Enthüllungen:Ex-Mitarbeiterin stürzt Facebook in tiefe Krise

Whistleblowerin Frances Haugen setzt Facebook und Instagram unter Druck

"Es gab Interessenkonflikte zwischen dem, was für die Öffentlichkeit gut war und was für Facebook gut war", sagt Whistleblowerin Frances Haugen.

(Foto: Robert Fortunato/dpa)

"Die heute existierende Version von Facebook reißt unsere Gesellschaften auseinander", sagt eine Whistleblowerin und gibt ihre Identität bekannt. Es geht auch um den Einfluss von Instagram auf Jugendliche.

Eine Ex-Mitarbeiterin hat Facebook in die schwerste Krise seit dem Skandal um Cambridge Analytica gestürzt. Die 37-jährige Frances Haugen lieferte Schlüsselinformationen für eine Artikel-Serie im Wall Street Journal, nach der Facebook unter erheblichen politischen Druck in den USA geriet. Darin ging es unter anderem um die Auswirkungen des Foto-Dienstes Instagram auf junge Nutzerinnen und Nutzer. Haugen gab sich in am Sonntag veröffentlichten Interviews erstmals als Whistleblowerin zu erkennen. Am Dienstag soll sie im US-Senat aussagen.

Haugen sagte dem Wall Street Journal, sie sei frustriert gewesen. Das Online-Netzwerk Facebook gehe nicht offen damit um, dass es Schaden anrichten könne. Zu ihrem Job bei Facebook, den sie im Mai nach etwa zwei Jahren aufgab, habe der Kampf gegen Manipulationsversuche bei Wahlen gehört. Sie habe jedoch schnell das Gefühl gehabt, dass ihr Team zu wenig Ressourcen habe, um etwas zu bewirken.

Auch sei ihr Eindruck gewesen, dass Facebook weiter auf Wachstum gesetzt habe, obwohl dem Unternehmen negative Auswirkungen der Plattform auf die Nutzer bekannt gewesen seien. "Es gab Interessenkonflikte zwischen dem, was für die Öffentlichkeit gut war und was für Facebook gut war", sagte Haugen bei "60 Minutes". Und Facebook habe sich immer und immer wieder dafür entschieden, für eigene Interessen das Geschäft zu optimieren.

Deswegen hätten ihre Anwälte mindestens acht Beschwerden bei der US-Börsenaufsicht SEC eingereicht. Laut ihrem Anwalt John Tye hat Haugen einige interne Dokumente mit Generalstaatsanwälten einiger US-Bundesstaaten wie Kalifornien, Vermont und Tennessee geteilt. Die der SEC vorliegenden Beschwerden basieren auf der Anforderung an Facebook als börsennotiertes Unternehmen, Investoren nicht anzulügen oder Informationen zurückzuhalten.

Welchen Einfluss hat Instagram auf junge Nutzerinnen und Nutzer?

Aus der Serie von Berichten im Wall Street Journal in den vergangenen Wochen schlug besonders schwer der Artikel ein, in dem es um interne Untersuchungen zum Einfluss von Instagram auf junge Nutzerinnen und Nutzer ging. Unter anderem hieß es in einem Bericht von Facebook-Forschern, bei zahlreichen Teenagern - vor allem Mädchen - verstärke Instagram die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper. Das sorge für Essstörungen und Depressionen.

Facebook verwies nach dem Bericht darauf, dass nach weiteren Daten aus denselben Studien Teenager andere Themen als hilfreich bezeichnet hätten. Dennoch legte das Online-Netzwerk vergangene Woche Pläne für eine Instagram-Version für Zehn- bis Zwölfjährige auf Eis. Aktuell dürfen Kinder von 13 Jahren an Instagram nutzen. Viele geben jedoch bei der Registrierung ein falsches Geburtsdatum an.

Mit "Instagram Kids" wollte Facebook nach eigenen Angaben auch dieses Problem angehen. Doch nach einer Anhörung im US-Senat wurde klar, dass dies politisch nur noch schwer durchzusetzen sein wäre. Die für Nutzer-Sicherheit zuständige Managerin Antigone Davis drang bei den Senatoren mit ihren relativierenden Erklärungen nicht durch.

So verglich der Demokrat Ed Markey die Vorgehensweise des Online-Netzwerks vor allem bei Instagram mit verantwortungslosem Handeln der Tabakindustrie. "Instagram ist diese erste Zigarette der Kindheit", die Teenager früh abhängig machen solle und am Ende ihre Gesundheit gefährde, sagte Markey unter anderem. "Facebook agiert wie die großen Tabakkonzerne: Sie verbreiten ein Produkt, von dem sie wissen, dass es der Gesundheit junger Menschen schadet." Facebook-Gründer und -Chef Mark Zuckerberg und auch die fürs operative Geschäft zuständige Top-Managerin Sheryl Sandberg äußerten sich bisher nicht zu der Kontroverse.

Facebook steht so sehr unter Druck wie lange nicht mehr

Wie am Sonntag bekannt wurde, kontaktierte Haugen das Wall Street Journal bereits im Dezember vergangenen Jahres, nachdem ihre Abteilung aufgelöst wurde. Sie fand nach eigenen Angaben zu ihrer Überraschung diverse Studien zum Einfluss auf Nutzer, die praktisch allen Mitarbeitern in der internen Kommunikations-Plattform des Online-Netzwerks zugänglich gewesen seien. Sie habe solches Material gesammelt, bis sie Facebook im Frühjahr verlassen habe.

Haugen war in der Pandemie nach Puerto Rico gezogen - und die Personalabteilung habe ihr mitgeteilt, dass dies nicht als Fernarbeitsplatz akzeptiert werde. "Die heute existierende Version von Facebook reißt unsere Gesellschaften auseinander und löst ethnische Gewalt rund um die Welt aus", sagte sie "60 Minutes".

Ein Facebook-Sprecher erklärte dem Wall Street Journal am Sonntag nach den Äußerungen Haugens, das Online-Netzwerk versuche täglich, eine Balance zwischen dem Recht von Milliarden Menschen auf freie Meinungsäußerung und einer sicheren Umgebung für Nutzer zu finden. Haugen beantragte bei US-Behörden offiziell Schutz als Whistleblowerin - so werden Mitarbeiter genannt, die durch Weitergabe von Informationen Missstände aufdecken wollen. Top-Manager Guy Rosen betonte zugleich, dass Facebook inzwischen Hassreden bis auf 0,05 Prozent solcher Beiträge herausfiltern könne, noch bevor sie die Nutzer erreichten.

Deutlich wird, dass Facebook vor allem in der US-Politik unter so starkem Druck steht wie seit dem Skandal um Cambridge Analytica 2018 nicht mehr. Damals war bekannt geworden, dass Jahre zuvor eine Datenanalysefirma Informationen von Millionen Nutzern ohne deren Wissen abgreifen konnte.

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