Fachkräftemangel:Deutschland ist selbst schuld am Fachkräftemangel

Schwierige Suche nach Fachkräften Fachkräftemangel

„Viele Jahre auf Zuwanderung angewiesen“ – Arbeiter in Fürstenwalde.

(Foto: Patrick Pleul/dpa)

Der Suche nach gut Qualifizierten wäre leicht zu vereinfachen: mit einem Einwanderungsgesetz, besserer Bildung und einem modernen Familienbild.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Auch ein Rekord kann ein Problem sein. Das zeigt die erfreuliche Meldung, wonach im Jahr 2017 so viele Bundesbürger einen Job hatten wie noch nie. Der Boom füllt die Staatskassen, wenige Menschen suchen Arbeit, alles positiv, klar. Und doch steckt im Rekord auch ein Mangel: ein Mangel an Fachkräften.

Mehr und mehr Firmen entgeht Geschäft, weil sie keine Ingenieure oder Softwareentwickler finden. Handwerker fehlen ebenfalls, genauso wie Altenpfleger. Im ganzen Land sind eine Million Stellen offen. Bis 2030 könnte die Lücke dreimal so groß sein. Wer Lösungen sucht, stellt etwas Bemerkenswertes fest: Deutschland verschlimmert den Mangel an Fachkräften, weil es so strukturkonservativ ist.

Beispiel Ausländer: Der Chef der Bundesagentur für Arbeit schätzt, Deutschland brauche jedes Jahr 300 000 Qualifizierte von außen. Ermöglichen würde das ein Einwanderungsgesetz, mit dem sich gezielt Fachkräfte anwerben lassen. Doch weil CDU und CSU dekadenlang darauf beharrten, Deutschland sei kein Einwanderungsland, gibt es so ein Gesetz immer noch nicht. Womöglich einigt sich auch die neue Bundesregierung nicht darauf, weil sich die Union auf eine Obergrenze versteift hat, seit so viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Dieses Versagen wäre leichter zu verkraften, wenn weiterhin viele Qualifizierte aus osteuropäischen EU-Staaten kämen. Doch sie werden zunehmend wegbleiben, weil ihre Heimat mehr gut bezahlte Jobs bietet.

Als hinderlich erweist sich auch das deutsche Bildungssystem. Was einer wird und verdient, hängt stark von der Herkunft ab. Wenn jeder achte junge Mensch ohne Berufsausbildung bleibt, mangelt es schnell an Fachkräften. Das Bildungssystem sollte sich weniger an den eloquent vorgetragenen Klagen von Akademikereltern ausrichten und verstärkt sozial Benachteiligte fördern. Etwa durch mehr Geld für Schulen in Problemvierteln und mehr Nachhilfe. Und durch Schultypen, in denen Kinder lange gemeinsam lernen statt so früh auf Gymnasium und andere Formen aufgeteilt zu werden.

Der Staat nimmt so viel wie in keinem anderen Land

Keineswegs hilflos wären die Deutschen auch, was den Engpass bei Altenpflegern oder Erziehern angeht. Es mangelt einfach an Wertschätzung, wenn solche Aufgaben mit kaum mehr als 2000 Euro im Monat entlohnt werden. Am besten bezahlt wird in Deutschland jene Dienstleistungsbranche, die sich am meisten um Geld und am wenigsten um Menschen kümmert: Banker und Versicherer. Wer die Prioritäten so herum setzt, darf sich nicht wundern, wenn zu wenig Absolventen soziale Berufe ergreifen.

Mehr Fachkräfte lassen sich auch gewinnen, wenn die Deutschen das konservative Familienbild vergangener Jahrzehnte überwinden. Die Vorstellung, Mütter sollten keinen Beruf ausüben, prägt bislang die Gesetze. Ja, es arbeiten inzwischen mehr Frauen. Doch der Staat nimmt ihnen als Zweitverdienern durch Ehegattensplitting und andere Regeln so viel vom Lohn weg wie in kaum einem anderen vergleichbaren Land.

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer schlägt mehr Kinderbetreuung vor, um Müttern den Weg in den Beruf zu ebnen. Damit hat er einen Punkt. Was er nicht erwähnt: Firmen könnten Frauen (und Männern) den Wechsel zwischen Teil- und Vollzeit erleichtern. Ja, Herr Kramer: Wer ernsthaft mehr Fachkräfte will, muss auch die traditionellen deutschen Hürden wegräumen, die er selbst errichtet hat.

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