Zuwanderung:Was es wirklich braucht, damit Deutschland mehr Fachkräfte anzieht

Zuwanderung: Hubertus Heil (SPD, hinten), Bundesminister für Arbeit und Soziales, bei einem Besuch der Firma Sew-Eurodrive bei Toronto.

Hubertus Heil (SPD, hinten), Bundesminister für Arbeit und Soziales, bei einem Besuch der Firma Sew-Eurodrive bei Toronto.

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Die Ampel-Regierung will mehr Menschen nach Deutschland locken. Doch was sie vorschlägt, reicht nicht. Zuwanderer benötigen echten Service. Ein Gastbeitrag.

Von Edith Otiende-Lawani und Enzo Weber

Die Ampel-Regierung öffnet das Zuwanderungsrecht mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Eine richtiger, aber auch längst überfälliger Schritt. Angesichts des demografischen Wandels wird Deutschland künftig auf Zuwanderer angewiesen sein. Und schon heute halten Zugewanderte in etlichen Bereichen vieles zusammen: etwa in der Pflege und in der Gastronomie. Doch es gibt noch mehr Möglichkeiten, die noch nicht genutzt werden. Gerade in der beruflichen Entwicklung der Zuwanderer. Die entscheidende Frage lautet: Was machen wir aus der Zuwanderung? Hier geschieht bislang viel zu wenig.

Nach Vorstellungen der Ampel-Koalition soll der anerkannte Berufsabschluss künftig nicht mehr zwingend erforderlich sein. Das erleichtert zwar die Zuwanderung. Qualifikation ist aber für die berufliche Entwicklung zentral. Deshalb muss gelten: Hürden runter, Förderung hoch! Die Verfahren zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse waren bisher oft zu langwierig und zu kompliziert. Dabei liegt in diesem Prozess eine große Chance. Hier kann man Menschen erreichen und Perspektiven eröffnen! Deutschland muss diese Verfahren nicht als lästige Pflicht begreifen, sondern als umfassende und proaktive Serviceleistung. Hier sollen Kompetenzen erkannt, gezielte berufsbegleitende Qualifizierung initiiert und Sprachförderung organisiert werden. Dafür müssen staatliche Institutionen Kapazitäten ausbauen und eng mit den Arbeitgebern kooperieren. Denn Betriebe sind ein sehr guter Ort für berufliche und auch soziale Integration, aber sie brauchen auch eine systematische Unterstützung. Wichtige Helfer können Organisationen der Diaspora in Deutschland sein. Sie können Zugewanderte unterstützen und so auch die Behörden von langwierigen Verfahren entlasten. Unternehmen wiederum können von Erfahrungen der Organisationen profitieren, um für Zuwandernde attraktiv zu werden, gezielt Fachkräfte anzuwerben und Integration zu erleichtern.

Zugleich bieten auch die familiären und sozialen Bindungen der Zuwanderer in ihre Herkunftsländer Chancen. Ein Austausch mit der Diaspora in Deutschland kann wesentlich dazu beitragen, Entwicklung und Stabilität in diesen Ländern zu fördern. Beispielsweise können Rückkehrende dort in Bildungseinrichtungen und Unternehmen eingebunden werden und erlerntes Wissen, soziale Werte und Praxiserfahrung weitergeben. Die Koordination kann durch Netzwerke der Diaspora erleichtert werden. Durch ein solches Engagement in den Herkunftsländern entstehen automatisch weitere Kontakte nach Deutschland. Und genau diese Netzwerke vor Ort brauchen wir, um die Möglichkeiten in Deutschland bekannt zu machen, um deutsche Sprache und Qualifikationen zu vermitteln, um eine nachhaltige Migrationspolitik in direktem Austausch zu betreiben. Eine solche Partnerschaft sollte auch unbedingt zentraler Bestandteil bilateraler Migrationsabkommen sein, nicht nur die Öffnung für Zuwanderung und Kooperation bei Rückführungen.

Integration in Deutschland und Bindungen an die Herkunftsländer sind dabei kein Widerspruch. Im Gegenteil. Die Bindungen lassen sich für Deutschland nur nutzen, wenn man auf gute Integration bauen kann. Es geht schließlich um Lebensentscheidungen - darum, Ausbildung, Erwerbstätigkeit und Familie zu verbinden, in verschiedenen Lebensphasen. Und auch aus Sicht der Firmen ist Migration nicht unbedingt mehr nur ein einmaliger Ortswechsel. Spätestens nach Corona gibt es vielfältige Möglichkeiten, Menschen digital auch auf Distanz in Wertschöpfungsprozesse einzubinden. . Sei es vor einer möglichen Migration oder nach einer Rückkehr.

Auf ein solches Bild von Zuwanderung sind wir noch nicht eingestellt. Zum Beispiel erlöschen Aufenthaltstitel üblicherweise, wenn die Person mehr als sechs Monate außerhalb Deutschlands verbringt oder "aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehendem Grunde ausreist". Welche Potenziale gehen uns da verloren! Sie könnten Deutschland an die Welt binden, einen langfristigen nachhaltigen Austausch sichern, eine sichere Perspektive für Menschen schaffen, die unser Land voranbringen. Die Fristen für Aufenthalte außerhalb Deutschlands müssen deshalb deutlich länger werden. Kanada und Frankreich etwa sehen drei Jahre vor.

Im 21. Jahrhundert wird es höchste Zeit: Wir müssen Migration viel mehr als bisher aus der Sicht der Menschen sehen, die unser Land bereichern - und die Frage nach ihren Chancen stellen, Integration fördern und Bindungen nutzen. Dann hätten wir nicht nur ein neues Gesetz, sondern eine Zeitenwende der Migration.

Edith Otiende-Lawani ist Juristin und Mitgründerin von Give Africa a New Face, eine Organisation, die Entwicklungskooperationen zwischen Europa und Afrika fördert.

Enzo Weber ist Ökonomie-Professor in Regensburg und forscht am Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, einer Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit.

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