Familienunternehmen:Wie auf dem Jahrmarkt

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Mit dem Vorschlaghammer auf das Fensterglas: Was sich Unternehmen alles einfallen lassen, um auf sich aufmerksam zu machen.

Von Dagmar Deckstein

Internet-Bewertungsportale haben sich für viele Unternehmen und Berufsstände inzwischen fast zu einer Art modernem Pranger entwickelt. Neben oft hämischer Kritik gibt es manchmal aber auch ein dickes Lob. "Roto ist eines dieser Unternehmen, die den deutschen Mittelstand weltweit so angesehen machen", heißt es bei einem Arbeitgeber-Bewertungsportal. Doch wie kann man das möglichst wirkungsvoll den potenziellen Kunden vermitteln? Das fragte sich Christoph Hugenberg, 52, als er 2012 in den dreiköpfigen Roto-Vorstand aufrückte: "Werte, materielle oder ideelle, sind nur dann etwas 'wert', wenn man sie auch entsprechend lebt und vermittelt", befand er.

Mehr Fokus, mehr Kontur, noch mehr Kundenorientierung war sein Credo. "Unser Stolz auf württembergische Wertarbeit bei Dachfenstern und Beschlägen", so Hugenberg, "hat uns sehr lange in dieser typischen Understatement-Haltung bestärkt: Groß trommeln müssen wir gar nicht, nur die Qualität zählt. Der Kunde merkt es doch von selbst, was für tolle Produkte wir ihm liefern." Tut er aber nicht unbedingt. Wie oft hat Hugenberg von Dachdeckern und Zimmerleuten schon gehört, dass Roto zwar richtig gute Dachfenster herstelle, aber im Gegensatz zum großen Wettbewerber, dem dänischen Hersteller Velux, kenne die ja kaum ein Mensch. Wie sollten sie da ihren Kunden Roto-Fenster empfehlen?

Hugenberg ist für die Dachfenster-Sparte der Roto AG verantwortlich. Schon zweimal im Leben hat er den "Ironman"-Triathlon auf Hawaii gemeistert, darüberhinaus auch Roto-Mitarbeiter zu Triathlons und Radrennen animiert und jenseits des täglichen Fenstergeschäfts zusammengeschweißt. Ein Großteil der so zusammenkommenden Start- und Spendengelder fließt in die Elfriede-Frank-Stiftung, die in Not geratene Menschen unterstützt. Der Ehefrau des Firmengründers Wilhelm Frank war es ein großes Anliegen, Gutes zu tun und nicht viel Aufhebens darum zu machen. Auch Wilhelm Frank sah das natürlich so. Sein Produkt sprach anfangs für sich selbst. Als schwäbischer Tüftler wurde er 1935 mit seiner zündenden Idee - dem ersten industriell gefertigten Drehkipp-Beschlag - zum Pionier. Frank war ein schwäbischer Erfinder par excellence. Der Fensterhebel, mit dem sich das Glasfenster aufklappen und wahlweise auch kippen lässt, ist seine Erfindung, ebenso wie die weltweit erste Dachfensterkonstruktion zum Aufklappen. Unter der Leitung Wilhelm Franks und seiner Nachfolger entwickelte sich die Roto Frank AG bis heute zu einem international führenden Großunternehmen.

Auf dem Firmencampus gibt es auch Seminare für Kunden

Rund 4900 Mitarbeiter arbeiten heute für den Weltmarktführer für Drehkipp-Beschlagsysteme für Fenster und Fenstertüren, der zuletzt zusammen mit der Dachfenster-Sparte 633,5 Millionen Euro umgesetzt hat. Die Roto Gruppe, ein zwar börsennotiertes, aber zu hundert Prozent im Familienbesitz befindliches Traditionsunternehmen, gliedert sich in die zwei Geschäftsbereiche Dach- und Solartechnologie sowie Fenster- und Türtechnologie, die jeweils als eigene Profitcenter geführt werden. Die Dach- und Solartechnologie residiert in Bad Mergentheim, die Einheit Fenster- und Türtechnologie in Leinfelden-Echterdingen bei Stuttgart.

Wie sieht die Strategie nun also aus? Christoph Hugenberg beschloss mit seinen beiden Vorstandskollegen Eckhard Keill und Michael Stangier, man dürfe die Werbetrommel ein wenig lauter rühren. Für seinen Vorstandsbereich Dach- und Solartechnologie in Bad Mergentheim ließ Christoph Hugenberg 2016 den Campus neben den Fabrikationshallen im Taubertal modernisieren, um Kunden von der "Wertigkeit" der Roto-Produkte zu überzeugen. Hier finden nun fast täglich ein- bis dreitägige Seminare für Kunden statt, die darüber hinaus alle vier Jahre mithilfe einer Unternehmensberatung intensiv zu deren Wünschen und Bedürfnissen im Arbeitsalltag befragt werden.

Roto-Kunden sind in allererster Linie nicht die privaten Häuslebauer und Eigenheim-Renovierer, sondern die Dachdecker und Zimmerleute, die Dachfenster empfehlen, bestellen und einbauen. Welche Probleme und Wünsche haben diese Profi-Kunden, was macht für sie den Mehrwert aus, ein bestimmtes Produkt einem anderen vorzuziehen? Sie brauchen Kniffs und Tipps beim Einbau von Dachfenstern, und das wiederum von Profi-Handwerkern des Herstellers und des Fachhandels. Obendrein können die Kunden auf dem Campus auch noch die "Wertigkeit" der Fenster-Materialien testen. Einmal gilt es da à la "Hau den Lukas" auf dem Jahrmarkt, mit einem Vorschlaghammer auf die Scheibe eines Roto-Dachfensterglases zu hauen; das Glas geht auch bei höchster Schlagstärke im obersten roten Bereich nicht entzwei. Oder, Stichwort Energieeffizienz: Zwei Fenster, hinter dem einen eine heiße Herdplatte, hinter dem anderen ein Tiefkühlfach. Beide Glasplatten davor fühlen sich ähnlich lauwarm an. Jedes Jahr finden sich immerhin knapp 5000 Handwerker auf dem Campus ein. Die Seminargebühren werden dann bei der nächsten Bestellung bei Roto verrechnet.

Warum eigentlich nur die Handwerks-Profis ansprechen, und nicht die Endkunden? Dafür hat Vorstand Christoph Hugenberg eine Erklärung: "So ein Dachfenster ist ein durchaus technisch komplizierteres Produkt. Stellen Sie sich vor, ein Eigenheimbauer kauft sich solche Fenster im Baumarkt, und sein Freund oder Nachbar, technisch nicht allzu versiert, baut ihm das mehr schlecht als recht ein. Die ausgesägten Abmessungen stimmen nicht, die Dichtungen sind falsch bemessen, die Metallfalze sind schief - und über kurz oder lang regnet es durchs angeblich hochwertige Fenster aufs neue Sofa. Geht gar nicht. Und wie heißt es dann? Was baut Roto für schlechte Fenster."

Roto produziert Dachfenster im deutschen Bad Mergentheim und wurde schon einmal als "Fabrik des Jahres" ausgezeichnet. Eine weitere Fabrik steht in Polen, wo die Kollektion für vorzugsweise Osteuropa und ausschließlich mit Holzrahmen hergestellt wird. Vom derzeitigen Bauboom könne die Dachfenster-Sparte von Roto nicht profitieren. "Unser Markt besteht zu 80 Prozent aus dem Renovierungsbedarf etwas betagterer Häuser mit etwa Sattel-, Giebel- oder Walmdächern." Und die renovierungswilligen Haus- und Wohnungsbesitzer bekommen derzeit einfach keine Handwerker mehr.

Hugenberg könnte sich jetzt trösten mit einem Schluck aus der Flasche mit dem Etikett "HANDWERK", wahlweise "Grauer Burgunder Kabinett trocken" oder "Schwarzriesling trocken". Denn im tauberfränkischen Dainbach, dem Geburtsort von Firmengründer Wilhelm Frank, wird bis heute von den Nachfolgern ein Weinberg im Besitz gehalten. Doch die überschaubare Ausbeute ist für wertgeschätzte Kunden und Mitarbeiter reserviert.

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