Süddeutsche Zeitung

Inflation:Die US-Notenbank startet ein gewagtes Experiment

Um die Inflation zu bekämpfen, will die Fed "bald" die Leitzinsen anheben und gleichzeitig ihre aufgeblähten Wertpapierbestände abbauen. Geht die Strategie schief, droht eine Rezession.

Von Claus Hulverscheidt

Man tritt Jerome Powell sicher nicht zu nahe, wenn man konstatiert, dass Zentralbanker für gewöhnlich nicht zu tollkühnen Experimenten neigen. Und doch ist das, was die US-Notenbank Fed und ihr Chef in den kommenden Monaten vorhaben, genau das: ein gewagtes Experiment mit ungewissem Ausgang. Weil die Inflationsrate mit zuletzt sieben Prozent in Sphären schwebt, wie sie das Land seit fast vier Jahrzehnten nicht erlebt hat, sieht sich die Fed nicht nur genötigt, die coronabedingte Nullzinspolitik aufzugeben und ihre Leitsätze schrittweise anzuheben. Sie will vielmehr nach zwei Jahren aktiver Konjunkturstützung auch den Kauf immer neuer Staatsanleihen einstellen und damit beginnen, ihre grotesk aufgeblähten Wertpapierbestände schrittweise wieder abzubauen.

Einen Versuch dieser Dimension hat es in der Geschichte der Notenbank noch nie gegeben. Entsprechend uneins sind die Experten, ob Firmen, Banken, Bürger und Finanzmärkte die Rosskur verkraften, oder ob es zu Konjunktureinbrüchen, Arbeitslosigkeit und Kursstürzen kommen wird. Die Fed, so schrieb Mohamed El-Erian, Chef-Wirtschaftsberater des Allianz-Konzerns, in seiner Kolumne für die Agentur Bloomberg, stoße mit ihren Plänen fürwahr "in unbekannte Gewässer vor".

Am Mittwoch nun setzte der geldpolitische Ausschuss der Notenbank endgültig die Segel für die Fahrt ins Ungewisse. Zwar ließ er den wichtigsten Leitzins, die sogenannte Tagesgeldzielspanne, bei der Routinesitzung in Washington mit null bis 0,25 Prozent unangetastet - aber wohl zum vorerst letzten Mal. Zugleich nämlich hieß es, dass angesichts der Teuerungswelle schon "bald" eine Erhöhung nötig werden dürfte. Damit ist davon auszugehen, dass der Ausschuss den Leitsatz schon beim nächsten Treffen Mitte März um einen Viertel- oder gar einen halben Prozentpunkt anheben wird. Im Schnitt rechnen Experten für dieses Jahr mit vier Erhöhungen auf dann knapp unter oder knapp über ein Prozent.

Die Kehrtwende wird weit über die USA hinaus Folgen für Darlehenszinsen und die Börsenkurse haben - und damit unter anderem für Autokäufer, Bauherrn und Sparer. Powell sagte mit Blick auf den Leitzins, die Fed müsse handeln, weil die Preise mittlerweile auch in Bereichen stiegen, in denen es gar keine pandemiebedingten Probleme gebe. Er wies zugleich Vorbehalte zurück, Zinserhöhungen belasteten den Arbeitsmarkt. Ziel der Fed sei es, den Wirtschaftsaufschwung zu verlängern und damit den Arbeitsmarkt zu stützen. "Und dafür brauchen wir Preisstabilität", sagte er.

Dem Kursfeuerwerk an den Börsen wird die Munition entzogen

Bereits im März will die Fed zudem ihr Programm zum Kauf von Staatsanleihen und hypothekenbesicherten Wertpapieren beenden, mit dem sie lange Zeit Monat für Monat zusätzlich 120 Milliarden Dollar ins Finanzsystem gepumpt und die langfristigen Zinsen niedrig gehalten hatte. Angesichts guter Wachstumsraten und einer Arbeitslosenquote von nur noch 3,9 Prozent ist das aus Sicht der Notenbank nicht mehr erforderlich. In einem zweiten Schritt sollen dann auch auslaufende Anleihen nicht mehr durch neue ersetzt werden, um den über die Jahre auf von fast neun Billionen Dollar (acht Billionen Euro) angewachsenen Wertpapierbestand langsam, aber "deutlich" wieder abzubauen. Damit würde allerdings zugleich den Börsen ein Teil jener Liquidität entzogen, die das Kursfeuerwerk von März 2020 bis Dezember 2021 stets mit neuer Munition versorgt hatte.

Dass die Fed irgendwann damit beginnen würde, die Wertpapierkäufe einzustellen, die Leitzinsen wieder anzuheben und ihre riesigen Depotbestände abzubauen, war allen Marktteilnehmern immer klar gewesen. Dass nun alles gleichzeitig kommt - damit allerdings hatten die meisten wohl nicht gerechnet. Glaubt man Allianz-Berater El-Erian, der einst die Konzerntochter Pimco führte und heute dem Queens College der englischen Universität Cambridge vorsteht, dann hätte sich das Szenario zudem komplett vermeiden lassen: Wäre die Fed bereits im Frühjahr vergangenen Jahres auf die Mahner eingegangen, statt zu behaupten, das Inflationsproblem werde sich schon von alleine lösen, dann müsste sie heute nicht der Entwicklung hinterherhecheln, so der Ökonom. Ihn erinnerten Powell und Kollegen an eine Footballmannschaft, die lange zu wenig getan habe, jetzt kurz vor Spielende zurückliege und daher mit Mann und Maus nach vorne stürmen müsse - auf die Gefahr hin, sich einen Konter einzufangen und das Spiel erst recht zu verlieren.

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