Facebook-Währung:Alles an Libra ist gewaltig: Ambition, Potenzial und Risiko

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Libra könnte nicht nur digitales Bezahlen vereinfachen, sondern das gesamte Geldsystem grundlegend verändern. (Foto: Emilio Morenatti/AP)
  • Mit Libra offenbart Facebook seine grenzenlosen Ambitionen und könnte das globale Finanzsystem auf den Kopf stellen.
  • Noch sind viele Fragen offen, sodass wohl nicht mal Facebook selbst weiß, in welche Richtung sich Libra entwickeln wird.
  • Regulatoren und Nutzer müssen genau überlegen, ob sie Libra vertrauen. Es geht um staatliche Sourveränität und sensibelste Daten.

Von Simon Hurtz

Im Juni 2019 ist Facebook endgültig zu einem eigenen Staat geworden. In den vergangenen Wochen stellte das Unternehmen Pläne für ein externes Expertengremium vor, das über strittige Fragen wie die Auslegung der Meinungsfreiheit entscheiden soll - eine Art Verfassungsgericht. Facebook veröffentlichte den Bericht einer Arbeitsgruppe, die untersucht, wie die Plattform Grundrechte schützen kann. Das betrifft auch die Gemeinschaftsstandards, also Facebooks Verfassung.

Der dritte und wichtigste Schritt zur Staatswerdung heißt Libra. Damit will Facebook eine eigene Währung schaffen - und zwar nicht nur für seine rund 2,7 Milliarden Nutzer, sondern für alle Menschen auf der Welt. Für Libra wird kein Facebook-Konto nötig sein, es ist offen für andere Unternehmen, Banken, Organisationen und Staaten.

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Mit dem "Libra" will Facebook das Bezahlen vereinfachen und Nutzer noch stärker an sich binden. Manche Experten sehen gravierende Gefahren für das Finanzsystem. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

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Die ersten beiden Ereignisse zeigen, welch rasante Entwicklung Facebook hinter sich hat. Binnen 15 Jahren ist aus einem studentischen Start-up die wichtigste Kommunikationsplattform der Menschheit geworden. Spät, vielleicht zu spät, hat Mark Zuckerberg erkannt, dass mit großer Reichweite auch große Verantwortung einhergeht. Institutionen wie ein Quasi-Verfassungsgericht sind nur konsequent, weil Facebook damit anerkennt, dass es längst ein staatsähnliches Gebilde ist.

Libra dagegen ist mehr als das Anerkennen des Status quo: Es ist eines der ambitioniertesten Projekte in Facebooks Unternehmensgeschichte. Kurzfristig könnte es Geldtransfers zwischen Nutzern drastisch vereinfachen und mittelfristig das digitale Bezahlen grundlegend verändern. Nachrichten, Fotos und Videos lassen sich kostenlos und in Sekundenbruchteilen verschicken. Überweisungen brauchen teils Tage und sind teuer, sobald Grenzen überschritten werden und unterschiedliche Währungen ins Spiel kommen.

Langfristig sind noch drastischere Auswirkungen möglich. Libra könnte nicht nur einzelne Transaktionen, sondern das gesamte Geldsystem auf den Kopf stellen. Im Moment gibt es nationale und supranationale Geldräume, Zentralbanken kontrollieren die Geldschöpfung. Falls Libra den Durchbruch schaffe, könne das "weltweite makroökonomische Folgen" haben, sagt Eric Posner, Jura-Professor der Universität Chicago. Facebook und die anderen an Libra beteiligten Unternehmen könnten damit künftig Geldpolitik betreiben.

"Im Moment ist Libra mehr ein Traum als ein Plan"

Ob es tatsächlich so weit kommt, ist unklar. Als Facebook die Libra-Pläne Mitte Juni vorstellte, räumte Vize-Chefin Sheryl Sandberg ein, dass man noch einen langen Weg vor sich habe. Das ist vorsichtig ausgedrückt. Das zwölfseitige Whitepaper, mit dem Facebook das Vorhaben skizzierte, wirft mehr Fragen auf als es beantwortet. Im aktuellen Stadium taugt Libra vor allem als eine Art Rorschachtest: Das Projekt kann alles sein, was man darin sehen will, und was man aus dem digitalen Tintenklecks herausliest, sagt vermutlich mehr über den Betrachter als über Libra.

"Der Teufel steckt im Detail, und in diesem Fall ist der Teufel überall", sagt Stanford-Professor Joseph Grundfest. "Im Moment ist Libra mehr ein Traum als ein Plan." Nicht einmal Facebook selbst wisse, in welche Richtung sich Libra entwickeln werde. Neben Facebook sind bislang knapp 30 Unternehmen und Organisationen Teil der Libra-Association, darunter Zahlungsdienstleister wie Mastercard, Paypal und Visa, Tech-Konzerne wie Ebay, Uber und Spotify, Blockchain-Unternehmen, Investoren und NGOs. Mit Apple, Amazon, Google, Twitter und Microsoft fehlen Konkurrenten, die teils eigene Blockchain-Projekte und Zahlungsplattformen entwickeln oder im Fall von Twitter auf Bitcoin setzen. Auf der Liste findet sich auch keine einzige Bank, deren Kerngeschäft Facebook mit Libra direkt bedroht.

Die Blockchain ist bislang nur PR

Diese bunte Mischung spiegelt sich im Whitepaper wider, aus dem noch nicht einmal hervorgeht, was Libra genau ist: eine Kryptowährung mit einer Blockchain im Hintergrund - oder doch ein weitgehend zentral kontrolliertes Zahlungssystem, bei dem die Mitglieder der Libra Association alle wichtigen Entscheidungen treffen? Bislang basiert Libra auf einer einzigen Datenbank und widerspricht damit der klassischen Definition einer dezentralen Kryptowährung.

Außerdem sei das Libra-Whitepaper inkonsistent und stelle teils falsche Behauptungen auf, sagt Mustafa Al-Bassam, der an der Universität London zu IT-Sicherheit und dezentralen Systemen forscht. Er war an der Gründung des Blockchain-Start-ups Chainspace beteiligt, das später von Facebook übernommen wurde. "Wir glauben nicht, dass es eine dezentrale Lösung gibt, die stabil und sicher genug für Milliarden Menschen und Transaktionen weltweit ist", schreiben die Autoren des Whitepapers. Deshalb will die Libra-Association eine mögliche Dezentralisierung erst in fünf Jahren angehen. "Damit ignorieren sie, was im vergangenen Jahrzehnt zu diesem Thema an Forschung stattgefunden hat", sagt Al-Bassam.

Die Libra-Gründer machen noch weitere fragwürdige Versprechen. Eine der zentralen Botschaften lautet, dass Libra den 1,7 Milliarden Menschen ohne Konto helfen werde. Doch ein Großteil dieser Menschen besitzt kein Konto, weil sie kein Geld haben, das sie dort einzahlen könnten.

Facebook glaubt, ein soziales Problem mit technischen Mitteln lösen zu können. Dabei bräuchte es keine Programmierer, die eine App entwickeln, sondern lokale Unterstützung für jeden Betroffenen. Das ist mühsam und skaliert nicht. Dieser Trugschluss ist im Silicon Valley üblich: Statt im Kleinen zu beginnen, denkt man sofort global - und scheitert oder schafft eine Reihe neuer Probleme.

Der wichtigste Grund, warum Libra scheitern könnte, heißt: Facebook

Der wichtigste Grund, warum Libra Erfolg haben könnte, heißt: Facebook. Und der wichtigste Grund, warum Libra scheitern könnte, heißt: Facebook. Kein Unternehmen hat eine vergleichbare Reichweite. Kein Unternehmen hat einen so schlechten Ruf bei Nutzern und Regulatoren.

Natürlich weiß Facebook das selbst. Die offene Libra-Association, in der Facebook nur eine Stimme hat, soll den Eindruck verhindern, dass Zuckerberg allein seine Währung kontrolliert. Der Facebook-Chef beteuert, wie wichtig Privatsphäre und Sicherheit bei Libra seien. Facebook werde die Finanzdaten von Libra strikt von den Nutzerdaten seiner anderen Apps trennen. Um beide Profile zu verknüpfen, sei ausdrückliche Zustimmung nötig.

Das erinnert an die Übernahme von Whatsapp und Instagram. Damals hieß es, dass die beiden Apps unabhängig bleiben und keine Nutzerdaten ausgetauscht werden sollten. Das Ehrenwort hatte nur wenige Jahre Bestand. Falls der Staat Facebook keine Dystopie werden soll, muss die Facebook-Regierung Versprechen halten.

© SZ vom 02.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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