage in den USA sei prinzipiell weiter "solide". Es gebe aber "Gegenströmungen", die dafür sorgten, dass die Wirtschaft in diesem Jahr wohl nicht so stark wachsen werde wie im letzten. Zu diesen Gegenströmungen zählten die Konjunkturabkühlung in China und Europa, das Brexit-Chaos, die laufenden Handelsstreitigkeiten, höhere Finanzierungskosten für die Unternehmen sowie der jüngste teilweise Stillstand der US-Regierungsgeschäfte. "Die Argumente für weitere Zinserhöhungen haben ein wenig an Schlagkraft verloren", erklärte Powell.

Das Rätsel, das Fachleute nun beschäftigt, lautet: Legt die Fed nur eine Pause ein, oder war die Erhöhung des Leitsatzes Mitte Dezember womöglich gar die letzte im aktuellen Zyklus. Powell wollte diese Frage partout nicht beantworten, sondern erklärte lediglich, alles hänge von den weiteren Konjunktur- und Inflationsdaten ab. Manche Experten schließen nicht einmal mehr aus, dass der nächste Schritt der Fed - vielleicht Anfang 2020 - eine Zinssenkung sein könnte. Es wäre die erste seit 2008.

Sollte der Zinszyklus tatsächlich bereits den Höhepunkt erreicht haben, hätte die Fed bei einem Konjunkturabschwung nur begrenzten Lockerungsspielraum - sie müsste gewissermaßen mit einer halb vollen Waffenkammer auskommen. Das wäre auch deshalb problematisch, weil sie nach Einleitung der Nullzinsphase vor einem Jahrzehnt versichert hatte, dass es gelingen wird, die Leitsätze irgendwann in neutrales Terrain zurückzubefördern. Noch im Herbst hatte Powell erklärt, man sei von diesem Terrain noch "ein ganzes Stück entfernt". Nun heißt es, man habe das "untere Ende" der neutralen Zone bereits erreicht.

"Das einzige, worum wir uns wirklich kümmern, ist das Wohlergehen der Bürger"

Powell hatte an den Börsen schon einige Male für Stirnrunzeln gesorgt, weil er in seinen Reden leicht unterschiedliche Einschätzungen zur Konjunkturentwicklung gab. Auch seine jüngsten Äußerungen sind nicht frei von Widersprüchen: So passt die Aussage, die US-Wirtschaft sei "in einem guten Zustand" nicht so recht zum sehr zurückhaltenden Zinsausblick. Manche Experten bezeichneten das jüngste Fed-Kommuniqué als "Entschuldigunsgschreiben" an die nervösen Finanzmärkte, die Powells Erklärungen entsprechend mit kräftigen Kursgewinnen feierten. Allerdings war die Reaktion der Börsenhändler mindestens ebenso unlogisch: Zwar ist der Verzicht auf Zinserhöhungen für die Märkte stets ein Signal, dass die Inflation im Griff scheint und künftige Kursgewinne nicht schmälern wird. Zugleich aber könnten sie ein Hinweis sein, dass die Konjunkturaussichten weitaus trüber sind als bisher erwartet.

Der Fed-Chef musste sich auch die Frage gefallen lassen, ob sich die Währungshüter mit der Zinspause dem Druck Trumps gebeugt hätten, der die Notenbank seit Monaten beschimpft. Powell, sonst ein höflicher Mensch, reagierte ein wenig gereizt. "Das einzige, worum wir uns wirklich kümmern, ist das Wohlergehen der Bürger", sagte er. Politische Fragen spielten bei den Beschlüssen der Fed keine Rolle. "Wir sind Menschen, wir machen Fehler. Aber wir werden niemals unseren Charakter oder unsere Integrität aufgeben", betonte er.

Powell deutete an, dass die Fed im Falle eines Abschwungs nicht nur die Leitzinsen wieder senken wird, sondern auch ihr laufendes Programm zum Abbau der Bilanzsumme stoppen oder gar umkehren könnte. Die Notenbank hatte nach Ausbruch der Weltfinanzkrise jahrelang Staatsanleihen und hypothekenbesicherte Wertpapiere gekauft, um die Langfristzinssätze zu drücken und Kredite an Unternehmen und Verbraucher damit zu verbilligen. Sie gab für das Projekt, das unter Experten "quantitative Lockerung" - im Englischen: QE - heißt, unvorstellbare 3,6 Billionen Dollar aus und blähte ihre Bilanzsumme damit auf 4,5 Billionen Dollar auf. Der 2017 angelaufene Wiederabbau, der Jahrzehnte dauern wird und als "quantitative Straffung" (QT) bezeichnet wird, wirkt tendenziell zinssteigernd. Powell sagte, die Bereinigung der Bilanzsumme werde so gestaltet, dass sie die Wirtschaftsentwicklung nicht entscheidend belaste. Im Extremfall könnte damit auf QE und QT wieder QE folgen.

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SZ vom 01.02.2019/vwu
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