Familienunternehmen:Erfindungen gibt's anderswo billiger

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Unternehmen verlagern nicht nur die Produktion, sondern auch Forschung und Entwicklung immer häufiger aus Deutschland weg ins Ausland. Eine bislang unveröffentlichte Studie zeigt, warum.

Elisabeth Dostert

Es war wohl nur eine Frage der Zeit: Zuerst exportierten die deutschen Unternehmen lediglich ihre Waren. Dann verlagerten sie auch die Produktion ins Ausland. Und nun wandern nach und nach auch Forschung und Entwicklung ab. Zwar liegt Deutschland, gemessen an der Zahl der angemeldeten und erteilten Patente, immer noch weit vorne in der Welt. Auch sind die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (knapp 56 Milliarden Euro im Jahr 2005) immer noch mehr als doppelt so hoch wie in China.

Noch nicht ins Ausland verlagert worden: Philips Semiconductors in Hamburg - dort werden Mikrochips entworfen. (Foto: Foto: ddp)

"Aber ein Grund zur Beruhigung ist das nicht", sagt Axel Schröder, Chef der gleichnamigen Unternehmensberatung aus Holzkirchen bei München. "In China verlassen jedes Jahr 15-mal so viele Ingenieure die Universitäten wie in Deutschland. In zwei Jahren werden es 20-mal so viele sein." Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung wachsen in China mit hohen zweistelligen Raten, wenn auch von einer deutlich niedrigeren Basis aus.

In kleinen Firmen wird noch "zu Hause" geforscht

"Die Verlagerung von Forschung und Entwicklung ist bereits fortgeschritten", fand Schröder in einer Umfrage heraus. An der bislang unveröffentlichten Studie haben sich rund 240 Industrieunternehmen beteiligt. Die meisten von ihnen sind mittlere und größere Betriebe, hauptsächlich aus den Branchen Automobil-, Maschinenbau und Elektronik.

Ein zentrales Ergebnis der Befragung: Je größer das Unternehmen, desto stärker die Verlagerung. In Unternehmen mit weniger als 1000 Mitarbeitern wird noch eher "zu Hause" geforscht und entwickelt; nicht mal ein Fünftel der Mitarbeiter, die an Innovationen tüfteln, sitzt im Ausland. Über alle Firmengrößen und Branchen hinweg betrachtet, befinden sich bereits 45 Prozent der Forscher und Entwickler im Ausland.

Spitzenreiter: Elektronik-Industrie

Osteuropa und China sind die neuen Ziele dieser Verlagerungen. Verglichen mit traditionellen Auslandsstandorten wie Nordamerika und Japan stecken sie allerdings noch in einer frühen Phase der globalen Arbeitsteilung, wie Schröder analysiert: Während in den alten Zielländern auf dem gleichen Niveau geforscht und entwickelt werde wie hier, sei das in den neuen Regionen noch nicht so. Auch Vorentwicklungen, Machbarkeitsstudien und Innovationen würden nicht geleistet: "Dort werden einfache Teile konstruiert oder länderspezifische Anpassungen vorgenommen." Aber die Schwellenländer holen schnell auf, merkt Schröder an.

Lesen Sie weiter: Die wichtigsten Gründe für die Verlagerung.

Nach Branchen betrachtet, ist die Verlagerung in der Elektronik-Industrie am weitesten fortgeschritten. Auf Platz zwei folgt die Automobilindustrie. Dort stünden die Zulieferer unter besonders großem "Leidensdruck", urteilt der Berater, denn die Macht liege bei den wenigen Abnehmern. "Die Hersteller verlangen von ihren Lieferanten nicht selten einen Niedriglohnländer-Anteil von mehr als 30 Prozent. So etwas gibt es nur in der Autoindustrie."

Gewinner: China und Osteuropa

Als die drei wichtigsten Gründe für eine Verlagerung nennt Schröder: die Ergänzung eines bereits im Ausland bestehenden Produktionsstandortes, die niedrigen Lohnkosten und die Nähe zum Kunden. "Im internationalen Vergleich ist Deutschland zu teuer", sagt Schröder und führt beispielhaft die Lohnkostensätze (also Nettolohn plus Nebenkosten) auf , die einer der befragten Automobilzulieferer zahlt: Eine Arbeitsstunde in Deutschland kostet demnach etwa 79 Euro, in den Vereinigten Staaten sind es 60 Euro, in Südkorea 35, in China 18 und in Indien gut fünf Euro.

Die Dollar-Schwäche verschafft den USA Standortvorteile, ohne dass sich an den tatsächlichen Verhältnissen etwas geändert hat. Die beiden Regionen mit den höchsten Zuwachsraten, nämlich China und Osteuropa, unterzog Schröder einem detaillierten Standortvergleich mit Deutschland. Er fragte nach der Produktivität der Mitarbeiter vor Ort, nach Reisekosten, der Mitarbeiterfluktuation und den Kosten für den Support wie zum Beispiel Schulungen.

Allerdings äußerten sich nur etwa zwei Dutzend der Unternehmen zu den Kosten ihres Auslandsengagements. Das liege zum einen an der typischen Öffentlichkeitsscheu von Mittelständlern und Familienunternehmen, sagt Schröder. "Zum anderen kennt ein Teil der Unternehmen die Kosten selbst nicht. Auch ein Manko." So beruhen folgende Zahlen auf einer weitaus geringeren statistischen Basis als die vorangegangenen. Sie mögen vielleicht nicht repräsentativ sein - einen Anhaltspunkt geben sie dennoch:

In Osteuropa lagen die Lohnkosten im Jahr 2007 demnach bei 25,80 Euro pro Stunde, die Produktivität erreichte immerhin 73 Prozent des deutschen Niveaus. In China kostete die Stunde gerade mal 15,20 Euro, allerdings lag die Produktivität auch nur bei 50 Prozent. Der Supportaufwand etwa für Schulungen und die laufende Unterstützung, lag in Osteuropa bei 27 Prozent, in China bei 42 Prozent, bezogen auf den Stundensatz vor Ort. Die Fluktuationsquote der Entwickler in Osteuropa lag bei 12 Prozent, in China bei 19 Prozent.

Selbst wenn all diese Faktoren berücksichtigt werden, sind die beiden Regionen günstiger als Deutschland, wo die Lohnkosten im Schnitt 72 Euro je Stunde betrugen. Für Osteuropa errechnete Schröder einen Lohnkostenvorteil von fast 30 Euro je Stunde, für China sogar von gut 35 Euro - und das trotz der deutlich geringeren Produktivität dort. Allerdings schwankt in beiden Regionen die Produktivität von Firma zu Firma erheblich, sodass sich eine Verlagerung "nicht in jedem Fall lohnt", merkt Schröder an. Liegt die Leistung in China, wie ein Teilnehmer berichtete, nur bei einem Fünftel des deutschen Niveaus, wird der Auslandsausflug ziemlich teuer.

Schröders Prognose für das Jahr 2009 macht deutlich: Die Produktivität dürfte in beiden Regionen deutlich steigen, die Löhne allerdings auch. Dafür sinken die Supportkosten. Die Mitarbeiterfluktuation bleibe wohl unverändert hoch, erwartet Schröder. Einzelne Unternehmen berichteten von chinesischen Mitarbeitern, die schon wegen sehr geringer Gehaltsunterschiede den Arbeitsplatz wechselten.

Die "Landflucht" aus Deutschland lässt sich nach Einschätzung Schröders nicht verhindern, aber bremsen. Schröder wäre kein Berater, wenn er nicht ein paar Handlungsfelder ausgemacht hätte: Die Deutschen müssten lernen, Markt-trends noch früher zu erkennen und sich ihre Erfindungen patentieren zu lassen. "Sonst muss man am Ende für eigene Erfindungen Gebühren zahlen", warnt er. Auch gebe es viel zu selten Vernetzungen mit anderen Firmen. "Unternehmen, die allein zu klein sind, um Grundlagenforschung zu betreiben, sollten sich mit anderen zusammentun." Außerdem sollten sich die Firmen auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren. Das heiße etwa auch, Ideen, die das eigene Produktportfolio nicht weiterbringen, in Formen von Ausgründungen zu verselbständigen.

Eine überraschende Erkenntnis hält die Studie schließlich noch bereit: Trotz aller Kostenvorteile ist ein Drittel der befragten Unternehmen unzufrieden mit der Verlagerung. Neben der hohen Mitarbeiterfluktuation, der geringen Qualifikation des Personals und der niedrigen Effizienz klagten die Unternehmen vor allem über einen hohen Aufwand für Betreuung und Koordinierung und über verstärkte Kommunikationsprobleme. Eine der größten Ängste, die Unternehmer vor einer Verlagerung plagen, findet sich hingegen erst auf Platz sieben: der Verlust von Know-how durch Produktpiraten.

© SZ vom 17.04.2008/sme/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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