Familienunternehmen:"Patriarchen mag man hier nicht"

Wirtschaftsberater Christian Stoffaës über die Vorbehalte seiner Landsleute und den Neid auf Deutschlands Exporte.

Michael Kläsgen

Frankreich arbeitet derzeit mit Hochdruck daran, den Aufbau eines Mittelstandes zu begünstigen. Christian Stoffaës verfasste dazu für die Regierung den Bericht "Mittelstand: unser fehlendes Glied in der Kette". Er ist Chef des Wirtschaftsinstituts CEPII und Mitglied des deutsch-französischen Wirtschaftsforums CAEFA.

Familienunternehmen: Christian Stoffaës  ist Chef des Wirtschaftsinstituts CEPII.

Christian Stoffaës ist Chef des Wirtschaftsinstituts CEPII.

(Foto: Foto: kläs)

SZ: Herr Stoffaës, was ist die größte Schwäche des französischen Mittelstandes?

Stoffaës: Dass es ihn nicht gibt, jedenfalls nicht als gesellschaftliche Kraft oder wirtschaftliche Kategorie. Was in Deutschland der Mittelstand ist, sind bei uns die Landwirte, die sind wohlhabend und eine Wählerklientel der Konservativen. Unsere Strukturen sind ein bisschen mit Bayern vergleichbar.

SZ: Woher rührt das Fehlen mittelgroßer Familienunternehmen?

Stoffaës: Ein Grund ist das Erbrecht: Seit der französischen Revolution werden Erbschaften unter allen Kindern gleich aufgeteilt. Während in Deutschland noch lange das Erstgeborenenrecht galt, wurden hiesige Unternehmen nicht mehr von Generation zu Generation übertragen. Entweder zerstritten sich die Erben oder verkauften ihre Anteile. Darum sind die mittelgroßen Unternehmen selten in Familienbesitz, sondern Ableger von Konzernen. Es gibt weder Statistiken über mittelgroße Familienunternehmen noch haben sie eine Interessenvertretung.

SZ: Yvon Gattaz will das nun ändern.

Stoffaës: Er kämpft seit fast 30 Jahren dafür. Das Problem aber ist, dass die französische Gesellschaft dem Mittelstand skeptisch gegenübersteht. Man mag die Unternehmenskultur von Firmenpatriarchen nicht. Das hat damit zu tun, dass bei uns immer noch das Prinzip des Colbertismus, der Staatswirtschaft vorherrscht. Und dass marxistische Ideen bei uns weit verbreitet sind und die Abscheu gegenüber Reichen groß ist.

SZ: Kultur ist das eine. Was machen die kleinen Unternehmen selbst falsch, warum wachsen sie nicht schneller?

Stoffaës: Es mangelt ihnen an ausreichender Spezialisierung. Wenn man sich die Exportzahlen anschaut, sieht man: Es fehlen hochspezialisierte Unternehmen, die eine Nische bedienen. Auf dem Gebiet ist uns Deutschland eindeutig überlegen: Im Werkzeugbau exportiert es zehnmal so viel, bei textilverarbeitenden Maschinen fünfmal so viel, bei Edelstahlprodukten für Küchen siebenmal so viel, und so weiter. Das alles sind Nischenprodukte, und Nischen sind die Arbeitsfelder von Familienunternehmen.

SZ: Das bedeutet?

Stoffaës: Wir haben keine mittelgroßen Familienunternehmen, weil wir keine Nischenprodukte herstellen - und umgekehrt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum der starke Euro französischen Unternehmen stärker schadet als den deutschen.

"Patriarchen mag man hier nicht"

SZ: Und das wirkt sich unmittelbar auf die Exportbilanz aus ...

Stoffaës: Da ist Frankreich dramatisch hinter Deutschland zurückgefallen, woraus große politische Spannungen zwischen den beiden Ländern entstehen, zum Beispiel was den Euro betrifft. Der große Unterschied in der Außenhandelsbilanz führt automatisch zu Neid.

SZ: Warum trifft der hohe Euro die französischen Firmen stärker?

Stoffaës: Bei einem teuren Euro riskieren Sie, Marktanteile zu verlieren. Das gilt aber nicht für Hersteller von Nischenprodukten. Wenn Sie der einzige Hersteller sind, haben Sie die Marktmacht, können den Preis diktieren und sind von der Währung unabhängig. Dann sind Sie der Preismacher. Und Deutschland ist genau das, Frankreich hingegen der Preisnehmer. Das macht den Wettbewerbsnachteil Frankreichs aus.

SZ: Was kann das Land dagegen tun?

Stoffaës: Es gibt zwei Möglichkeiten, dem Preiswettbewerb standzuhalten: Entweder Sie sind innovativer, das heißt, Sie überzeugen mit kleinen, aber feinen technischen Verbesserungen. In Frankreich hat man jedoch eine sehr elitäre Vorstellung von Forschung: Sie bedeutet in der Regel Grundlagenforschung oder die Arbeit an Großprojekten wie zum Beispiel in der Luft- und Raumfahrt. Detailforschung von Ingenieuren zur Verbesserung von Produkten gibt es hier so nicht.

SZ: Und die zweite Möglichkeit?

Stoffaës: Qualität. Damit binden Sie Kunden - und die zahlen, wenn sie zufrieden sind, jeden Preis.

SZ: Ihre Kritik an der Forschung klingt nach Kritik am Ausbildungssystem.

Stoffaës: Unsere Grandes Ecoles, die Eliteuniversitäten, bilden junge Leute eher dazu aus, in großen Unternehmen zu arbeiten. Das gelingt uns gut. Noch vor 50 Jahren hatte Frankreich keine Großunternehmen, diesen Strukturwandel haben wir aber geschafft. Frankreich hat ja auch seine starken Seiten. Wir sind gut auf dem Gebiet der Nahrungsmittelindustrie, der Luxusgüter, der Atomindustrie und der Luft- und Raumfahrt.

SZ: Und im Tourismus ...

Stoffaës: Wir haben aber Lücken in der Mechanik und im Werkzeugbau, traditionell Bereiche für exportorientierte Familienunternehmen.

SZ: Der Aufbau solcher Firmen wird wohl auch lange dauern?

Stoffaës: Das ist eine Arbeit für Jahrzehnte. Aber wir brauchen sie, um Wachstum und Beschäftigung zu schaffen.

SZ: Was macht die Regierung, um das Entstehen zu begünstigen?

Stoffaës: Sie ist gerade dabei, das Außenhandelssystem zu reformieren, und lässt sich dazu vom deutschen System der Außenhandelskammern inspirieren.

SZ: Das ist eine ziemliche Kehrtwende.

Stoffaës: Ja, wir stellen unsere gesamte bisherige Exportpolitik in Frage und wenden uns ab von der Exportförderung, die wir mit einem großen staatlichen Apparat betrieben haben. Doch auf Förderung kommt es nicht unbedingt an - sondern man kann nur exportieren, wenn man auch ein gutes Produkt hat.

SZ: Wo soll das herkommen?

Stoffaës: In einem zweiten Schritt wandeln wir gerade unsere technischen Zentren nach dem Vorbild der Fraunhofer-Gesellschaft um, um den Wissenstransfer von den Universitäten in die mittelgroßen Unternehmen zu verbessern.

SZ: Reicht das, um mittelgroße Familienunternehmen entstehen zu lassen?

Stoffaës: Wir müssen auch die Vermögensteuer und das Erbrecht ändern und ein Stiftungsrecht schaffen, das Erben davon abhält, ihre Anteile zu verkaufen.

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