Tech-Industrie:Zähmt das Facebook-Monster!

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Mehr als 2,3 Milliarden Menschen nutzen regelmäßig Facebook. Im Bild: Gründer Mark Zuckerberg. (Foto: AP)

Spätestens seit dem Attentat von Christchurch muss allen klar sein: Facebook ist zu groß, zu mächtig - und muss endlich Verantwortung für den Missbrauch übernehmen.

Kommentar von Malte Conradi

Aus Mord wird Terror, wenn die Gräueltat bei möglichst vielen Menschen Angst und Schrecken verbreitet. Die Anschläge vom 11. September 2001 waren ein Höhepunkt: Die verstörenden Fernsehbilder aus New York verbreiteten die Hassbotschaft der Terroristen um den ganzen Globus. Doch das Zeitalter des Fernsehens ist vorbei, auch für Terroristen. Als der Attentäter von Christchurch am 15. März in zwei Moscheen 50 Menschen erschoss, übertrug er das live ins Internet. Damit sich die grausamen Bilder wie ein Virus verbreiten, nutzte er die Möglichkeiten, die ihm die sogenannten sozialen Medien wie Twitter, Youtube und insbesondere Facebook boten. Dank ihnen kann theoretisch jeder Millionen Menschen auf der Welt erreichen - sofort und sehr oft ohne irgendeine Kontrolle.

Mehr als 2,3 Milliarden Menschen nutzen regelmäßig Facebook. Die schmutzige Wahrheit ist, dass die Gründe für diese unfassbare Verbreitung dieselben sind, die es dem Attentäter von Christchurch ermöglichten, sein grausames Video viral zu vermehren. Facebook wurde so groß, weil es seit seinen Anfängen vor 15 Jahren alles dafür tut, dass Nutzer möglichst oft wiederkommen und möglichst lange auf der Seite verweilen. Das gelingt am besten mit überraschenden Beiträgen, wobei die Grenzen zum Skurrilen, Extremen oder Illegalen offen sind. Studien zeigen etwa, dass sich Falschnachrichten und Verleumdungen weitaus schneller ausbreiten, als herkömmliche Beiträge.

Man kann es Optimismus oder Fahrlässigkeit nennen, dass Facebook lange auf eine Art unsichtbare Hand vertraute: Unerwünschte Beiträge würden von allein in der Bedeutungslosigkeit verschwinden, weil kaum jemand sie anklicke und die Algorithmen sie daraufhin nicht mehr ausspielten. Doch das Gegenteil ist der Fall.

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Statt Passwörter von Facebook- und Instagram-Nutzern zu verschlüsseln, wurden sie im Klartext gespeichert. Der Konzern sagt aber: Nutzer müssen ihre Kennwörter nicht ändern.

Nun kann man Facebook nicht zum Vorwurf machen, dass der Menschheit nicht zu trauen ist: 200 Menschen verfolgten das Morden in Christchurch per Live-Video auf Facebook. Kein einziger meldete dem Unternehmen, was da gerade passierte. So sahen nach der Tat noch etwa 4000 Menschen das Video, bevor es endlich gelöscht wurde. Aber es war zu spät. Wahrscheinlich nur ein einziger Nutzer hatte das Video gespeichert. In den folgenden 24 Stunden blockierte Facebook 1,2 Millionen Versuche, das Video hochzuladen, 300 000 Kopien wurden gelöscht. Unklar ist, wie viele unentdeckt blieben.

Der Konzern aus Menlo Park kann sich nicht mehr mit der alten Leier aus der Verantwortung stehlen, er stelle nur die Plattform zur Verfügung, für die Inhalte seien andere verantwortlich. Facebook darf nicht nur die Vorteile seiner extremen Reichweite für sich reklamieren und Milliardengewinne kassieren. Es muss auch endlich die Verantwortung für die Missbrauchsanfälligkeit dieser monströsen Inhalte-Schleuder übernehmen.

Die Gesellschaft kann und muss von Facebook erwarten, dass der Konzern all seine Energie darauf verwendet, dass Hassbotschaften und Gewaltvideos aus dem Netzwerk verschwinden. Natürlich gibt es dabei technische Schwierigkeiten. Aber das Selbstvertrauen, Hindernisse zu überwinden und auch das scheinbar Unmögliche zu schaffen, ist Facebook in seine Silicon-Valley-Wiege gelegt. Der Konzern investiert Milliarden, um die Aktivitäten seiner Nutzer zu überwachen und in Sekundenbruchteilen dazu passende Werbung auszuspielen - warum nicht auch dafür, Missbrauch zu verhindern?

Freiwillig wird nichts passieren

Bis dahin wären viele simple Maßnahmen möglich: Warum nicht nur noch bestimmten, zuvor authentifizierten Nutzern erlauben, Live-Videos zu verbreiten? Warum nicht eine Wartezeit vor der Freischaltung hochgeladener Videos einführen, in der die Inhalte geprüft werden? Warum nicht alle Gewalttaten aus dem Netzwerk verbannen, also auch fiktive, solange Facebooks Software Sequenzen von Videospielen nicht von realen Gewaltvideos unterscheiden kann?

All das würde Facebooks Geschäft massiv beschädigen. Freiwillig wird deshalb nichts passieren. Und auch die amerikanische Politik wird Facebook nicht zu einschneidenden Maßnahmen zwingen. Der unbedingte Glaube an die Meinungsfreiheit steht dagegen sowie die Furcht, als Zensor dazustehen. Also muss die EU vorangehen. Dass der europäische Druck im Silicon Valley Eindruck macht, zeigt schon das entschiedene Vorgehen der EU gegen Google und andere.

Wenn Facebook nicht willens oder in der Lage ist, Hass und Gewalt aus seinem Netzwerk auszuschließen, dann ist es nichts als ein Monster, das seine enormen Kräfte nicht unter Kontrolle hat. So ein Monster muss gezähmt werden.

© SZ vom 25.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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