Fahrverbote:Dicke Luft

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In immer mehr Städten drohen Dieselfahrverbote. (Foto: Andreas Arnold/dpa)

14 Städten in NRW drohen Diesel-Fahrverbote. Das zuständige Gericht informiert sich ausgiebig - und hat am Ende eine Tendenz.

Von Christian Wernicke, Münster

Es geht gesittet zu vor Gericht. "Dies ist keine Talkshow", hatte Max-Jürgen Seibert, der Vorsitzende Richter am Oberverwaltungsgericht Münster, die versammelten Wissenschaftler im Saal ermahnt. Also zankt man sich zivilisiert über Leben und Tod.

Denn darum geht es. Nichts anderes hat Barbara Hoffmann gesagt, als sie mit präzisen Zahlen beschrieb, was Stickstoff-Dioxid (NO₂) dem Menschen so antut. Die Professorin für Umweltmedizin zitierte eine Studie, wonach jährlich circa 6000 Deutsche an Herz-Kreislauf-Erkrankungen sterben, weil sie NO₂ ausgesetzt sind. Und überall, wo viele Dieselautos die Stickoxid-Belastung in die Höhe treiben, da wachse die Gefahr für die Gesundheit: "Zehn Mikrogramm mehr im Jahresmittel erhöhen die Sterblichkeit um drei Prozent. Jedes Jahr." Man spürt: Dass EU-Normen verlangen, auf Europas Straßen bei mehr als 40 Mikrogramm Stickoxid je Kubikmeter Luft notfalls Fahrverbote zu verhängen, hält Hoffmann für richtig.

Da meldet sich Dieter Köhler zu Wort. Die "verehrte Kollegin" irre gewaltig, denn: "Gesundheitsgefahren beginnen erst bei 100, wahrscheinlich sogar erst ab 500 Mikrogramm!" Der Lungenfacharzt gelangte kürzlich zu kurzer Berühmtheit, als er eine Unterschriftenliste gegen angeblich sinnlos scharfe Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide lancierte - und später einen Rechenfehler einräumen musste. Der Leugner der herrschenden Luft-Lehre zeigte sich vor Gericht unbeirrt: "Wenn NO₂ auf natürliche Weise im Körper vorkommt, kann es per se nicht giftig sein." Köhler erntete mehr Kopfschütteln als Nicken im Saal. Auch Richter Seibert ließ nach zwei Tagen Experten-Anhörung durchblicken, dass er eher den Warnern als den Entwarnern zuneigt.

Es steht viel auf dem Spiel in diesem Verfahren. 2,1 Millionen Besitzer alter Diesel in NRW müssen fürchten, dass sie in Köln oder im Ruhrgebiet künftig nicht fahren dürfen. Bis zum Sommer wird das Gericht über drohende Fahrverbote in 14 NRW-Städten verhandeln, die sämtliche Diesel mit Abgasnormen Euro 1 bis Euro 5 träfen. In Aachen, Bonn, Köln, Essen und Gelsenkirchen hatten Verwaltungsgerichte in erster Instanz bereits Verbote als Noteingriff gegen Luftverschmutzung gebilligt. Andere Maßnahmen wie billigere Tickets für Busse und Bahnen genügten nicht, um die seit 2010 geltenden Grenzwerte für Stickoxide von 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft kurzfristig einzuhalten. In Essen droht deshalb sogar die Sperrung der Autobahn A 40.

Seibert, der langjährige Vorsitzende des für Umweltfragen zuständigen OVG-Senats, hat durchblicken lassen, wie er vorangehen will. Und wie nicht: "Die Grenzwerte sind geltendes Recht", sagt der Richter, "die stehen nicht zur Disposition." Schuld an drohenden Fahrverboten sei allein die Politik: "Dies hätte vermieden werden können, wenn die Probleme rechtzeitig angegangen worden wären." Auch sei es zu billig, nun die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die als Kläger den Prozess gegen die Landesregierung NRW angestrengt hat, zu attackieren: "Man kann nicht die Ehefrau dafür verantwortlich machen, dass sie den Patienten zum Arzt geschickt hat." Jürgen Resch, der DUH-Geschäftsführer nahm den Vergleich lächelnd zur Kenntnis.

Resch und seine Prozessgegnerin, NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser, zeigten sich unisono beeindruckt "von der Tiefe der Diskussion" vor Gericht. Fünf Stunden lang examinierte Richter Seibert etwa die Messmethoden der Behörden. "Vorbildhaft", lautete sein Fazit. Weniger gnädig fiel das Urteil über die Einlassungen eines Beamten des Bundesverkehrsministeriums aus, der über geplante Kontrollen von Fahrverboten "leider keine Angaben" machen wollte: "Sie sind nicht besonders hilfreich."

Ein Vertreter des Umweltministeriums deutete an, man erwäge mobile Kameras für stichprobenartige Kontrolle. DUH-Chef Resch wäre schon zufrieden, wenn die Polizei bei allen bisherigen Kontrollen von Parksündern oder von erwischten Rasern künftig auch prüft, ob der Diesel überhaupt fahren dürfe: "Dieser Beifang reicht uns völlig, um Wirkung zu erzielen."

Nach 15 Stunden Anhörung in dicker Gerichtssaal-Luft hat Richter Seibert noch nichts entschieden. Aber er hat in groben Strichen schon einmal ausgemalt, wohin sein Denken driftet: Er erwägt wohl Fahrverbote - aber dosiert. Auf Straßen, wo der Grenzwert von 40 Mikrogramm nur geringfügig gerissen wird, dürfte das Gericht weiterhin Diesel dulden. Und dort, wo es ohne "dieses letzte Mittel" partout nicht geht, möchte Seibert die Autofahrer in Aachen, Bonn oder Köln mit einer allerletzten Schonfrist zur Besserung bewegen: Das Gericht könnte Fahrverbote ankündigen, aber den Dieselbesitzern zunächst sechs oder zwölf Monate Aufschub gewähren. "Dann hätte man eine Motivation nachzurüsten," sinnierte der Richter. Wer nichts tue an seinem Diesel, "der fällt unters Verkehrsverbot."

© SZ vom 13.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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