Wirtschaft:Darum geht es beim Fachkräftegipfel im Kanzleramt

Für die deutsche Wirtschaft ist der Fachkräftemangel das größte Geschäftsrisiko. Die Bundesregierung will nun stärker auf Zuwanderer aus Nicht-EU-Staaten setzen.

Bei den Bemühungen gegen den Fachkräftemangel will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil auch die Firmen in die Pflicht nehmen. "Ich glaube, wir müssen mit der deutschen Wirtschaft darüber sprechen, was die Wirtschaft selbst macht", sagte der SPD-Politiker in der ARD mit Blick auf den Fachkräftegipfel im Kanzleramt am Montag. Heil forderte, die Regierung müsse dann unterstützen und bürokratische Hürden etwa bei der Visumserteilung abbauen. Er sei zuversichtlich, dass dies gelinge, sagte Heil in der Sendung "Bericht aus Berlin".

Deutschland wird in den kommenden Jahren zunehmend auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen sein, teilt die Bundesregierung mit. Und diese Fachkräfte sollen zu einem großen Teil aus Ländern außerhalb der Europäischen Union kommen. Wie das klappen soll, wollen Kanzlerin Angela Merkel (CDU), mehrere Bundesminister, Vertreter von Ländern, Wirtschaft und Gewerkschaften an diesem Montag ab dem späten Nachmittag bei einem Spitzentreffen in Berlin beraten.

Darum geht es: Die Fachkräftestrategie beruht auf drei Säulen

Deutschland steht mit anderen Ländern im Wettbewerb um Fachkräfte. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das Anfang März in Kraft tritt, soll qualifizierten Arbeitnehmern aus Nicht-EU-Staaten deutlich leichter und schneller den Weg nach Deutschland ebnen.

Dahinter steht eine Fachkräftestrategie der Bundesregierung, die auf drei Säulen basiert. Zum einen soll das Fachkräftepotenzial im Inland besser genutzt werden. So sollen Arbeitslose qualifiziert werden, damit sie einen Job finden. Zum anderen soll es weiter Zuwanderung aus EU-Staaten gehen. Die Regierung geht aber davon aus, dass die Zuwanderung aus der EU abnimmt - weil diese Länder ihre Fachkräfte selbst brauchen und ebenfalls vom demografischen Wandel betroffen sind, also der Alterung der Bevölkerung.

Deswegen soll nun die "dritte Säule" gestärkt werden: die Einwanderung von Fachkräften aus sogenannten Drittstaaten, also aus Ländern außerhalb der EU. Intern geht man in der Bundesregierung davon aus, dass in den kommenden Jahren Zehntausende Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten gebraucht werden.

In diesen Branchen gibt es Engpässe: Geschäftsrisiko Fachkräftemangel

Die größten Engpässe bestehen laut Fachkräftestrategie derzeit bei Berufen aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik - daneben sind der Bau, der Hotel- und Gaststättenbereich sowie Gesundheitsberufe betroffen. Konkret gehe es etwa um Elektrotechniker, Metallbauer, Mechatroniker, Köche, Alten- und Krankenpfleger, Informatiker sowie Softwareentwickler.

Für die Wirtschaft bleibt der Fachkräftemangel trotz einer schwächeren Konjunktur das größte Geschäftsrisiko, wie aus einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags hervorgeht. Für Unternehmen wirkt das wie ein Bremsklotz: Sie können Aufträge nicht annehmen, weil sie nicht genügend qualifizierte Mitarbeiter haben.

In diesen Ländern sollen Fachkräfte angeworben werden - mit Uni-Abschluss

Länder, in denen Fachkräfte angeworben werden sollen, sind laut Strategie zunächst unter anderem Brasilien, Indien, Vietnam und Mexiko. Arbeitsminister Heil nimmt auch die Wirtschaft in die Pflicht: "Sie muss uns sagen, in welchen Ländern sie für welche Branchen auch Fachkräfte anwerben will." Entscheidend ist, dass Länder Interesse an einer Zusammenarbeit mit Deutschland haben - also überhaupt zulassen, dass Fachkräfte angeworben werden sollen. Ist das der Fall, soll die Beratung von Interessierten im Ausland verbessert werden. Eine wichtige Rolle dabei spielen die Auslandshandelskammern. Besonders wichtig sind Angebote, bereits im Ausland, um Deutsch zu lernen.

"Das Anwerben von Arbeitskräften aus Drittstaaten ist harte Arbeit", sagte Daniel Terzenbach, Mitglied im dreiköpfigen Vorstand der Bundesagentur für Arbeit. Es gehe um die Anerkennung der Berufsausbildung und Behördengänge. Die Bundesagentur versuche, "einen fairen und transparenten Mobilitätsprozess" zu organisieren. Keinesfalls sollen die Menschen im Ausland oder in Deutschland an die falschen Leute geraten und abgezockt werden. Die Bundesagentur sucht seit Jahren mit Partnern gezielt nach Arbeitskräften im Ausland für den deutschen Markt - etwa auf den Philippinen, in Tunesien oder auch in Bosnien-Herzegowina.

Nach Angaben der Bundesagentur kamen im vergangenen Jahr 60 000 Menschen aus Nicht-EU-Ländern aus beruflichen Gründen nach Deutschland. Für Nicht-Akademiker blieb die Tür aber meist zu - obwohl allein in der Pflege in Deutschland derzeit 40 000 Kräfte fehlen. Akademiker haben es leichter: Die EU bietet über die sogenannte Blue Card schon seit 2012 ausländischen Hochschulabsolventen ein dauerhaftes Arbeits- und Bleiberecht an. Sie brauchen einen Abschluss. Zusätzlich müssen sie ein Einkommen von mindestens 53 000 Euro nachweisen.

Die Visum-Frage: mehr digital, mehr Personal

Auch die begehrteste Fachkraft kommt nicht weit ohne Visum. Die deutschen Auslandsvertretungen, die die Dokumente ausstellen, erweisen sich aber bisher als Flaschenhals auf dem Weg nach Deutschland. Angesichts der stark gestiegenen Nachfrage habe man an betroffenen Standorten bereits aufgestockt, sowohl personell als auch räumlich, heißt es aus dem Auswärtigen Amt. "Dadurch konnten wir die Wartezeiten für qualifizierte Fachkräfte an vielen Vertretungen drastisch reduzieren", wird dort versichert. Die Bundesregierung investiert nun in Personal: Im Haushalt für das kommende Jahr sind 109 zusätzliche Stellen unter anderem für die Visabearbeitung vorgesehen. Außerdem sollen Visaverfahren digitalisiert werden. Eine eigene Behörde mit mindestens 200 Mitarbeitern, das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten, soll sich von Anfang 2021 an unter anderem um die Visabearbeitung kümmern.

Integration: Widmann-Mauz will alte Fehler nicht wiederholen

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz, warnte davor, alte Fehler zu machen. "Es war falsch, die sogenannten Gastarbeiter der 1950er und 1960er Jahre nicht systematisch zu integrieren", sagte die CDU-Politikerin den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Ausländische Fachkräfte müssten in allen Lebensbereichen integriert werden. "Was dem türkischen Bergmann der ersten Gastarbeitergeneration gefehlt hat, muss die philippinische Pflegerin von heute bekommen." Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagt: "Wir wollen erreichen, dass wir den Menschen klar und deutlich sagen, ihr habt eine tolle Chance in Deutschland, aber ihr müsst auch bestimmte Leistungen bringen."

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