Fed-Chefin Janet Yellen:Das Prinzip Gießkanne wird zum Problem

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Fed-Chefin Janet Yellen im Sommer in New York (Foto: dpa)
  • Die US-Notenbank Fed verschiebt die Zinswende und erhöht den Leitzins vorerst nicht.
  • Tausende Milliarden Dollar hat die Notenbank in die Märkte gepumpt - das wird nun zu einem gigantischen Problem.

Analyse von Claus Hulverscheidt, New York

Es gab Zeiten, da reichte die bloße Erwähnung des Wortes aus, um bei Notenbankern allergische Hautreaktionen auszulösen: Experimente. Zentralbanker, so lautete das ungeschriebene Gesetz, experimentieren nicht, vielmehr verlangt die Sicherung stabiler Preise bei möglichst gleichzeitiger wirtschaftlicher Blüte nach dem glatten Gegenteil. Nach Gradlinigkeit, nach Stetigkeit und langem Atem.

Heute liegen solch alte Gewissheiten unter den Trümmern der US-Investmentbank Lehman Brothers begraben, die nach Fehlspekulationen 2008 kollabierte. Weil eine Kettenreaktion aus weiteren Bankenpleiten, einer allgemeinen Kreditklemme und einer lang anhaltenden globalen Rezession drohte, sahen sich die Zentralbanken gezwungen, nicht nur ihre bisherigen Instrumente bis an den Rand des Machbaren zu strapazieren, sondern gänzlich neue Wege einzuschlagen: Sie pumpten Billionen Dollar, Euro und Yen ins Finanzsystem, indem sie ihre Leitzinsen für die kurzfristige Geldbeschaffung der Banken auf nahezu null senkten und den Kreditinstituten in großem Stil Wertpapiere abkauften. Während dieser Prozess einer ultralockeren Geldpolitik vor allem in Japan und Europa noch in vollem Gange ist, steht in den Vereinigten Staaten nun das nächste Experiment an: der Ausstieg aus eben jener Extremstrategie.

Zwar beschloss die Führung der US-Notenbank Fed am Mittwoch, die seit langem erwartete Kehrtwende noch einmal aufzuschieben. Das Gros der Experten geht aber weiter davon aus, dass die Fed-Führung den Leitzins bei ihrem nächsten Treffen Mitte Dezember erstmals seit über neun Jahren anheben wird. So wichtig die Debatte über den richtigen Zeitpunkt der Zinswende zweifellos ist, so sehr drängt sie eine zweite Frage in den Hintergrund, die aus Sicht der Fed für den weiteren Gang der Dinge mindestens ebenso bedeutsam ist: Funktionieren althergebrachte Instrumente wie Zinserhöhungen nach einem so langen geldpolitischen Ausnahmezustand überhaupt noch?

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Um das Problem zu illustrieren, ein Beispiel: In der Vergangenheit agierten Notenbanker wie Landwirte, die den Wuchs ihres Gemüses durch die Zugabe von Wasser zu steuern versuchen. Drohte der Boden zu trocken zu werden, gossen sie häufiger, war er feucht, kam die Gießkanne seltener zum Einsatz. Als eine extreme Trockenperiode ausbrach, drehten sie den Wasserhahn so lange und so kräftig auf, dass das gesamte Feld geflutet wurde. Das Gemüse wurde damit vor dem Verdorren gerettet, zugleich beraubten sich die Bauern aber ihres bis dato bekannten Handwerkszeugs: Steht der Blumenkohl erst einmal fünf Zentimeter unter Wasser, hilft weder mehr gießen noch weniger gießen weiter.

Genauso ergeht es nun der Fed. Sie beeinflusst das allgemeine Zinsniveau im Normalfall dadurch, dass sie den Banken Wertpapiere ab- oder verkauft: Nimmt sie Papiere in Zahlung, haben die Banken mehr Geld zur Verfügung, das sie an Wirtschaft und Verbraucher verleihen können. Die Zinsen sinken. Gibt sie den Banken die Papiere zurück und zieht den Verkaufserlös aus dem Verkehr, wird das Geld knapper und die Zinsen steigen. Da sie das Finanzsystem aber im zurückliegenden Jahrzehnt mit Liquidität regelrecht geflutet hat, würde es diesmal eine kleine Ewigkeit dauern, bis der gewünschte Effekt eintritt. Die so viel diskutierte Leitzinsanhebung liefe damit schlicht ins Leere.

Welch gewaltige Dimension das Problem hat, zeigt die offizielle Statistik: Danach verfügten die US-Geschäftsbanken im Juni 2008, also kurz vor der Lehman-Pleite, über Zentralbankguthaben in Höhe von zehn Milliarden Dollar. Heute summieren sich dieselben Reserven auf sagenhafte 2,6 Billionen Dollar - das 260-Fache.

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Statt das Geld über viele Jahre mühsam wieder einzusammeln, will Notenbankchefin Janet Yellen es nach Informationen der New York Times nun offenbar einfrieren. Dabei könnte ihr ein Gesetz zu Hilfe kommen, das der Kongress kurz vor Ausbruch der Finanzkrise verabschiedet hatte und das die Fed dazu verpflichtet, den Banken Zinsen auf ihrer Zentralbankguthaben zu bezahlen. Böte sie etwa eine Verzinsung von einem Prozent, gäbe es für die Kreditinstitute rein betriebswirtschaftlich gesehen keinen Grund mehr, ihr Geld billiger an andere "Kunden" zu verleihen. Auf diese Weise, so die Idee der Notenbanker, erhöhte sich das allgemeine Zinsniveau.

So innovativ der Gedanke sein mag, so teuer käme er die Fed - und damit die Steuerzahler - zu stehen. Schon der bisherige Guthabenzinssatz von 0,25 Prozent kostete die Notenbank im vergangenen Jahr etwa 6,7 Milliarden Dollar. Vervierfachte er sich nun, stiegen die Zinszahlungen an die Banken entsprechend an. "Die Fed würde den Banken also Milliarden an Dollar zahlen, damit diese die Billionen an Dollar nicht nutzen, die sie ihnen zuvor zur Verfügung gestellt hatte", so die Times.

Schlimmer noch: Trotz hoher Kosten wäre das Problem nicht gelöst, denn es sind ja nicht nur die Banken, die im Geld schwimmen und damit das Zinsniveau drücken, sondern auch andere Finanzmarktteilnehmer - Geldmarktfonds etwa. Da die Fed zu ihnen bisher keine direkten Beziehungen unterhält, kann sie ihnen auch keine Guthabenzinsen zahlen. Stattdessen müsste sie das nächste Experiment starten und den Fonds das überschüssige Geld gewissermaßen abkaufen. Das würde die gesamte Ausstiegsaktion nicht nur weiter verteuern, sondern auch das gesamte geldpolitische Gefüge dauerhaft verändern.

Wie genau die Strategie am Ende aussehen wird, hat Notenbankchefin Yellen bisher offengelassen. Sie stellte lediglich klar: Im Moment, da die Zinserhöhung da sei, werde die Fed "auch über die notwendigen Werkzeuge zu ihrer Umsetzung verfügen".

© SZ vom 29.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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