Fachjargon in Unternehmen:Nix verstehen

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Netting oder Cash-Pooling: Wer soll das bitte verstehen? Viele Firmen werfen mit Anglizismen um sich und reden damit systematisch an ihren Kunden vorbei. Nach der Meinung eines Wissenschaftlers machen sie sich sogar strafbar.

Hannah Wilhelm

"Wie bitte?" Hedge Accounting, Corporate Citizenship, Alternative Assets? Da muss die Dame am anderen Ende des Telefons selbst herzlich lachen. "Das versteh' ich leider auch nicht, da muss ich erstmal in der Fachabteilung nachfragen." Nein, es ist heutzutage nicht so einfach, einen Geschäftsbericht zu verstehen. Selbst wenn es der des eigenen Unternehmens ist.

Ein Wörterbuch für das Fachchinesisch der Unternehmen. (Foto: SZ-Graphik: Ilona Burgarth)

14 Anglizismen pro Seite hat der Wirtschaftsprofessor Michael Olbrich gefunden, als er die Berichte aller Dax-Konzerne aus dem Geschäftsjahr 2009 untersuchte. Dabei stieß der Leiter des Instituts für Wirtschaftsprüfung an der Universität des Saarlandes auf monströse Sätze wie: "Das Netting erfolgt durch Cash-Concentration oder Cash-Pooling-Verfahren", das war bei Daimler.

Oder auf: "Die Instrumente des Talent Managements - ein transparentes Leadership-Modell, kontinuierliche Potenzialbeurteilungen und Nachfolgeplanungen sowie die Corporate University mit ihren Management Development Programmen - ermöglichen eine weltweite Talent Pipeline", das war bei Metro. Und er kam bei seiner Untersuchung zum Ergebnis: "Also, ich verstehe das nicht. Sie vielleicht?"

Am unverständlichsten geben sich laut seiner Studie die Deutsche Bank, Siemens und SAP. Ein interessierter Aktionär findet 8724 englische Begriffe im Bericht der größten deutschen Bank. Für einen Laien ist dieser damit in größeren Teilen unverständlich. Und eben das ist es, was den Experten Olbrich ärgert.

Die Unternehmen weisen diese Kritik zurück. "Die Deutsche Bank verwendet in ihren deutschen Publikationen so weit wie möglich deutsche Begriffe. Es lässt sich jedoch nicht immer vermeiden, dass für bestimmte Bereiche oder Sachverhalte englische Fachbegriffe verwendet werden", lässt das Unternehmen mitteilen.

Ähnlich argumentieren viele: Ein Begriff wie Cashflow, der - vereinfacht gesagt - den Geldzufluss bezeichnet, den ein Unternehmen in einer bestimmten Zeit erwirtschaftet hat, gehören zum normalen Fachjargon und seien handlicher und praktikabler als die deutsche Umschreibung. Es würde sogar zu einer Verfälschung kommen, würde man nicht das korrekte Fachwort nutzen. Viele Unternehmen weisen darauf hin, man habe im Anhang des Geschäftsberichts ein Glossar mit Begriffserklärungen.

Fakt ist wohl: In den Unternehmen sprechen die Menschen in diesem Fachjargon miteinander. Oft treffen Mitarbeiter aus verschiedenen Ländern zusammen und es findet sich eine gemeinsame Sprache, die Fachsprache. "Da ist es verständlich, dass sie dann meist unter Zeitdruck auch entsprechende Texte schreiben, selbst wenn diese nicht an Kollegen, sondern an Kunden oder Aktionäre gerichtet sind.

In Stresssituationen fallen Menschen in ihre Routinen zurück", erklärt Frank Brettschneider, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim. Das sei auch bei Wissenschaftlern im Übrigen nicht anders. Auch die drückten sich beizeiten unverständlich aus, wenn es angebracht sei, allgemeinverständlich zu schreiben.

Andere Begründungen der Unternehmen für die vielen Anglizismen in den Geschäftsberichten lauten zum Beispiel: Es handele sich um Markennamen. Der Softwarehersteller SAP möchte "Best-Run Business" als weltweit gültigen Marketing-Claim verstanden wissen. "Von daher kann es keine Übersetzung davon geben", heißt es.

Andere bestehen darauf: Der vom Wirtschaftsprofessor Olbrich kritisierte Satz erkläre sich aus dem Zusammenhang. Dementsprechend lehnten viele der von der Süddeutschen Zeitung angefragten Unternehmen eine Übersetzung der unverständlichen Passage ab.

So einfach möchte Olbrich die Unternehmen nicht aus der Verantwortung lassen. Laien hätten eben keine Chance, die Berichte zu verstehen. Und das bestätigt auch Kommunikationswissenschaftler Brettschneider: "Die Menschen mögen diese Fremdworte nicht und viele verstehen sie eben einfach nicht." Er hat Pressemitteilungen und Geschäftsbedingungen von 39 Banken untersucht und festgestellt: "Bei der Deutschen Bank und der Hypo-Vereinsbank bestehen fast zehn Prozent der Mitteilungen aus Fremdwörtern."

Diese gemeinsame Fachsprache, die Kollegen untereinander sprechen, hat ja auch grundsätzlich eine Funktion: Man versichert sich der Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Das ist identitätsstiftend, "so wie viele Milieus ihre eigene Sprache haben", erklärt Brettschneider. In der Kommunikation mit Kunden oder Aktionären sei diese Sprache aber fehl am Platz. Fachsprache als "vermeintlicher Kompetenzbeweis" sei ungeeignet. Die Unternehmen sollten vielmehr daran interessiert sein, verstanden zu werden.

Bestes Beispiel sei der Begriff "Wealth Management", der für das Angebot der Banken steht, das Geld von vermögenden Privatkunden zu verwalten. "Untersuchungen haben ergeben, dass die Menschen denken, das Angebot habe etwas mit Gesundheit zu tun", so der Professor. Mit anderen Worten: Den Banken geht da eventuell ein Geschäft verloren, weil potentielle Kunden gar nicht verstehen, was ihnen da angeboten wird.

Dem Wissenschaftler Olbrich zufolge machen sich die Unternehmen sogar strafbar. Denn in Paragraph 244 des Handelsgesetzbuchs heißt es: "Der Jahresabschluss ist in deutscher Sprache und in Euro aufzustellen." Er vermutet, dass die Unternehmen Fakten verschleiern wollen: "Sie wollen ja nicht verstanden werden." Auch Brettschneider von der Universität Hohenheim bestätigt: "Der Vorwurf der taktischen Unverständlichkeit steht im Raum."

Brettschneider sieht einen der Hauptgründe für die unverständliche Sprache im Einfluss der Fach- und Rechtsabteilung, die in den Unternehmen bei jeder offiziellen Veröffentlichungen mitreden. "Der Hausjurist besteht dann auf einer Floskel, weil er nur so die Formulierung für rechtlich unangreifbar hält." Das stimme aber oft so nicht. "Man könnte das meistens auch mit einem deutschen Begriff und verständlicher ausdrücken", findet Brettschneider.

Die schlechteste Note, die der Wissenschaftler einem Unternehmen mal in Sachen Verständlichkeit gegeben hat, war die Postbank: Sie bekam für ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen 7,6 von 20 Punkten. Und schnitt dabei immer noch wesentlich besser ab als die ebenfalls auf Verständlichkeit untersuchten politikwissenschaftlichen Doktorarbeiten: Die bekamen nur 4,3 Punkte.

© SZ vom 22.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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