Familienunternehmen Vivil im Wandel:Nicht immer Pfefferminz

Die Geschmacksrichtung Waldfrucht zuckerfrei ist zurzeit der Verkaufsschlager bei Vivil. Seit gut einem Jahr steht Alexander Müller-Vivil an der Spitze des Familienunternehmens. Er will der leicht angestaubten Bonbonmarke wieder neuen Schwung geben. Doch das kostet viel Geld.

Von Daniela Strasser

Alexander Müller-Vivil hat zum Gespräch nicht nur seinen Kreativdirektor, sondern auch zahlreiche Süßigkeiten mitgebracht. Zur Begrüßung legt er sie auf den Tisch. Und weil er ein ziemlich strukturierter Mensch ist, tut er das auch nicht irgendwie, sondern ordnet die Packungen formvollendet symmetrisch an. Das dauert gefühlte fünf Minuten lang. Reden darf währenddessen nur der Kreativdirektor. Man erblickt: Vivil-Bonbons mit und ohne Zucker, Vivil mit Latte-Macchiato-Geschmack und als Dragées zum Lutschen. In der Designer-Anzugtasche des neuen Firmenchefs steckt eine angebrochene Packung der grünen Pfefferminzrollen, die die Marke in den vergangenen 110 Jahren berühmt gemacht haben.

Müller-Vivil plaudert ein wenig über seine Bonbons. Er weiß, dass sich mit zuckerfreien Süßigkeiten im Moment das meiste Geld verdienen lässt. Er deutet auf eine Packung: Geschmacksrichtung Waldfrucht Zuckerfrei. Das verkauft er gerade am besten. "Leute unter 40 kauen lieber, die über 40 lutschen fast ausschließlich", sagt er. Warum das so ist? "Muss an den besseren Zähnen liegen."

Seit dem Tod seines Vaters im vergangenen Jahr steht Alexander Müller-Vivil allein an der Spitze des Familienunternehmens. Angefangen bei Vivil hat der promovierte Betriebswirt mit 33 Jahren. Er ist der vierte Chef in der Familiendynastie. Und er ist angetreten, um das Überleben der Firma zu sichern. Sein Ziel: Er will die Marke Vivil modern machen.

Er ist keiner, der die Dinge dabei gern dem Zufall überlässt. Schon vor drei Jahren hat er begonnen, Berater ins Unternehmen zu holen, die sich um die Zukunftssicherung kümmern sollten. Der Juniorchef hat Angst davor, seiner Firma könne es ergehen wie dem insolventen Familienbetrieb Schlecker. "Die hätten vor gut fünf Jahren noch genügend Investitionsmöglichkeiten und Kapital gehabt, um zu modernisieren."

Müller-Vivil will die Dinge geräuschlos ändern

Müller-Vivil will die Dinge langsamer und vor allem geräuschlos ändern. Zunächst hat er das Management verschlankt, das Design der Verpackungen schlichter gemacht. Sein neuer Vertriebschef kommt vom Konkurrenten Ferrero. Es sind die ersten kleinen Schritte im großen Plan des Alexander Müller-Vivil.

Das Erbe, das er antritt, kann sich durchaus sehen lassen. Vivil ist einer der bekanntesten Bonbonhersteller in Deutschland, der Firma geht es nicht schlecht. Mit 222 Mitarbeitern erwirtschaftet sie rund 80 Millionen Euro Umsatz im Jahr, ein Drittel davon im Ausland. Täglich stellt die Offenburger Firma laut eigenen Angaben rund 260.000 Bonbon-Tüten her. Der neue Inhaber rühmt sich noch immer damit, dass das Unternehmen noch nie Verluste geschrieben hat.

Trotzdem hat Müller-Vivil mit zwei Gegebenheiten zu kämpfen: Erstens ist der Kampf um die Regalplätze bei den vier großen Supermarktketten Rewe, Edeka, Lidl und Aldi härter geworden, zweitens fehlt es der Marke an dem, was man im Marketingfachsprech "Erstverwender" nennt: Käufer, die an der Ladenkasse oder beim Blick ins Regal von der Marke angesprochen fühlen. Im Supermarkt greifen viele Kunden derzeit lieber erst mal zu anderen Bonbonmarken. "Wir sind gezwungen, das Geschäftsmodell radikal umzubauen", sagt Müller-Vivil.

Die Lage im Süßwarenmarkt ist schwierig. Der Markt stagniert, ein Verkaufsplus bei Süßigkeiten, Schokolade und Keksen haben die deutschen Hersteller zuletzt nur im Ausland erzielt. Im vergangenen Jahr sank der Jahresumsatz der Branche nach Angaben des Bundesverbands der Deutschen Süßwarenindustrie um 0,3 Prozent auf 12,5 Milliarden Euro. Allein im vergangenen Jahr mussten vier Hersteller Insolvenz anmelden. Steigende Rohstoffpreise machen ihnen zusätzlich zu schaffen. Als kleiner Anbieter hat es Vivil gegenüber Marktgrößen wie Storck und Ricola also nicht leicht.

Das mit den Erstkäufern, die ausbleiben, und den fehlenden jungen Käufern scheint Alexander Müller-Vivil zu schaffen zu machen. "Vivil hat als Marke irrsinniges Potenzial, das aber wachgeküsst werden muss." Noch zählt Vivil zu den bekanntesten deutschen Marken, die der GfK zufolge 90 Prozent der Deutschen kennen. Das ist ein sehr guter Wert - vor allem wenn man bedenkt, dass Vivil bisher wenig Geld in Werbung gesteckt hat.

Angriff auf die großen Konzerne

Mehr als sieben Jahre lang hat Vivil nicht geworben. Wer in den 70er, 80er oder 90er Jahren groß geworden ist, erinnert sich vielleicht noch an ein schnuckeliges Zeichentrickkrokodil. Dann kam: lange nichts. Das soll sich jetzt ändern. Müller-Vivil will vor allem in Marketing und Werbung investieren.

Vor einigen Monaten ist ein neuer Werbespot angelaufen. Die Vivil-Bonbons wandern darin um die Welt. Den Anfang macht eine ältere Dame, Typ: nette Omi, an der Bushaltestelle, die einem Hippie eine Packung Vivil hinhält und ihm ein Bonbon anbietet, am Ende landen die Süßigkeiten bei einem Politiker in Afrika. "Ändern wir die Welt, Bonbon für Bonbon", verspricht der Film. "Willkommen in der vivilisierten Welt", lautet der Werbeslogan, den Müller-Vivil auch in Zukunft nutzen will.

Müller-Vivil zieht eines seiner Pfefferminzbonbons aus der Tasche und schiebt es in den Mund. Bonbons, sagt er, seien "ursozial". Wer eines dabei hat, bietet es an. Der 44-jährige Firmenchef sieht sich mit seinem neuen Werbekonzept voll im Trend. Der Gedanke des Teilens, oder neuerdings: Sharen, sei ja gerade bei der jungen Generation schwer angesagt und in den Foren der sozialen Netzwerke ein wichtiges Thema.

Der Kreativdirektor, den Müller-Vivil zum Gespräch mitgebracht hat, heißt übrigens Ralf Heuel und ist der Chef von Müller-Vivils neuer Werbeagentur Grabarz & Partner. Er findet, Müller-Vivil könnte ruhig auch mal mehr im Internet werben. Müller-Vivil findet das nicht. Auch wenn seine Marke mit gerade mal tausend Fans auf Facebook deutlich mehr brauchen könnte.

Drei Millionen Euro für eine neue Werbekampagne

Die Jüngeren will er mit anderen Mitteln locken. Und weil die nun mal lieber kauen statt lutschen, plant er "weiter in den Kaubereich" zu investieren. Demnächst soll ein neues Produkt von Vivil auf den Markt kommen. Ob es sich dabei um Kaugummis handelt, will der Chef nicht sagen. Damit würde er dem US-Konzern Wrigley Konkurrenz machen, dem unangefochtenen Marktführer in Sachen Kaugummi weltweit und in Deutschland. Wrigley war übrigens auch mal ein Familienunternehmen, seit wenigen Jahren gehört es dem Giganten Mars und anderen Großinvestoren.

Eigentlich aber möchte Müller-Vivil ja auch lieber dem Konzept seiner Familie treu bleiben und sich "ausschließlich auf Bonbons fokussieren". Er glaubt daran, dass seine Firma in der Nische noch richtig groß werden könnte, gerade weil andere Konkurrenten ihr Wohl längst in anderen Erzeugnissen wie Schokolade und Keksen suchen.

Er hat genau kalkuliert und lange analysiert. Fehler kann er sich nicht leisten. Jetzt will er erst einmal den Erfolg der Werbekampagne abwarten. Um das Geld für die Werbung aufbringen zu können, musste Müller-Vivil die Preise erhöhen. Drei Millionen Euro lässt er sich die Kampagne kosten. Ob es reicht, seiner Marke neuen Schwung zu geben? Konkurrent Storck etwa hat allein im vergangenen Jahr 77 Millionen Euro für Werbung locker gemacht.

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