Süddeutsche Zeitung

Fachkräftemangel:Bloß keine Zuwanderung

Viele Betriebe kämpfen mit Fachkräftemangel. Doch Deutschland sollte zunächst das eigene Potential nutzen, fordert Bundesagentur-Chef Weise - und nicht nur auf Zuwanderung setzen.

In der Debatte um die Anwerbung ausländischer Fachkräfte hat der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-Jürgen Weise, zur Nutzung eigener Potentiale aufgerufen. "Wir können nicht zulassen, dass Menschen in Arbeitslosigkeit sind, nur weil ihre Talente nicht genutzt werden", sagte Weise der Financial Times Deutschland.

Angesichts des Aufschwungs klagen viele Betriebe über einen Fachkräftemangel. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) forderte deswegen mehr Zuwanderung. Brüderle hatte eine Art Begrüßungsgeld vorgeschlagen, um ausländische Experten nach Deutschland zu locken. BA-Chef Weise sieht die Anwerbung von Fachkräften erst als zweiten Schritt. "Wer qualifizierte Kräfte haben und halten will, muss etwas bieten. Das können die Unternehmen selbst gestalten, da braucht man nicht nach dem Gesetz zu rufen."

Das gelte vor allem angesichts des Mangels in der Kinderbetreuung, der viele qualifizierte Frauen daran hindere, zu arbeiten. "Das Kinderbetreuungsangebot reicht nicht aus, und die Kommunen haben in der Krise keinen Spielraum", sagte Weise. "Es ist auch Sache von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, das so zu organisieren, dass Familie und Beruf vereinbar sind", betonte der BA-Chef.

Freizügigkeit von 2011 an

CSU-Chef Horst Seehofer hingegen hat sich grundsätzlich offen für niedrigere Hürden bei der Einwanderung von Fachkräften gezeigt. Allerdings müsse zunächst mit Qualifizierungen das einheimische Potential an Beschäftigten ausgeschöpft werden, sagte der bayerische Ministerpräsident.

Zudem sollten die Auswirkungen der von 2011 an greifenden EU-Freizügigkeit bei der Arbeitsplatzwahl abgewartet werden. Zahlreiche osteuropäische Beschäftigte können dann ungehindert eine Arbeit in Deutschland aufnehmen. Im nächsten Schritt könnten dann Erleichterungen für die Aufnahme von Spezialisten von außerhalb der EU greifen, sagte Seehofer. Bislang müssten diese ein relativ hohes Gehalt in Deutschland nachweisen: "Da kann man drüber reden, ob man dieses Einkommensgrenzen etwas nach unten verlegt", sagte Seehofer.

Eine Art Begrüßungsgeld für Zuwanderer lehnte Seehofer aber ab. Der CSU-Politiker räumte ein, es gebe in der Tat ein zunehmendes Fachkräfteproblem in Deutschland und besonders in Bayern. Allerdings habe man noch mehr als drei Millionen Arbeitslose, deren Potential genutzt werden müsse.

Gespensterdebatte

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt sagte im Deutschlandfunk, man müsse eine Vielzahl von Initiativen starten, um den Fachkräftemangel in den Griff zu bekommen. Dies müsse schon bei der vorschulischen Bildung anfangen. Zudem brauche die Wirtschaft mehr Frauen in technischen Berufen. Letztlich müsse auch die Zuwanderung ausländischer Spezialisten erleichtert werden.

Der Arbeitgeberverband BDA fordert seit längerem eine an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes orientierte Zuwanderung. Deutschland sei darauf schon aufgrund der demographischen Entwicklung angewiesen. Ein Punktesystem, mit dem die Bewerber bewertet würden, sei am besten zur Steuerung der Immigration geeignet, wird argumentiert.

Die Gewerkschaften wehren sich aber gegen verstärkte Zuwanderung. In Deutschland gebe es genügend Potentiale an Fachkräften bis hoch zum Ingenieur, heißt es bei der IG Metall. Auch Verdi hatte von einer Gespensterdebatte gesprochen. Wenn Fachkräftemangel absehbar sei, müssten die Unternehmen eben ausbilden. Nach IG-Metall-Angaben sind in Deutschland rund anderthalb Millionen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren ohne Berufsausbildung.

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