Facebooks missglückter Börsengang:Verzockt in Manhattan

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Für die Banker von Morgan Stanley sollte Facebooks Börsengang ein tolles Geschäft werden - doch jetzt spricht man von Gier und Unvermögen. Viele Anleger verlieren das Vertrauen und wollen ihre Facebook-Aktien schleunigst wieder loswerden. Den höchsten Preis für den Pannen-Börsengang zahlen andere Start-Ups.

Moritz Koch, New York, und Varinia Bernau

Es begann mit dem Coup eines Exoten im Silicon Valley. Michael Grimes arbeitet nicht bei Google oder Apple - und er hat auch keine Internetfirma gründet. Er ist Banker und damit Repräsentant einer Zunft, die im Kreis der Technik-Enthusiasten ungefähr so beliebt ist wie Holzspielzeug. Doch Grimes kennt sich aus in dieser Welt, in der Kontakte als Währung gehandelt werden. Jahrelang pflegte er sein Netzwerk - und so gelang es ihm, seinem Arbeitgeber Morgan Stanley die Führungsrolle beim Börsengang von Facebook zu sichern.

Der Hype ist vorbei, die Anleger verlieren das Vertrauen: Auch am dritten Handelstag ist der Kurs der Facebook-Aktie gesunken. (Foto: Bloomberg)

Es war ein enormer Prestigegewinn für die Investmentbank, die so oft im Schatten ihres Erzrivalen Goldman Sachs steht. Doch nun, da die Facebook-Aktie gehandelt wird, spricht niemand mehr von einem Erfolg. Vielmehr ist von Gier und Unvermögen die Rede. Wieder einmal. Als Emissionsbank hatte Morgan Stanley die Aufgabe, das Börsendebüt reibungslos über die Bühne zu bringen. Daran ist die Investmentbank gescheitert. Fest steht: Das Angebot der Facebook-Aktien war zu groß und ihr Kurs zu hoch.

Nun rief das Trauerspiel um Facebook auch die Börsenaufsicht auf den Plan. "Es gibt viele Gründe für Vertrauen in unsere Märkte und in die Integrität, mit der sie agieren, aber es gibt Fälle die wir uns genauer anschauen müssen, vor allem was Facebook angeht", sagte SEC-Chefin Mary Schapiro. Sie will die Vorfälle rund um den Börsengang prüfen.

Zur Verteidigung von Morgan Stanley heißt es an der Wall Street, die Bank habe das Optimum herausgeschlagen, als sie in der vorigen Woche den Preis der Papiere auf 38 Dollar festsetzte. Insgesamt hat der Börsengang immerhin 16 Milliarden Dollar eingespielt. Die Zitrone wurde gepresst, bis sie keinen Saft mehr gab. Die Hälfte des Emissionserlöses geht an die Alteigentümer. Sie nutzten das Handelsdebüt, um ihre Firmenanteile zu versilbern, darunter frühere Mitarbeiter, Hedgefonds und Risikokapitalgeber. Auch Facebook-Gründer Mark Zuckerberg machte Kasse - wenn auch nur, um seine Milliarden-Steuerschuld zu begleichen, so die offizielle Version.

Allerdings gilt ein Börsengang gemeinhin erst dann als gelungen, wenn der Handel geordnet verläuft und Kaufinteresse schürt. Im Schnitt klettern Aktien bei ihrem Börsendebüt in den USA um 15 Prozent. Bei Facebook war es am Freitag nicht mal ein Prozent. Am Montag folgte der Absturz: Die Papiere fielen unter ihren Ausgabepreis - und gingen mit 34,03 Dollar aus dem Handel. Am Dienstag ging es sogar noch weiter abwärts. Sieben Prozent betrug das Minus zunächst, später erholte sich der Kurs leicht.

Facebook, das Flop-Papier

Morgan Stanley hat es zu weit getrieben. Die Begeisterung für die Online-Firma ist groß, aber auch sie kennt Grenzen. Auch einige Experten bei Morgan Stanley hatten Zweifel. Unmittelbar vor dem Börsengang stutzte der Internet-Analyst der Bank, Scott Devitt, seine Umsatzprognose für das zweite Quartal zusammen. Zudem senkte er die für 2012 vorhergesagten Einnahmen. Wie Reuters meldet, hatte Morgan Stanley dies einigen Investoren offenbart, diese so abgeschreckt und andere ins offene Messer laufen lassen. Auch JPMorgan und Goldman Sachs hätten im Vorfeld ihre Prognosen heruntergeschraubt.

An der Wall Street heißt es, die aktualisierten Unterlagen, die Facebook zuvor bei der Börsenaufsicht SEC eingereicht hatte, hätten eine Neubewertung der Gewinnaussichten nötig gemacht. Darin hatte die Firma sich selbst zurückhaltend über das Umsatzwachstum geäußert. Denn immer mehr Leute nutzen Facebook per Smartphone - dort also, wo sich weniger Geld verdienen lässt als auf klassischen Internetseiten, die mehr Platz für Werbeflächen bieten.

Selbst nach den jüngsten Kursverlusten ist die Facebook-Aktie überteuert. Ihr Preis ist 80 mal so hoch wie der für die nächsten zwölf Monate erwartete Gewinn. Bei Google beträgt diese Kennzahl gerade einmal 13. Auf den Rausch folgt der Kater - und zwar nicht nur an der Wall Street, sondern auch im Silicon Valley. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hat erst kürzlich eine neue Ära ausgerufen, vor der das World Wide Web stehe: Nun, da die Welt vernetzt sei, könne man sich daran machen, auf dieser Plattform etwas Neues aufzubauen. Tauschbörsen, Spiele, Musikdienste.

Erfolg der Facebook-Aktie als Gradmesser für die Branche

Ob die neue Ära des Netzes tatsächlich anbricht? Ob neue Dienste dazukommen, den Alltag erleichtern, Geschäfte ermöglichen? Das wird auch davon abhängen, wie sich die Facebook-Aktie entwickelt.

Erfüllt Facebook die enormen Erwartungen, so werden Anleger ihr Geld auch in die nächsten Neulinge im Netz stecken. Enttäuscht Facebook, werden es die Nachfolger schwer haben. "Facebooks Börsengang kann der gesamten Branche Auftrieb geben - oder sie lähmen", sagt Christian Leybold, Partner beim Investor eVenture Capital Partners.

Sein Geschäft ist es, in Start-ups zu investieren - mit der Hoffnung auf einen späteren großen Gewinn. In seinem Portfolio sind auch Papiere des Schnäppchenportals Groupon, das im November den Gang aufs Börsenparkett wagte. Am ersten Tag schoss der Kurs in die Höhe, dann ging es abwärts. Inzwischen dümpelt das Papier leicht über der Hälfte des Ausgabepreises von 20 Dollar herum. Leybolds Lektion: Beim Handel mit Internet-Aktien ist viel Psychologie im Spiel. "Unsicherheit und verlorenes Vertrauen sind vielleicht schlimmer als ein paar schlechte Zahlen."

Die Internetfirmen, die bereits an der Börse sind, haben das zu spüren bekommen: Seit Freitag verloren die Papiere des Karrierenetzwerkes LinkedIn mehr als sieben Prozent, die des Spieleentwicklers Zynga mehr als 14 Prozent. Bei Zynga musste der Handel zwischenzeitlich gestoppt werden, so hoch waren die Verluste. Denn Zynga vertreibt seine Spiele fast ausschließlich über das soziale Netzwerk. Es ist mit Facebook gewachsen - und könnte nun mit Facebook abstürzen.

Twitter bangt um seinen Börsengang

Noch härter könnten die Rückschläge für jene Start-ups werden, die noch auf der Suche nach Geldgebern sind oder den Börsengang gerade vorbereiten - so wie Twitter. Bei den Leuten, die ihre kurzen Botschaften über das Internetportal absetzen, ist der Dienst beliebt. Doch dass das langfristig Gewinn abwirft, konnte das Unternehmen bislang nicht beweisen. "Banker werden das Beispiel Facebook als Erinnerung für Firmen nutzen, dass sie beim Preis nicht zu hoch greifen sollten", sagt der Börsenexperte Tom Taulli. "Die Devise ,Der Himmel ist die Grenze' gilt nicht mehr."

Michael Grimes, der Banker im Silicon Valley, wird viel Zeit brauchen, um seine Kontakte zu pflegen - und das Vertrauen, das Morgan Stanley verspielt hat, wieder aufzubauen.

© SZ vom 23.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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