Süddeutsche Zeitung

Fachkräftemangel:Friseure dringend gesucht

Lesezeit: 3 min

Immer weniger Menschen wollen anderen Menschen die Haare schneiden oder Dauerwellen legen. Das liegt nicht nur an der schlechten Bezahlung.

Von Thomas Öchsner, Schondorf

Detlev Beier sucht seit Anfang März. Mehr als 4000 Euro hat der Friseurmeister bereits für Inserate im Internet ausgegeben, um für seinen Salon neues Personal zu finden, in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Instagram, auf Fachportalen seiner Branche - ohne Erfolg. Monatelang rührte sich nichts. Jetzt hat sich wenigstens eine ausgebildete Friseurin gemeldet. Aber eigentlich sucht Beier gleich drei neue Vollzeitkräfte. "Nochmals kann ich so viel Geld für Stellengesuche nicht ausgeben", sagt er.

Beier, 50, ist seit 28 Jahren Friseur. Vor mehr als vier Jahren hat er sich in Schondorf am Ammersee selbständig gemacht. Aber das hat er noch nicht erlebt: "So schlimm war der Personalmangel in unserer Branche noch nie." Nur zwei Teilzeitkräfte hat er gerade, obwohl er den Salon vergrößert hat, von vier auf zehn Bedienplätze. Beier muss deshalb meist sechs Tage die Woche durcharbeiten, von neun Uhr morgens bis abends um 18 Uhr. "Gesucht", sagt er, "wird überall. Wenn Sie ein bisschen was können, kriegen Sie als Friseur oder Friseurin in jeder deutschen Stadt sofort einen Job."

Menschen, die anderen Menschen die Haare schön machen, sind rar geworden in Deutschland. Für Meisterinnen und Meister weist die Bundesagentur für Arbeit (BA) bereits seit Dezember 2016 einen "Fachkräfteengpass" aus. Bei den Fachkräften spreche auch einiges für einen sogenannten Engpassberuf, wie etwa die gestiegene Vakanzzeit, also die Zahl der Tage, bis wann eine offene Stelle besetzt worden ist, heißt es bei der Nürnberger Behörde. Besser sieht es auf dem Ausbildungsmarkt aus. Es lässt sich laut BA nicht erkennen, "dass das Interesse an dem Beruf abnimmt". Im Juli 2021 kamen in der Berufsgruppe "Körperpflege" (fast nur Friseurinnen und Friseure) auf 100 unbesetzte betriebliche Ausbildungsstellen mehr als 200 unversorgte Bewerber. "Der Beruf Friseurin ist bei den jungen Frauen immer noch unter den Top 10", sagt eine Sprecherin der Bundesagentur. Wie in vielen anderen Branchen ist allerdings auch im Friseurhandwerk die Zahl der Ausbildungsverträge coronabedingt im vergangenen Jahr deutlich zurückgegangen. "Insbesondere im Friseurhandwerk waren ja durch die Lockdowns die Berufsorientierung zum Beispiel durch Praktika kaum möglich und die Auswahlprozesse in den Betrieben sehr eingeschränkt", teilt die BA mit.

Wo hakt es also noch? Haare waschen und schneiden, Haare färben oder eine Dauerwelle legen - warum gibt es dafür nicht genug Fachkräfte?

Neun Euro für einen Herrenhaarschnitt - geht gar nicht, sagt der Saloninhaber

Herbert Gassert, 75, Vizepräsident des Zentralverbands des Deutschen Friseurhandwerks, frisiert seit 60 Jahren. Er sagt: "Es gibt viel zu wenige Ausbildungsbetriebe." Gassert schätzt, dass von zehn Betrieben "vielleicht noch einer ausbildet". Vielen Saloninhabern sei das zu mühsam. Sie hätten die Sorge, dass sich die Investition in den Nachwuchs nicht lohnt, "weil die später doch weggehen". Mitarbeiterinnen kämen nach Schwangerschaften nicht mehr zurück. Junge Menschen gingen lieber länger zur Schule oder auf die Uni, als einen Beruf zu ergreifen, an dem auch samstags gearbeitet wird. Auch Saloninhaber Beier bildet nicht aus. "Dafür habe ich keine Zeit", sagt er.

Zugleich hat sich jedoch der Bedarf vergrößert. 63 000 Friseursalons gab es zur Jahrtausendwende in Deutschland. Jetzt sind es mehr als 80 000, darunter viele Minibetriebe mit einem Jahresumsatz von weniger als 22 000 Euro - es gilt aber als offenes Geheimnis, dass nicht wenige dieser Salons schwarz deutlich mehr einnehmen. Diese Anbieter verstärken den ohnehin harten Preiskampf in der Branche, weil sie für ihre Dienstleistungen keine Mehrwertsteuer von bis zu 19 Prozent erheben müssen - und ärgern damit Saloninhaber wie Detlev Baier.

"Solche Billiganbieter verlangen in der Großstadt zum Beispiel neun Euro für einen Herrenhaarschnitt. Das sind, wenn sie schnell arbeiten, nicht mal 30 Euro die Stunde. Da kann mir doch keiner erzählen, dass die den branchenüblichen Mindestlohn und Abgaben an die Berufsgenossenschaft zahlen oder die gesetzlichen Hygienevorschriften so penibel einhalten wie wir", sagt er und fügt hinzu: "Ich zahle richtig gut, weit über Tarif. Ich kann aber auch keine 30 bis 40 Euro Stundenlohn zahlen. Das rechnet sich für mich nicht."

"Das ist körperliche Schwerstarbeit. Das ist anstrengend"

Das Friseurhandwerk gehört noch immer zu den am schlechtesten bezahlten Berufen in Deutschland. Nach Angaben des Tarifarchivs des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) werden hier mit die geringsten Ausbildungsvergütungen gezahlt, zum Beispiel 575 Euro in Nordrhein-Westfalen. Das liegt gerade noch über der gesetzlichen Mindestgrenze von 550 Euro im Monat. Angestellte Friseure verdienen auch oft nicht viel mehr als den gesetzlichen Mindestlohn von 9,60 Euro pro Stunde plus Trinkgeld. Dass so viele Fachkräfte in seiner Branche fehlen, führt Beier jedoch nicht nur auf die nicht gerade üppige Bezahlung zurück. "Viele haben keine Lust mehr auf einen Handwerksberuf. Friseur zu sein - das ist körperliche Schwerstarbeit. Das ist anstrengend."

Friseur zu werden, so sieht es der Saloninhaber, "wird man aus Leidenschaft. Die hat man oder hat man nicht." Beier ist zuversichtlich, dass die junge Frau, die sich bei ihm im Spätsommer gemeldet hat, genug Leidenschaft mitbringt. Sie darf jetzt erst einmal bei ihm auf Probe arbeiten. "Ich hoffe, das wird gut", sagt er. Trotzdem wird er weiter Personal suchen - und warten.

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