Facebook:Der Feind im eigenen Laden

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Zum Gähnen? Facebooks kleiner Verkaufsschuppen beeindruckt nicht jeden. (Foto: Richard B. Levine/imago)

Facebook verlässt das Internet und eröffnet kleine Shops, zumindest vorübergehend. Der Konzern verkauft Waren, die Nutzer online mögen. Steigt er wie schon Amazon ins echte Ladengeschäft ein?

Von Claus Hulverscheidt, New York

Die Zukunft, wenn sie es denn ist, kommt ein wenig altbacken daher an diesem Nachmittag im November. Ein Stapel T-Shirts, ein paar Lippenstifte, ein Hundehalsband, das Nachrichten aufs Handy schickt, ein Holzfass nebst Lass-deinen-Whisky-selbst-altern-Baukasten. Mitten drin in der kleinen Warenlandschaft steht eine Art Bilderrahmen mit der Aufschrift "Beliebtestes Geschenk von allen", hinter dem man die lieben Kleinen oder die Freundin drapiert, bevor man die Smartphone-Kamera zückt. Nun ja. Gäbe es da nicht dieses blaue Firmenlogo im Hintergrund, das in den vergangenen Jahren die ganze Welt erobert hat - nichts würde darauf hindeuten, dass hier, am New Yorker Herald Square, gerade eines der spannendsten Experimente des Einzelhandels läuft.

Erstmals in seiner knapp 15-jährigen Geschichte hat der Facebook-Konzern die Welt des Online-Geschnatters verlassen und sich ins richtige Leben aufgemacht. In neun Kaufhäusern der Macy's-Gruppe, von New York über Las Vegas bis San Francisco, verkauft das Unternehmen seit ein paar Tagen rund 100 sogenannte "Digital-native"-Produkte, was nicht mehr heißt, als dass es sich um Waren handelt, die im Netzwerk von Facebook oder der Tochter Instagram beworben und von den Nutzern "geliked" oder gut besprochen wurden.

Manche der Produkte sind in weißen Regalwürfeln drapiert, die wie die Plastik gewordene Ausgabe eines Facebook-Posts daher kommen sollen - inklusive der bekannten Symbole für "Gefällt mir", "Kommentieren" und "Teilen". Erst bei genauem Hinsehen erkennt man, dass sich unter den feilgebotenen Waren durchaus einige Schätze verbergen: die superweichen Pullis von Two Blind Brothers und die Baumwollmützen von Love Your Melon etwa, deren Erlöse zu einem erheblichen Teil in den Kampf gegen Erblindung beziehungsweise Kinderkrebs fließen. Oder die Soßen der Charleston Gourmet Burger Company.

Was einem niemand beantworten kann, auch nicht die einzige Verkäuferin am Stand, ist, was Facebook mit dem Pop-up-Store auf der von Macy's neu geschaffenen Shop-im-Shop-Fläche genau im Schilde führt. Der Konzern selbst sagt, er wolle vor allem jungen Marken eine Plattform bieten, die ohne Unterstützung kaum eine Chance hätten, ihre bisher nur online angebotenen Waren jemals in ein echtes Kaufhaus zu bringen. Umgekehrt erhielten viele Facebook- und Instagram-Nutzer die Möglichkeit, im Netzwerk entdeckte Produkte tatsächlich in die Hand zu nehmen.

Mancher jedoch fragt, ob hinter dem Experiment nicht doch mehr steckt - etwa der Versuch auszuloten, ob Facebook Waren, die die Nutzer mögen, vielleicht selbst verkaufen könnte. Nicht nur, dass der Online-Händler Amazon diesen Weg mit der Eröffnung eigener Läden und dem Kauf der Biomarktkette Whole Foods schon gegangen ist. Vielmehr hat auch Facebook mit dem Videotelefonie-Tablet Portal und der VR-Brille Oculus Go gerade erstmals eigene Produkte auf den Markt gebracht.

Womöglich wäre der Konzern noch besser als Amazon in der Lage, den Kunden genau das anzubieten, was sie wollen, denn dass Netzwerk weiß über die Vorlieben seiner Nutzer, vereinfacht gesagt: alles. Wann sie sich wo aufgehalten, was sie im Netz gesucht und welchen Post sie "geliked" haben. Welche Kneipen sie mögen, mit wem sie "befreundet" sind und welche Garderobe sie bevorzugen. Welche Kamera sie nutzen, ob sie mit einer Partei sympathisieren und zu welchen Veranstaltungen sie eingeladen waren. Kurzum: Anders als herkömmliche Einzelhändler, die oft Waren in ihr Sortiment aufnehmen und dann hoffen müssen, dass sie auch jemand kauft, könnte sich Facebook allein auf solche Produkte beschränken, von denen der Konzern sicher ist, dass ein Großteil der Nutzer sie mag. Ein grandioser Wettbewerbsvorteil.

Dass der erste Versuch bei Macy's dennoch etwas kümmerlich erscheint, liegt auch daran, dass direkt neben dem kleinen, kaum 25 Quadratmeter umfassenden Facebook-Stand ein paar andere Marken sichtlich mehr Hirnschmalz in ihre Popup-Stores investiert haben. Der Boxenhersteller Bose etwa, die Brillenmarke Ray-Ban oder der Sportwagenbauer Ferrari, der hier allerdings keine Luxusautos, sondern Uhren verkauft. Gegenüber präsentiert der hippe Laden-Dienstleister b8ta im stylischen Ambiente die neuesten Technik-Errungenschaften zum Anfassen und Ausprobieren - vom Live-Übersetzer für 74 Sprachen über den lernenden Spielroboter für Kinder bis zum Unterwasser-Scooter.

Kein Wunder also, dass sich an diesem Nachmittag in New York kaum ein Kunde in den Facebook-Store verirrt, und das obwohl das Kaufhaus wegen des gruseligen Wetters draußen rappelvoll ist. Auch Macy's-Chef Jeff Genette wird wohl weiter experimentieren müssen. Denn einerseits ist es sicher richtig, dass gerade Kaufhäuser neue, junge Käuferschichten erschließen müssen, die man dort abholen muss, wo sie sich gerne tummeln: bei Facebook, Instagram, Whatsapp, Snapchat und Co. Andererseits bleibt die Frage, ob sich Facebook bei einem Erfolg des Feldversuchs tatsächlich dauerhaft mit der Rolle des Gönners im Hintergrund zufrieden gäbe. Noch also ist offen, ob Genette als derjenige Einzelhandelsboss in die Geschichte eingehen wird, der die Institution Kaufhaus vor dem Aussterben bewahrte. Oder aber als der, der den Feind zuerst ins eigene Bett holte.

© SZ vom 22.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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