Terror in Österreich:Facebook verbreitet versehentlich Gewaltvideos

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Facebook zeigte nach den Anschlägen in Wien brutale Videos vom Tatort. (Foto: JOHANNA GERON/REUTERS)

Auf einer Themenseite zum Terroranschlag zeigt Facebook zwischenzeitlich brutale Fotos und Videos vom Tatort - kein gutes Vorzeichen, falls nach der US-Wahl Chaos in sozialen Medien ausbrechen sollte.

Von Simon Hurtz, Berlin

Nach einem Terroranschlag gibt es zwei Orte, die man meiden sollte: den Tatort und soziale Medien. Das Attentat in Wien hat erneut gezeigt, dass Facebook überfordert ist, wenn sich die Ereignisse überschlagen. Die Plattform wurde mit Lügen und Fehlinformationen geflutet. Verunsicherte Nutzerinnen und Nutzer luden Fotos und Videos hoch, die Schießereien und Gewalt zeigten.

Facebook scheiterte gleich in doppelter Hinsicht. Einerseits kam es mit dem Löschen der Inhalte nicht hinterher. Andererseits trug die Plattform aktiv zur Verbreitung der falschen oder verstörenden Inhalte bei: Auf der Themenseite " Der Terroranschlag in der Inneren Stadt, Wien", die nach dem Attentat angelegt wurde, laufen Beiträge von Menschen ein, die sich in der Nähe aufhalten. Dort waren stundenlang Postings zu sehen, die gegen Facebooks Gemeinschaftsstandards verstoßen.

"Danke Facebook, dass sich Videos automatisch starten, die mir eine Hinrichtung in Wien zeigen", schrieb etwa Marco Schreuder, Bundesratsmitglied der Grünen. Auch der Wiener Datenschutzaktivist Wolfie Christl macht dem Unternehmen schwere Vorwürfe. "In meiner Erinnerung habe ich mindestens ein paar Dutzend problematische Postings gesehen", sagt er. Teils hätten die Beiträge nach wenigen Minuten Hunderte Likes und Kommentare ausgelöst.

Da Christl die Inhalte nicht im Einzelnen dokumentiert hat, lässt sich das genaue Ausmaß schwer nachvollziehen. Tatsächlich haben mehrere Nutzerinnen und Nutzer auf Twitter Screenshots von entsprechenden Fotos und Videos geteilt, die auf Facebooks Themenseite zu sehen waren. Auch am Dienstagmorgen fanden sich dort noch rund ein Dutzend Beiträge, die Szenen von den Tatorten zeigten. Teils wurden die Inhalte entfernt, teils blendet Facebook nun Warnungen ein, bevor die Videos abspielen.

"Seit gestern Abend sind unsere Teams dabei, Inhalte im Zusammenhang mit dem Anschlag von Facebook und Instagram zu entfernen, die gegen unsere Richtlinien verstoßen", sagte eine Facebook-Sprecherin. "Das gilt auch für Bilder und Videos in unserem Crisis Response Tool."

Nach Terroranschlägen, Naturkatastrophen oder anderen bedrohlichen Ereignissen, können sich Nutzerinnen und Nutzer über den sogenannten Safety-Check als sicher markieren. Dann werde automatisch eine Themenseite für das jeweilige Ereignis angelegt, teilte Facebook mit. Demnach werden die Inhalte auf den Themenseiten nicht manuell kuratiert, sondern laufen automatisch ein. Unklar ist, nach welchen Kriterien Facebook die Inhalte zusammenstellt, die dort zu sehen sind.

"Das ist eine absolute Bankrotterklärung"

Christl fordert, dass Themenseiten wie die des Terroranschlags in Wien strenger kontrolliert werden. "Wahrscheinlich ist Vorab-Moderation hier die einzig verantwortungsvolle Vorgangsweise", sagt er. Facebook-Angestellte sollten jeden Beitrag prüfen, der dort erscheint. "Dass Facebook das nicht einmal bei solchen Themenseiten hinbekommt, ist eine absolute Bankrotterklärung. Der Konzern macht jedes Quartal Milliarden an Gewinn und hätte damit locker die entsprechenden Ressourcen."

Die Polizei Wien appellierte am Abend und in der Nacht mehrfach eindringlich, keine Fotos und Videos in sozialen Medien zu teilen, die Einsatzkräfte, Opfer oder mutmaßliche Täter zeigen. Solche Bitten erreichen nur einen Bruchteil der Menschen vor Ort. Manche verbreiten bewusst Desinformation, weil sie Panik auslösen oder Aufmerksamkeit erhalten wollen. Die meisten Augenzeugen sind schlicht verunsichert und überfordert, in sozialen Netzwerken suchen sie nach Rat und Hilfe.

Natürlich können Plattformen in solchen Situationen nicht jeden problematischen Beitrag in Sekundenbruchteilen entfernen. Dass Facebook dafür teils Stunden brauchte und selbst die Kontrolle über seine eigene Themenseite verlor, wirft Fragen auf: War das Unternehmen so sehr auf die Wahl in den USA konzentriert, dass es nicht schnell genug reagieren konnte? Und wird es die nächste Herausforderung besser meistern, wenn der US-Präsident weiter Lügen über die Integrität der Wahl verbreitet und Chaos ausbricht?

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