Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann ist nicht gut zu sprechen auf den Abgasskandal und die Konzerne, die ihm diesen Schlamassel mit eingebrockt haben. "Die Branche hat die Menschen in diesem Land belogen und betrogen", klagte Feldmann kürzlich. Der SPD-Politiker ahnt, was auf ihn und seine Bürger zukommt. Denn am Mittwoch verdonnerte ein Gericht die nächste deutsche Großstadt wegen schlechter Luft zu einem Diesel-Fahrverbot. Nach Hamburg, Stuttgart und Aachen wird damit auch Frankfurt von Richtern zum Einhalten der Abgasgrenzwerte und zu radikalen Mitteln gezwungen.
Das Verwaltungsgericht Wiesbaden gab am Abend eine entsprechende Entscheidung bekannt. Demnach muss die Stadt schnell handeln. Die Richter verlangen ein Fahrverbot für Diesel-Fahrzeuge der Norm Euro 4 und älter sowie für Benziner der Norm Euro 1 und 2 bereits ab Februar 2019. Für Euro-5-Diesel solle ein Fahrverbot ab September 2019 gelten. Das sei nötig, weil alle übrigen vom Land Hessen in Betracht gezogenen Maßnahmen für bessere Luft in "angemessener Zeit" kaum Effekte hätten, kritisierte das Gericht. Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe.
Das Urteil macht klar, wie ernst die Lage beim Abgasproblem in deutschen Städten ist. In 65 deutschen Städten überstieg die Schadstoffbelastung der Atemluft im vergangenen Jahr noch immer die gesetzlichen Grenzwerte. Doch bislang lehnt die Politik harte Einschnitte ab. Die ersten und bisher einzigen Fahrverbote gibt es seit 1. Juni in Hamburg. Sie gelten für zwei Straßenabschnitte im Stadtteil Altona, 600 Meter und 1,6 Kilometer lang. Konkrete Pläne gibt es noch in Stuttgart, wo ab kommendem Januar keine Diesel-Fahrzeuge mehr in die Umweltzone fahren dürfen.
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In keiner anderen Stadt könnte ein Fahrverbot die Bürger so hart treffen wie in Frankfurt. Denn die Stadt ist eine Art Diesel-Kapitale des Landes. Mit 43 Prozent ist der Anteil so hoch wie in keiner anderen deutschen Großstadt. In Berlin liegt er bei 26, in Hamburg bei 35 Prozent. Von den Dieselautos, die mit Frankfurter Kennzeichen unterwegs sind, dürfen künftig nur noch 48 Prozent durch die Innenstadt fahren - alle Fahrzeuge mit einer Euro-6-Norm. Immerhin 74 000 Fahrzeughalter müssten dann um das Zentrum der Stadt einen Bogen machen. Noch nicht mitgerechnet: 350 000 Pendler, die täglich nach Frankfurt fahren und von denen viele mit Dieselautos unterwegs sind.
Ausgerechnet kurz vor der Landtagswahl in Hessen am 28. Oktober steht die schwarz-grüne Regierung um Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) damit vor unangenehmen Entscheidungen. Das hessische Umweltministerium muss für Fahrverbote einen neuen Luftreinhalteplan vorlegen. Wann das geschehen kann, ist ungewiss. In Frankfurt rechnete man erst im kommenden Jahr mit einer neuen Regelung. Das Landesumweltministerium wollte sich nicht festlegen. Dort hieß es: "Die Fortschreibung von Luftreinhalteplänen erfolgt unabhängig von Landtagswahlen."
In Frankfurt hatte man sich bereits auf eine harte Entscheidung des Gerichts eingestellt. Zwar hatten die Stadt und das Land Hessen zuletzt nach Wegen gesucht, wie die Luft auch ohne Fahrverbote sauberer werden kann. Im Jahr 2017 wurden die Grenzwerte aber weiter in 114 Straßen überschritten. Besonders betroffen ist die Friedberger Landstraße, die durch die vergleichsweise enge Innenstadt führt. Die Sperrung einzelner Straßen lehnt die Stadt ab. Das mache keinen Sinn, im Fall des Falles müsse es flächendeckende Verbote geben, argumentiert Verkehrsdezernent Klaus Oesterling (SPD).
In Frankfurt wird aber auch ein bundesweites Problem klar: Denn offen ist, wie die Fahrverbote kontrolliert werden sollen. Da der Bund eine generelle Plakette ablehne, werde die Sache schwierig, sagte Oesterling. Die Polizei müsste die Papiere von Autofahrern auf Abgaswerte prüfen. Das für die Luftreinhaltung zuständige Landesumweltministerium spricht von einer "großen Herausforderung" für die Kommunen. In Stuttgart, wo ab Januar 2019 Fahrverbote gelten werden, wird über eine eigene Plakette nachgedacht. Im Falle solcher Kommunal-Plaketten müssten sich Dieselfahrer im Rhein-Main-Gebiet aber auf einen Flickenteppich unterschiedlichster Aufkleber einrichten. Zum Jahresende hin soll auch über Fahrverbote in Wiesbaden und Darmstadt entschieden werden, 2019 über eines in Offenbach.
Am hartnäckigsten wehren sich die Bayern
Neu entfacht wird drei Jahre nach Beginn des Abgasskandals nach dem Urteil auch die Debatte um eine Wiedergutmachung der Autohersteller. Die Stadt Frankfurt und die Landesregierung in Wiesbaden sind sich einig, dass die Automobilhersteller die Verantwortung für die Verbote tragen und verlangen, dass die Hersteller Kosten für Nachrüstungen tragen. Entsprechende Forderungen erhebt auch Ministerpräsident Bouffier. Die Stadt Frankfurt forderte am Mittwoch Abend finanzielle Hilfen von Bund und Ländern. "Bürger und Städte haben jetzt die Versäumnisse der Automobilindustrie, aber auch der Bundesregierung auszubaden", sagte Verkehrsdezernent Oesterling. Unter anderem müssten rund zwei Drittel der 340 Busse des Nahverkehrs nachgerüstet werden.
Der Druck auf die Branche dürfte noch wachsen, denn auch in anderen Städten stehen bereits Termine fest, an denen die örtlichen Verwaltungsgerichte ähnliche Urteile fällen könnten. In Berlin wird am 9. Oktober verhandelt. Am 24. Oktober ist Mainz an der Reihe und am 8. November tagt das Verwaltungsgericht Köln für die Städte Köln und Bonn. Für Nordrhein-Westfalen dürfte der Fall Aachen besonders interessant werden. Dort hatte das Verwaltungsgericht im Juni angeordnet, Fahrverbote in den Luftreinhalteplan aufzunehmen. Nach einer Berufung könnte das Oberverwaltungsgericht in Münster eine einheitliche Regelung für das ganze Bundesland schaffen.
Am hartnäckigsten wehren sich die Bayern. Dort haben Gerichte die Landesregierung mehrfach verklagt, den bestehenden Luftreinhalteplan anzupassen und Fahrverbote für möglich erklärt. Weil die Regierung nicht handelte, wurden mehrere Zwangsgelder verhängt. Wie Ende August bekannt wurde, lässt der Verwaltungsgerichtshof gerade auf EU-Ebene prüfen, ob eine "Erzwingungshaft gegen Amtsträger" durchzusetzen ist.