Abgasaffäre:Fiat kommt mit Abgas-Tricksereien durch - dank deutscher Gesetzeslücke

Abgasaffäre: Mit einem Campingmobil lockt die große Freiheit.

Mit einem Campingmobil lockt die große Freiheit.

(Foto: Bernard Jaubert/mauritius)

Verkehrsminister Dobrindt beklagt, er könne in der Abgasaffäre nicht gegen ausländische Autokonzerne vorgehen. Das Problem ist aber hausgemacht.

Von Klaus Ott und Katja Riedel

Für das Wort Finte gibt es im Duden 16 Umschreibungen, vom erlaubten Trick bis zur verwerflichen Lüge. Wie sich Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt in der Abgasaffäre im Fall Fiat verhalten hat, ist wohl irgendwo dazwischen einzuordnen. Als Ausflucht oder Täuschung. Auch das findet sich im Duden unter Finte.

Der Minister hat im Frühjahr heftig lamentiert über mutmaßliche Abgas-Schwindeleien von Fiat, seine Untersuchungs-Kommission zur Abgasaffäre hatte diese entdeckt. Bei Diesel-Fahrzeugen des italienischer Herstellers schaltet sich nach Erkenntnissen der Kommission die Schadstoff-Reinigung nach etwas mehr als 20 Minuten ab. Der Test auf dem Prüfstand dauert rund 20 Minuten. So ähnlich schummelte auch Volkswagen.

Skandal? Ja. Allerdings einer, der anders als bei VW weitgehend ohne Folgen bleiben dürfte. Denn, so die Gesetzeslage, nur das Land, das einen Fahrzeugtyp zulässt, kann auch Sanktionen verhängen, wenn Verstöße ruchbar werden. Und dieses Land ist Italien, Mutterland von Fiat. "Die italienischen Behörden müssen prüfen, ob die Vorschriften eingehalten wurden", erklärte Minister Dobrindt am 19. Mai in einer Pressemitteilung des Verkehrsressorts. Die Italiener stellten eigene Untersuchungen an und befanden: Alles in Ordnung bei Fiat. Ein Vorgang, der im Bundesverkehrsministerium ebenso wie im Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) für großen Ärger sorgte.

EU-Recht wurde nicht in nationales Recht umgesetzt

In der wütend formulierten Protestnote ist allerdings kein Wort darüber zu lesen, was ein Mitarbeiter des KBA in Flensburg zwei Wochen zuvor zum Fall Fiat notiert hatte. Das dem Ministerium unterstellte KBA war zu dem Ergebnis gekommen, dass Deutschland auch deshalb die Hände gebunden sind, weil es eine Gesetzeslücke gibt. Das EU-Recht erlaubt zwar ein sechsmonatiges Verkaufsverbot für neue Fiat-Dieselautos, wegen einer "ernsthaften Gefährdung der Umwelt oder der öffentlichen Gesundheit". Die betreffende Richtlinie sei aber "nicht vollständig in nationales Recht umgesetzt" worden.

Das ernüchternde Fazit des KBA, Referat 13, Organisation, Datenschutz, Recht, lautete schlicht: Wegen der Gesetzeslücke bestehe "keine Rechtsgrundlage für ein Verkaufs- bzw. Zulassungsverbot von Fahrzeugen der Fa. FCA".

Viele Modelle sind um ein Vielfaches schmutziger als erlaubt

Die Firma FCA, das ist Fiat Chrysler Automobiles. Die Italiener haben vor gut zwei Jahren den US-Konzern Chrysler übernommen und sich umbenannt. Sitz von FCA ist zwar Amsterdam, gesteuert wird der Konzern aber von Turin und den USA aus. Und das Verkehrsministerium in Rom stehe nun einmal auf dem Standpunkt, so Fiat, dass FCA die Grenzwerte für Stickoxide einhalte. Offiziell, im Labor, hält Fiat die Regeln ein. So hat es auch das KBA ermittelt, als die Flensburger Behörde nach Beginn der Abgasaffäre mehr als 50 Fahrzeuge zahlreicher Hersteller testete. Ganz andere Werte jedoch ergaben sich auf der Straße.

Viele Modelle sind um ein Vielfaches schmutziger als erlaubt. Offiziell gelten jedoch bis zum Herbst 2017 bei Neuzulassungen nur die Laborwerte. Als einer der schlimmsten Stinker erwies sich der Fiat Ducato, ein Transporter, auf dem auch viele Wohnmobile aufbauen. Mehr als 2500 Milligramm Stickoxide pro Kilometer registrierte das KBA; fast zehn Mal so viel wie erlaubt. Im Labor ergaben die Labortests beim Fiat Ducato nur 236 Milligramm.

Camping-Variante des Ducato sollte in Deutschland nicht zugelassen werden

Die meisten Hersteller sparen sich die Abgas-Reinigung auf der Straße weitgehend, weil der Motor angeblich geschützt werden müsse, was die EU bisher durchgehen lässt. Doch bei Fiat soll der Unterschied zwischen echtem Leben und Labor besonders groß sein. Indem die Schadstoff-Reinigung außerhalb des Prüfstandes noch viel systematischer und öfter abgeschaltet werde als bei Opel, Daimler und vielen anderen Herstellern.

Um trotz der Gesetzeslücke zumindest gegen den Ducato vorgehen zu können, hatte die Flensburger Behörde internen Unterlagen zufolge im Frühjahr ihrerseits trickreich agiert - jedoch vergeblich. Denn auf dem Ducato werden viele Reisemobile deutscher Hersteller aufgebaut.

Das KBA verfügte: Die Camping-Variante sollte in Deutschland einstweilen nicht mehr zugelassen werden. Schließlich würden die Reisemobile hierzulande fertiggestellt. Fahrgestell und Motor kommen aus Italien. Der Oberbau wird hier montiert. Doch kaum hatte das KBA damit begonnen, protestierte der Caravaning Industrie Verband in Deutschland (CIVD) am 27. Mai schriftlich bei Ekhard Zinke, dem Präsidenten der Flensburger Behörde.

Entzug der Zulassung war nach deutschem Recht nicht erlaubt

Die deutschen Reisemobil-Hersteller, die den Fiat Ducato verwendeten, müssten in Kürze ihre Produktion einstellen, "weil die erforderlichen Genehmigungen ( . . .) nicht mehr erteilt werden". Das sei für Firmen "existenzbedrohend". Und es sei rechtswidrig, weil für die Fahrzeuge die erforderliche Genehmigung aus dem zuständigen EU-Staat vorliege (gemeint war Italien).

Der Caravaning-Verbandspräsident Hermann Pfaff belehrte KBA-Präsident Zinke, dass dessen Behörde Zulassungen nur dann verweigern könne, wenn die "Sicherheit des Straßenverkehrs" gefährdet sei. Genau darum geht es bei der deutschen Gesetzeslücke. Die EU erlaubt nationale Eingriffe gegen ausländische Autokonzerne, sofern die Sicherheit auf der Straße, die Umwelt oder die Gesundheit bedroht sind.

Das Verkehrsministerium verweist Fragen an die Kollegen im Umweltressort

In nationales Recht hat Deutschland aber nur das erste Detail umgesetzt, die Sicherheit auf der Straße. Umwelt und die Gesundheit blieben unberücksichtigt. Und das, obwohl die Folgen hoher Diesel-Abgaswerte seit Jahren bekannt sind und vom Umwelt-Bundesamt regelmäßig gerügt werden: Schlechte Luft in den Innenstädten, wo ein Übermaß an Stickstoffoxiden ganz besonders Asthmatikern zu schaffen macht.

Die Grenzwerte werden regelmäßig überschritten, vor allem wegen des Straßenverkehrs. Andererseits will die Industrie ihre Fahrzeuge produzieren. Bei der Reisemobil-Variante des Fiat Ducato wäre es, legt man Angaben des Caravan-Verbandes im Protestbrief zugrunde, um ein Volumen von 750 Millionen Euro bis Ende 2016 gegangen.

Wer ist für die nationale Gesetzeslücke verantwortlich?

Caravan-Präsident Pfaff drohte mit rechtlichen Schritten. Ende Mai kamen Verkehrsministerium und KBA zu dem Schluss, dass die "Vorgehensweise gegenüber den Caravanherstellern rechtswidrig" sei und beendet werde. Die Reisemobile wurden wieder zugelassen. Bleibt die Frage, wer für die nationale Gesetzeslücke verantwortlich ist, die Minister Dobrindt bei seinen öffentlichen Attacken auf Fiat ("unkooperatives Verhalten") lieber unerwähnt ließ.

In seinem Haus wird an das Umweltministerium verwiesen, das sei wohl der bessere Ansprechpartner. Schließlich gehe es um eine Lücke beim Schutz der Umwelt. Das betreffende Paragrafenwerk in Deutschland trägt den Titel "Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge". Angewandt wird es vor allem vom Kraftfahrt-Bundesamt.

Der Duden umschreibt Finte übrigens auch mit Irreführung.

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