Familienunternehmen:Liebe ist es nicht

Weder schlecht noch recht: Das Örtchen Ostheim vor der Rhön und die Firma Bionade können nicht ohneeinander, aber miteinander ist es auch nicht einfach. Porträt einer Zweckgemeinschaft.

Elisabeth Dostert

Ulrike Stanek, 57, hat sich nochmal gemeldet, Stunden nach dem Gespräch im schmucken Rathaus von Ostheim vor der Rhön. "Mir ist noch eine Firma eingefallen", sagt sie: "Die Bäckerei Schenk in der Roßgasse. Die gibt es seit 1683. Die backen noch nach Originalrezepten."

Familienunternehmen: Peter Kowalsky ist stolz, dass Bionade endlich den Durchbruch geschafft hat.

Peter Kowalsky ist stolz, dass Bionade endlich den Durchbruch geschafft hat.

(Foto: Foto: Elisabeth Dostert)

Die SPD-Politikerin Stanek ist stellvertretende Bürgermeisterin von Ostheim, eine Frau, die für alle da sein muss, die rund 3500 Einwohner, die Firmen. Sie wägt ihre Worte ab, sie will nichts Falsches sagen, kein Unternehmen vergessen und keinem wehtun. Für Ostheim zählt jedes. Der Ort und die Firmen sind eine Zweckgemeinschaft, jeder braucht den anderen, Liebe ist es nicht.

Auf den ersten Blick ist es ein Ort wie viele: nicht besonders auffällig, nicht sonderlich groß, ein paar Dutzend Mittelständler, keine Konzerne, es gibt ein paar Bäcker, Fleischer, viele Wirtshäuser, Pensionen, einen Kindergarten, Krippe, Grundschule, Hauptschule, kleine Einzelhändler, die Sparkasse, die Volksbank, aber keine privaten Banken, die Post. Die große Politik ist weit weg.

Jedes Unternehmen zählt

Und dann gibt es Bionade. Kein anderes Unternehmen hat den Ort so berühmt gemacht wie die Produzenten der gebrauten Limonade: die Familien Peter-Leipold und Kowalsky. Ihnen gehört die 1827 gegründete Privatbrauerei Peter.

Der Stiefvater Dieter Leipold, Erfinder des Getränks, habe immer gesagt, an einem anderen Ort wäre Bionade vielleicht nicht erfunden worden. So erzählt es Peter Kowalsky, er führt mit seinem drei Jahre jüngeren Bruder Stephan die Geschäfte. "Wenn wir in einem Ballungsgebiet säßen, dann hätten wir nie nach Alternativen zum Peter-Bier suchen müssen", so Kowalsky. Er hängt an Ostheim.

Bürgermeisterin Stanek will nicht nur über Bionade reden. "Die Brauerei Streck ist heuer 290 Jahre alt geworden", sagt sie. Zum Gespräch im Rathaus hat sie Verstärkung mitgebracht: Margitta Meußler, 57, Kämmerin und geschäftsführende Leiterin der Verwaltungsgemeinschaft Ostheim, 40 Dienstjahre.

Mühsam klauben die beiden Frauen die Namen zusammen. "Die Firma Binder exportiert in aller Herren Länder", sagt Stanek. Der Mittelständler baut Leichtflugzeuge. "Und der Kaul", ergänzt Meußler. Die Firma ist auf Motorsport spezialisiert. "Ganz bekannt ist die in der Szene", sagt Meußler.

Bis in die 90er Jahre gab es auch einen Waffenhersteller, eine Schuhfabrik und einen Uniformen-Schneider. "Natürlich sind wir auf Bionade stolz", sagt Stanek: "Bionade verbindet auf einzigartige Weise die Stadt mit der Region und dem Biosphärenreservat Rhön." Jetzt klingt sie wie Kowalsky.

"Wir powern mit unserer Geschichte"

Bionade hat es schnell ins Fernsehen und in die Zeitungen gebracht. Selbst die französische Le Monde, die britische Financial Times und das Magazin Time haben vom Winzling aus der Provinz berichtet. "Ostheim ist eine Stadt wie aus dem Bilderbuch, enge, gewundene Straßen, ein Ort, der nicht so aussieht, als würde da jemals etwas passieren, ganz zu schweigen von etwas Angesagtem", war dort zu lesen. Er beschreibt ein deutsches Idyll, ein Klischee, wie es Touristen aus dem Ausland gerne mögen.

"Wir powern mit unserer Geschichte", sagt Stanek: "Die sehr gut erhaltene mittelalterliche Kirchenburg, die größte Deutschlands, ist ein nationales Denkmal." Trutzig hockt sie mitten in der Stadt: Türme, Bastionen, eine doppelte Ringmauer.

Seit 1997 ist Ostheim Luftkurort. Vom Tourismus allein können die Menschen aber nicht leben. Viele pendeln zur Arbeit - knapp eine Stunde ist es zum Autozulieferer Preh nach Bad Neustadt, auch BSH Bosch Siemens Haushaltsgeräte hat da eine Fabrik und das Rhön-Klinikum seinen Sitz. "Manche fahren bis Stuttgart oder Frankfurt", sagt Meußler.

Ostheim liegt im nördlichsten Eck Bayerns, an der ehemaligen DDR-Grenze. Früher lag das Hauptabsatzgebiet der Brauerei Peter in Thüringen. "Die Grenzziehung nach dem Zweiten Weltkrieg hat uns mit einem Schlag 90 Prozent des Absatzes gekostet", sagt Kowalsky.

In den 50er und 60er Jahren ging es den Brauereien gut. Dann folgten schlechte Zeiten: Die Promille-Grenze sank, Konzerne wie Bitburger oder Warsteiner steckten Millionen in die Fernsehwerbung und verdrängten regionale Anbieter vom Markt, die Landjugend pflegte die Stammtische nicht mehr.

"Bionade passt zu Ostheim"

Deshalb machte sich Dieter Leipold in den 80er Jahren Gedanken über ein neues Produkt. Als die Wiedervereinigung dann Ostheim in die Mitte Deutschlands katapultierte, ruhte das Projekt Bionade, denn die Brauerei Peter lieferte wieder Bier nach Thüringen.

Doch der Boom war schnell vorbei. Und die Brauerei saß auf einem Haufen Schulden. Der Gerichtsvollzieher war mehr als einmal da. "Mitte der 90er Jahre haben wir dann einen außergerichtlichen Vergleich hingelegt", sagt Kowalsky: "Reserven hatten wir nie gebildet."

Der Großvater Ludwig habe das Geld gerne verbaut - mal steckte er es in eine Mälzerei, mal in sein Privathaus. Das kam den Ostheimern manchmal großkotzig vor. "Wir waren immer die Exoten, die Verrückten", sagt Kowalsky. Einmal habe der Bürgermeister den Ludwig überredet, eine Stadthalle zu bauen. In den schlechten Zeiten hat die Familie dort eine Diskothek betrieben.

Liebe ist es nicht

Heute wird in dem Gebäude Bionade abgefüllt. Auf dem Hof türmen sich blaue Getränkekisten wie eine Burg aus Legosteinen. Kowalsky weiß, was er an Ostheim hat. "Bionade passt zu Ostheim", sagt Kowalsky - eine Biolimonade aus dem Biosphärenreservat. "Ohne die Ostheimer gäbe es uns heute nicht mehr." Mehr als einmal habe sich die Stadt in langen Sitzungen durchgerungen, der Brauerei Peter Gebühren zu stunden, die eigentlich nicht zu stunden sind, sagt er. "Wir sind immer sehr geduldig", sagt Kämmerin Meußler. "Verzugszinsen hat die Gemeinde auch immer genommen", sagt Peter Kowalsky.

Viele Jahre haben die Firmen der Familie keine Steuern gezahlt, wegen der hohen Verluste. Seit zwei Jahren zahlt zumindest die Bionade GmbH, an der die Familien Kowalsky und Peter 49 Prozent halten und der Getränkekonzern Rhön-Sprudel 51 Prozent.

Unter Zeitdruck: Patent nur bis 2016

Bionade wächst und wächst. "Früher standen wir unter dem Druck der Gläubiger, heute unter Erfolgsdruck", sagt Kowalsky. Im vergangenen Jahr hat Bionade die Zahl der Mitarbeiter auf rund 200 verdoppelt, davon arbeiten allein 180 für die Bionade GmbH: Sie setzt 40 Millionen Euro um. Viele Mitarbeiter kommen aus Ostheim, einige haben schon früher mal für die Brauerei Peter gearbeitet. 200 Millionen Flaschen werden jährlich in Ostheim abgefüllt, tagsüber und häufig auch nachts. Lkws müssen rückwärts über die Bundesstraße in den Hof setzen, um die Kästen abzuholen. Das ist nicht ganz ungefährlich.

"Wir arbeiten hier zu Bedingungen, die eigentlich nur toleriert werden", sagt Kowalsky. Er will eine neue Produktionsstätte bauen unterhalb des alten Geländes, jenseits des Flüsschens Streu. "Jetzt ans Geldbunkern zu denken wäre falsch." Die Kowalskys haben keine Zeit: 2016 läuft das Patent für Bionade aus. "Dann muss die Marke so stark sein, dass sie nicht mehr umfällt, wenn jemand dagegentritt."

Die Gemeinde hat Zeit. "Die kann mit unserer Geschwindigkeit nicht mithalten. Da werden Versammlungen abgehalten und Hierarchien bewahrt. Da dauert es eben so lange, wie es dauert", nölt Kowalsky: "Wir müssen wohl Geduld lernen und die Stadt muss schneller werden."

Sie müht sich. "Wir sind beim Flächenbedarf behilflich", sagt Stanek. Die Bauern, denen die Äcker gehören, auf denen das neue Werk stehen soll, können diese nicht einfach so verkaufen. Sie brauchen Ersatzflächen. Die stelle dann die Stadt bereit, wenn nötig, damit Bionade den Grund erwerben könne. "Alles zu den marktüblichen Preisen, versteht sich", betont Meußler eilig: "Wir tun, was wir können, im Rahmen unserer legalen Möglichkeiten. Wir dürfen nicht verschwenderisch sein." Stanek fügt hinzu: "Wir würden jedem anderen Unternehmen, das uns braucht, auch helfen."

Ostheim ist keine reiche Stadt. 2007 lagen die Gewerbesteuereinnahmen der Kämmerin zufolge bei 700.000 Euro. Noch vor drei, vier Jahren waren sie nicht einmal halb so hoch. "Die Gemeinde braucht nach wie vor Schlüsselzuweisungen, fast 1,3 Millionen Euro in diesem Jahr", sagt Meußler mit Blick auf den kommunalen Finanzausgleich in Bayern zwischen reichen und armen Orten. Auf 5,4 Millionen Euro beläuft sich Meußler zufolge der gesamte Verwaltungshaushalt in diesem Jahr. Das ist das Geld, das die Gemeinde zum Wirtschaften hat.

"Wir wollten Synergien finden"

"Wir müssen die gesetzlichen Vorgaben einhalten", erklärt Meußler. So darf das Abwasser bestimmte Grenzwerte nicht überschreiten. Und Bionade produziere große Mengen "problematische Abwässer, Säuren und Laugen". Deshalb mussten die Brauer eine Kläranlage bauen. Dann helfe wieder die Stadt: "Vor ein paar Monaten hat Bionade einen Bauantrag gestellt, der ging um 17 Uhr im Rathaus ein, um 20 Uhr war er schon durch den Stadtrat", sagt Meußler.

Kowalsky würde am liebsten alle mitreißen im Erfolg von Bionade: die Stadt, die Menschen. Alles, was geht, würde er gerne aus der Region beziehen: Braugerste, Zucker, Holunder, Kräuter. Aber die wenigsten lassen sich mitreißen. "Der Franke lässt sich nicht drängeln. Der muss von selber kommen", sagt Kowalsky.

So wie der Landwirt Martin Ritter, 39. Er und Kowalsky sind Gleichgesinnte. Sie müssen nicht viel reden. Das haben sie auch vor drei Jahren nicht getan. Da hat Ritter Kowalsky gefragt, ob er nicht das Turnierprogrammheft des Reit- und Fahrvereins Ostheim sponsern will, dessen Vorsitzender Ritter ist. Kowalsky hat nicht lange gezögert. Seitdem wirbt Bionade auf der Titelseite. "Du bist doch auch Bio", hat Kowalsky damals zu ihm gesagt.

Ritters Hof liegt etwas außerhalb der Stadt: 75 Hektar, Pferdepension, Putenmast. Kowalsky brauchte damals Braugerste, und Ritter hatte sie. "Über Preise haben wir nicht gesprochen." Aber viel darüber, was sie noch gemeinsam machen könnten. "Wir waren ganz in Euphorie." Sie haben sich mit Kommunalpolitikern, Lobbyisten und Leuten vom Biosphärenreservat getroffen. "Wir wollten Synergien finden", erzählt Ritter. Aber viele hätten nur die Nase gerümpft.

Kowalsky: "Gedächtnis wie ein Elefant"

Im Winter 2005 hat Ritter die ersten Hollerbüsche gepflanzt. Mittlerweile sind es neun Hektar. "Viele haben mich belächelt und gewarnt", erinnert sich Ritter. "Die Kowalskys waren doch schon so gut wie pleite. Du kriegst dein Geld nie." Er hat es bekommen.

Peter Kowalsky hat sich gemerkt, wer für und wer gegen seine Familie war. "Wir sind nicht nachtragend, wir sinnen nicht auf Rache. Aber wir haben ein Gedächtnis wie ein Elefant", sagt er. Es habe Lieferanten und Handwerker gegeben, die auch mal länger auf ihr Geld warteten. Frau Meußler, die Kämmerin, wohne oberhalb der Brauerei und habe ein paar Mal geklagt - wegen Lärmbelästigung.

Sie habe auch dafür gesorgt, dass der Biergarten hinter der winzigen Braugaststätte zugemacht wurde, für den keine Genehmigung vorlag. Einmal mussten seine Mutter und sein Bruder Stephan ihre EC-Karten bei der Volksbank abgeben, weil die Konten überzogen waren. Sie hatten viel privates Geld in die Firma Bionade gesteckt. Peter Kowalsky durfte seine Karte behalten, weil seine Frau als Erzieherin ein regelmäßiges Einkommen hatte. "Heute sind sie alle sehr freundlich."

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