Das Bundeskartellamt hat Onlinehändler, Suchmaschinen und E-Commerce-Plattformen dazu aufgerufen, offensiver gegen gefälschte Produktbewertungen vorzugehen. Die Bonner Wettbewerbsbehörde wendet sich mit ihrem Appell direkt auch an die Verbraucher und gibt konkrete Tipps, wie diese sich vor Fake-Bewertungen schützen können. "Lesen Sie, falls möglich, immer mehrere Bewertungen zu einem Produkt beziehungsweise Unternehmen", schreibt das Kartellamt etwa anlässlich der Veröffentlichung seiner Studie. Und: "Geben Sie auch solchen Produkten oder Dienstleistungen eine Chance, die noch keine oder wenige Bewertungen haben."
Der Vorstoß ist ein bemerkenswerter Schritt. Die Wettbewerbshüter schlüpfen hier nach Ansicht von Experten in eine neue Rolle. Der Appell könnte ein erster Schritt in Richtung Verbraucherschutzbehörde sein. Franz Hofmann, Professor an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, bewertet das das positiv: "Verbraucherrecht muss durchgesetzt werden", sagt er. Die Frage ist nur, wie und von wem? Sollen die Internetunternehmen gefakte Bewertungen selber aus der Welt schaffen oder muss eine Behörde mit Bußgeldern drohen und schließlich das Recht durchsetzen? Falschbewertungen seien illegal, irreführend und müssen transparent gemacht werden, sagt dazu Hofmann. Das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb greift hier.
Bundesgerichtshof:Bewertungsportale dürfen Kommentare aussortieren
Eine Fitnessstudio-Betreiberin hält die Bewertungsprozedur des Portals Yelp für grob verzerrend. Sie hatte dagegen geklagt - und verloren.
In Deutschland wird der Verbraucherschutz zwar ernst genommen, vor allem die Verbraucherzentralen sind hier aktiv. Auch sie gehen gegen Fake-Bewertungen vor. Aber wer ist letztlich dafür zuständig, Verstöße zu ahnden? Wenn Verbraucherinnen oder Verbraucher für ein Produkt etwas mehr zahlen, als sie es hätten tun müssen, oder aufgrund einer positiven Fake-Bewertung im Internet ein Produkt kaufen, das sie sonst nicht gekauft hätten, geschieht in der Regel: nichts. Für Hofmann liegt es in der "rationalen Apathie" begründet, dass niemand dagegen vorgeht. Es lohne sich einfach nicht.
Fake-Bewertungen werden da zu einem besonderen Problem, weil sie so weit verbreitet sind, wie Kartellamtschef Andreas Mundt betont. Wie viele es davon gibt, sei unbekannt, sagt Tatjana Halm, Referatsleiterin Markt und Recht der Verbraucherzentrale Bayern. Auch dem Kartellamt liegen keine belastbaren Zahlen vor. Laut Marktwaechter.de, einem Frühwarnsystem der Verbraucherzentralen, schauen sich acht von zehn Internetkäufern Rezensionen anderer Kunden an, ehe sie bestellen. Mundt weiß, sie sind neben dem Preis das wichtigste Entscheidungskriterium beim Online-Kauf - obwohl viele Menschen zu Recht skeptisch sind.
Die Schwierigkeit besteht vor allem darin, sie überhaupt zu erkennen. Negativbewertungen sind relativ schnell identifiziert. Hier findet sich auch in der Regel schnell jemand, der dagegen vorgeht, sagt Hofmann. Positive Fake-Bewertungen sind hingegen schwieriger herauszufiltern. Werden sie von Bots erzeugt, also von automatisierter Software? Oder hat das gepriesene Hotel sie sich möglicherweise mit einem Gratismahl erkauft? Agenturen wie Fivestar Marketing haben aus dem Verkauf von möglichst vielen Sternen und Sonnen ein eigenes Geschäftsmodell entwickelt. Die Top-Bewertung von sechs Sonnen gab es für 19,95 Euro. Doch selbst wenn Gerichte solche Agenturen verurteilen, ist es kaum möglich, gekaufte Bewertungen völlig zu unterbinden. Solche Agenturen haben ihren Sitz in aller Regel außerhalb des deutschen Rechtsraums und wechseln von Land zu Land. Bisweilen stehen ihnen auch Fake-Kanzleien zur Seite, die anbieten, die Fake-Bewertungen zu löschen.
Das Buchungs- und Bewertungsportal Holidaycheck hatte im vergangenen Jahr erfolgreich gegen Fivestar geklagt. Das Portal hatte die Fälschungen von Fivestar nicht selber aufgedeckt, sondern reagierte auf den Hinweis eines Journalisten. Dennoch halten Experten es für glaubwürdig, wenn Portale wie Amazon, Jameda oder Kununu betonen, sie hätten keinerlei Interesse an Fake-Bewertungen, weil diese große Probleme nach sich ziehen können: unzufriedene Kunden, Beschwerden, Rechtskonflikte. Ein Amazon-Sprecher sagt, das Unternehmen setze maschinelles Lernen und erfahrene Prüfteams ein, um wöchentlich mehr als zehn Millionen Rezensionen zu analysieren und sie vor der Veröffentlichung zu entfernen. Amazon habe zudem etwa ein Dutzend einstweiliger Verfügungen gegen Anbieter von Fake-Bewertungen erwirkt.
Das Kartellamt empfiehlt, systematisch Tools anzuwenden, um Fake-Bewertungen aus dem Internet herauszufischen. Rechtsprofessor Hofmann bezweifelt, dass das machbar und sinnvoll ist: "Der Wunsch, alle Fake-Bewertungen mit Algorithmen aus dem Internet zu filtern, ist verständlich", sagt er. Algorithmen könnten aber auch irren. "Das darf aber nicht auf Kosten der Meinungsfreiheit gehen", warnt der Jurist. "Niemand will, dass eine echte Kundenbewertung gelöscht wird, nur weil ein Internettool sie nicht erkennt."
Online-Shopping ohne Kundenbewertungen will sich trotz aller Kritik auch niemand mehr vorstellen.