Familienunternehmen:Der Traum des Herrn Gattaz

In Frankreich gibt es viele Kleinbetriebe und viele Großunternehmen, aber kaum etwas dazwischen - das will die französische Regierung jetzt ändern.

Michael Kläsgen

Gut, dass es den deutsch-französischen Abend im Pavillon Dauphine gab, sonst hätte man den französischen Mittelstand womöglich gar nicht mehr gefunden. Jedenfalls nicht den, um den sich Frankreichs Politik jetzt kümmern will, jenen der mittelgroßen Familienunternehmen. Doch dann steht er plötzlich vor einem, in Person von Yvon Gattaz, eines älteren, aber fidelen Herrn, und grinst.

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Yvon Gattaz kämpft seit 25 Jahren für die Belange mittelgroßer Familienunternehmen.

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Gattaz reicht eine Visitenkarte, die nur so gerade eben Platz für all seine Funktionen bietet. Unter anderem ist er der Gründer und Aufsichtsratsvorsitzende von Radiall, einem Fabrikanten von Verbindungsstücken für Kabel in Militär- und Zivilflugzeugen, Autos und Telefonen.

Erfüllung eines Traumes

Gattaz ist aber auch Vorsitzender des Verbandes mittelgroßer Firmen, Asmep, und als solcher leidenschaftlicher Fürsprecher in eigener Sache. Seit 25 Jahren kämpft er für die juristische Anerkennung dieser Kategorie: mittelgroße Familienunternehmen mit 250 bis 5000 Beschäftigten wie seine Radiall.

Dank Nicolas Sarkozy geht Gattaz' Traum nun in Erfüllung. Der Staatspräsident hat es ihm öffentlich versprochen. In einer Rede im Senat sagte er im März: "Du hast recht, Yvon. In Frankreich gab es bisher entweder eine Politik für Klein- und Kleinstbetriebe oder für Großunternehmen. Aber die dazwischen hat man vergessen."

Der Grund ist simpel: "Von uns mittelgroßen Unternehmen gibt es schlicht nicht genug", sagt Gattaz. Sarkozy will das nun ändern: Bis 2012 will er 2000 Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten entstehen sehen.

Gattaz geht noch weiter: "Diese Firmen sollen zur Speerspitze des Wachstums werden, so wie der Mittelstand in Deutschland." An Deutschland misst und reibt man sich in Frankreich diesbezüglich gern.

Firmen, scheu wie Rehe

Einen Splitter jener neuen Speerspitze möchte man natürlich gern mal aus der Nähe sehen. Da bietet sich Radiall an, Gattaz' eigenes Unternehmen.

Sein Sohn Pierre führt es seit 1993, seit seinem 33.Lebensjahr. Die Firmenzentrale sitzt im Pariser Vorort Rosny-sous-Bois. Hier öffnet sich die Welt eines durchschnittlichen französischen Mittelständlers, und was sich da zeigt, ist vermutlich symptomatisch: Der Sitz liegt wie ein hässliches Entlein an einer Ausfallstraße neben einem Hochhausviertel und wirkt, als müsse er dringend mal gewaschen werden. Mal was anderes im Vergleich zu den schillernden Vorzeigebauten in Paris.

Auch der Empfang von Gattaz junior ist erfrischend anders: "Ich kenne Sie nicht, ich weiß nicht, was Sie wollen, und ich habe nur 35 Minuten Zeit", beginnt er. Und ob er nicht am Ende des Gesprächs Tausende Euro für irgendwas zahlen müsse, so was komme ständig vor.

Irgendwie wird dann doch alles noch ganz nett, aber man denkt sich: So ein mehr oder minder typisches Familienunternehmen ist nicht nur schwer aufzutreiben, es ist auch scheu wie ein Reh. Es hat offensichtlich keine (guten) Erfahrungen mit der Presse, und das wahrscheinlich, weil die sich kaum für solche Unternehmen interessiert. Dabei beliefert Radiall Airbus und Boeing, macht 200 Millionen Euro Umsatz und beschäftigt immerhin 2500 Menschen rund um den Globus.

Teurer Börsengang

Gattaz junior ist mächtig im Stress. Es ist nach 18 Uhr, er ist einer der Letzten im Gebäude, eine Raumpflegerin wischt durch die Flure. Er joggt für eine Miniführung des Unternehmens an ihr vorbei. Auf die Frage, wie alt er sei, muss er kurz nachrechnen: 48. Dann huscht er zur Telefonkonferenz und erzählt doch noch recht offenherzig, unter unablässigem Vibrieren seines Knies, was der Urfehler des Unternehmens war: der Börsengang 1987. Leider war der nicht zu vermeiden, ein Finanzier hatte ihn erzwungen. Auszahlen oder Börsengang? Es blieb nur die Börse.

Die verpflichtet Radiall zur quartalsweisen Veröffentlichung der Geschäftszahlen, was Verwaltungs-, Juristerei- und andere Kosten nach sich zieht. Und bei einem Unternehmen dieser Größe fallen die ins Gewicht. Aber der Rückkauf der 27 Prozent ist Gattaz junior zu teuer. Er rät jedem Familienunternehmen vom Börsengang ab.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was sich Yvon Gattaz von der Regierung Sarkozy verspricht.

Der Traum des Herrn Gattaz

Wohl auch deswegen ist Radiall ein passendes Beispiel für die Probleme mittelgroßer französischer Familienunternehmen: Es steht für eine relativ geringe Eigenkapitaldecke. Und auch die andere grundsätzliche Schwäche der französischen Wirtschaft macht Gattaz junior mit einem Satz plastisch, nämlich die mangelnde Zahl von Familienunternehmen: "In Frankreich haben wir eigentlich keinen Konkurrenten", sagt er, "in Deutschland jedoch sechs oder sieben."

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Pierre Gattaz ist Chef Radiall und außerdem noch Verbandschef der Elektroindustrie.

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Alles Weitere könne dann wirklich sein Vater besser beantworten. Er selber müsse jetzt noch an einem Bericht für die Regierung arbeiten. Denn wie sein Vater hat auch Pierre mehrere Hüte auf: Er ist zusätzlich Verbandschef der Elektroindustrie. Es wird am Ende ein Bericht von 192 Seiten sein, gespickt mit Graphiken und Tabellen und 20 Vorschlägen.

Hoffen auf Sarkozy

Außenhandelsminister Hervé Novelli hatte ihn in Auftrag gegeben. Es ist nicht der einzige Bericht, den er bestellte. Auch der Wirtschaftsberater Christian Stoffaës (siehe Interview) überreichte dem Minister einen eigenen Bericht mit dem Titel: "Mittelstand: notre chaînon manquant" - unser fehlendes Glied in der Kette.

An Studien, Umfragen und Analysen zu dem Thema fehlt es wahrlich nicht. Häufig wird der Mangel an mittelgroßen Unternehmen als wichtiger Grund für die Exportschwäche Frankreichs angeführt. Und die wiederum dient den Franzosen dazu, sich in geradezu selbstquälerischer Weise mit Deutschland zu vergleichen.

"Seit 40 Jahren will die Politik den kleinen und mittelgroßen Unternehmen helfen, aber nichts hat bisher gefruchtet", sagte der ehemalige Innenminister Jean-Pierre Chevènement Anfang des Jahres auf einer Podiumsdiskussion.

Yvon Gattaz, der Vater, sieht das ganz ähnlich, auch wenn er sonst mit Linken wie Chevènement nicht viel am Hut hat und fest daran glaubt, dass mit Sarkozy alles besser wird.

Die Sozialisten und die 68er macht er hingegen für die Schwäche der Familienunternehmen verantwortlich. Als François Mitterrand 1981 an die Macht gekommen sei, der bisher einzige sozialistische Präsident der fünften Republik, da habe er die Erbschaftsteuer verdoppelt und es Familienunternehmern schwerer gemacht, die Firma an die nächste Generation zu übergeben.

Bis zu 40 Prozent Abgaben hätten Angehörige zahlen müssen, klagt Gattaz. Er war damals Präsident des Arbeitgeberverbandes Medef und einer der schärfsten Gegner Mitterrands. Noch heute litten die Familienunternehmen darunter, Studien (mal wieder Studien) belegten das. Dank Sarkozy soll die Abgabenquote nun auf zehn Prozent sinken.

Clubs der Schwellenängste

Ein Gräuel ist Gattaz senior auch die Vermögensteuer: "In Frankreich mag man Reiche nicht", sagt er. Und all die Regelungen zur gewerkschaftlichen Mitbestimmung. "So entstand in Frankreich der Club der neun und der Club der 49": Firmen ab neun Beschäftigten bräuchten einen Personalvertreter und solche mit 49 Mitarbeitern einen Betriebsrat. Diese Schwelle scheuten viele, denn das bringe Kosten und Scherereien mit sich. Um Wachstum gehe es da gar nicht mehr.

Nun ja, so etwa 40 Weltmarktführer hat der französische Mittelstand aber doch hervorgebracht, meint Gattaz: Der Zartgemüseverpacker Bonduelle und der Edelmöbelfabrikant Ligne Roset gehören zu den in Deutschland bekanntesten.

Sie sind die großen Vorbilder für den Rest der 4000 mittelgroßen Familienunternehmen, repräsentativ allerdings sind sie nicht, ebenso wenig wie die von Familien dominierten Großunternehmen.

Und dann muss Gattaz senior auch schon wieder weiter. Schnell drückt er einem noch sein neuestes Buch in die Hand. Nebenbei erfährt man, dass er den ausländischen Besucher an seinem 83. Geburtstag empfangen hat.

Familienunternehmer, zumindest solche wie er, machen offenbar selten einmal Pause - vielleicht ein weiteres Charakteristikum mittelgroßer Familienunternehmen.

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