Süddeutsche Zeitung

Initiative "Check My Ads":Wie Firmen ungewollt Fake News finanzieren

Lesezeit: 4 Min.

Vielen Firmen ist nicht bewusst, wo ihr Werbegeld genau hinfließt. So unterstützen sie Plattformen, die Falschmeldungen verbreiten. Ein Start-up will das nun verhindern. Doch es hat mächtige Gegner.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es gibt dann ja immer noch RexMD. Das ist eine Firma, die Potenzmittel diskret in weißen Umschlägen an die Leute liefert. Die Reklame dafür läuft derzeit auf dem amerikanischen TV-Sender OAN, während eines Dokumentarfilms über Donald Trump, der mehr anbiedernde Lobhudelei ist als journalistisches Werk. Oder Superbeets, eine Firma, die als Nahrungsergänzungsmittel Gummibärchen vertreibt, zu sehen auf Fox News bei Tucker Carlson, während der gegen Klimaaktivisten und Waffengesetze wettert.

Darum soll es jetzt ganz explizit nicht gehen, und es ist wichtig, diesen Unterschied zu kennen. Firmen können werben, in welchem Umfeld auch immer sie wollen. Wenn also die Potenzpillenfirma glaubt, besonders viele Interessierte unter OAN-Zuschauern zu finden, dann möge sie dort werben. Was aber, wenn ein Unternehmen Vermittlern vertraut, die richtigen Plattformen für die gewünschte Zielgruppe zu finden und sich herausstellt, dass die Werbung zwischen lauter Verschwörungsmythen zu sehen ist? Oder das Geld letztlich doch bei OAN und Fox News landet?

Zu überprüfen, ob genau das passiert, hat sich die gemeinnützige Organisation "Check My Ads" (auf deutsch: überprüf meine Werbespots) zur Aufgabe gemacht. Es will für Transparenz im Werbedschungel sorgen und gegen die ungewollte Finanzierung offensichtlicher Falschmeldungen vorgehen. Nach einigen Erfolgen gibt es nun ein neues, prominentes Ziel: Fox News.

Zwei Milliarden Dollar sollen Fake-News-Seiten pro Jahr von Vermittlern bekommen

Um zu verstehen, was da passiert, sollte man wissen, wie die Verteilung von Werbegeldern im Internet oftmals funktioniert: Eine Firma will Internetwerbung schalten, kann sich aber aufgrund von Budgetrestriktionen nicht leisten, selbst mit den Betreibern der Webseiten zu verhandeln. Dafür gibt es Vermittler, von denen Google der mächtigste ist. Man kann Google nun blind vertrauen, was nur selten eine gute Idee ist, oder Präferenzen angeben, in welchem Umfeld geworben werden soll. Nur garantiert das keineswegs, dass Google diese Vorgaben auch umsetzt, denn 90 Prozent der Anzeigen werden automatisiert vermittelt.

Ein Beispiel: Steve Bannon, der Darth Vader unter den rechtpopulistischen Provokateuren, gilt in der Werbeindustrie nicht nur wegen seiner engen Verbindungen zu Donald Trump als jemand, auf dessen Plattformen Reklame eher heikel ist. Sein Unternehmen "Real America's Voice" ist ein wahres Füllhorn für Falschmeldungen, nur: Es gehört zu einem Konzern mit dem unverbindlichem Namen "Performance One Media", zu dem drei weitere Kanäle mit Wetter, Fischen und Jagen, Infomercials gehören. Es heißt in der Beschreibung von Real America's Voice, dass es "die erste Zuschauer-gesteuerte News-Plattform des Landes" sei. Von Bannon steht da kein Wort.

Das Ziel von Check My Ads ist es, Unternehmen darüber aufzuklären, dass ihre Werbegelder an Bannon und andere Zündler wie etwa Dan Bongino, Ben Shapiro oder Glenn Beck fließen. Laut einer Studie der Analysefirmen "News Guard" und "Comscore" nehmen Fake-News-Webseiten mehr als zwei Milliarden Dollar pro Jahr damit ein, dass ihnen Gelder von Vermittlern zugeschustert werden. Mittlerweile haben viele Vermittler die schlimmsten Verschwörungstheoretiker ausgeschlossen, und das führt nun direkt zu Fox News.

Wer auf dem TV-Kanal wirbt, der weiß genau, was er da tut, und es ist schon auffällig, dass dort nicht mehr die ganz großen Namen zu sehen sind wie noch vor einigen Jahren. Hier eine Aufzählung der Werbetreibenden bei Tucker Carlson am Mittwochabend: Fertiggerichte, Gesichtshaar-Trimmer, Schmerzmittel beworben vom Rechtspopulisten Larry Elder und natürlich die Kissen von "My Pillow Guy"-Mike Lindell. Der behauptet noch immer öffentlich, er könne beweisen, dass Donald Trump die Wahl 2020 nur wegen Betrug verloren habe.

Nur: Was auf Fox News zu sehen ist, wird auch auf dem Youtube-Kanal des Senders gezeigt, daneben gibt es Reklame. Die Werbetreibenden hätten immer und immer wieder gesagt, dass sie keine Gewalt finanzieren wollten, sagt Check-My-Ads-Gründerin Claire Atkin. "Es ist deshalb erschütternd zu sehen, wie noch immer Werbegelder an Fox News fließen."

Sie wirft dem Medienkonzern vor, den Sturm auf das Kapitol in Washington am 6. Januar 2021 angestachelt und unterstützt zu haben und derzeit nicht mal über die Untersuchungen zu berichten, im Gegenteil: Tucker Carlson zum Beispiel verbreitete in der Serie "Patriot Purge" zahlreiche Verschwörungsmythen wie etwa jene, dass die Attacke in Wirklichkeit von linksliberalen Aktivisten gestartet worden sei.

Fox News ist ein Meister im Seiltanz an der Grenze zu justiziablen Falschmeldungen

Fox News verurteilt die Initiative von Check My Ads in einem Statement als Zensur und Angriff auf das Recht auf Redefreiheit, und es ist auch wichtig zu wissen, dass sich Check My Ads nicht unbedingt dafür einsetzt, dass keine Fake-News-Plattform mehr Werbedollar bekommt, sondern gezielt Aktionen gegen Rechtspopulismus richtet. Die Strategie ist nicht, die Leute zum Boykott von Werbetreibenden aufzurufen, sondern den Druck auf jene zu erhöhen, die Werbegelder von oftmals unwissenden Firmen an rechtspopulistische Verschwörungstheoretiker weiterleiten - mit Erfolg: Google zum Beispiel hat Bonginos Webseite entfernt, OpenX die von Beck und Yahoo verzichtet auf Performance One Media.

Das aktuelle Ziel: keine Online-Werbegelder mehr für Fox-News-Plattformen. Das wird nicht einfach, weil der Medienkonzern ein Meister darin ist, einen Seiltanz an der Grenze zu justiziablen Falschmeldungen zu vollführen. Zur Not argumentiert es vor Gericht, dass niemand bei Trost das, was Tucker Carlson da allabendlich aus dem Mund plumpsen lässt, für die Wahrheit halten könne. Zweitens: Es gibt ja nicht nur Fox News, sondern auch den mächtigen Mutterkonzern Fox. Ihn zu verschmähen, ist schwierig.

Selbst bei Erfolg ist fraglich, ob Fox News von einer erfolgreichen Initiative wirklich getroffen würde. Einnahmen aus Onlinewerbung machen weniger als fünf Prozent des Profits aus. Den Löwenanteil generiert immer noch der TV-Sender mit seiner Werbung für Potenzpillen, Schmerzmittel und natürlich My Pillow Guy - der gerade mal wieder von Twitter verbannt wurde, weil er seine Erzählungen zum vermeintlichen Wahlbetrug auf einem neuen Account verbreitet hatte.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Textes haben wir in der Bildunterschrift fälschlichweise die im Text erwähnte Check-My-Ads-Gründerin Claire Atkin erwähnt. Im Bild ist jedoch die Co-Gründerin Nandini Jammi zu sehen.

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