Süddeutsche Zeitung

Datenschutz:Max Mustermann lebt

Wer sich vor dem 25. Mai 2018 angemeldet hat, kann Facebook weiter unter Pseudonym nutzen, so der Bundesgerichtshof. Was mit neuen Nutzern ist, bleibt unklar.

Von Helmut Martin-Jung

Eines der bekanntesten Memes aus der Frühzeit des Internets ist jene Karikatur aus dem New Yorker, in der ein Hund an einem Computer sitzt und zu einem Artgenossen sagt: "Im Netz weiß keiner, dass du ein Hund bist." Inzwischen haben die meisten Nutzer gelernt, dass das nicht stimmt - ganz im Gegenteil. Soziale Netzwerke wie Facebook etwa versprechen zumindest ihren Anzeigenkunden, dass sie ihre Nutzer bis ins Detail kennen. Verschiedene Skandale haben das auch in erschreckender Weise gezeigt, etwa bei gezielten Werbekampagnen für Homosexuelle oder bei der US-Wahl 2016.

Eines immerhin war dabei immer umstritten: ob man beim Anlegen eines Kontos auch seinen richtigen Namen nennen müsse. Sowohl Befürworter als auch Gegner der sogenannten Klarnamenpflicht haben ihre Argumente, auch vor Gerichten wurde rege darüber gestritten. Facebook hatte die Accounts eines Mannes und einer Frau 2018 gesperrt. Die Begründung: Die Fantasienamen ihrer Konten würden gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen. Zuletzt hatte im Dezember 2020 das Oberlandesgericht München Facebook recht gegeben. Das Unternehmen, so das Urteil, könne sehr wohl von seinen Nutzern verlangen, dass sie auf der Plattform unter dem Namen agieren, den sie auch im normalen Leben tragen.

Nun entschied zwar der Bundesgerichtshof (BGH) gegen Facebook. Ein Sieg für die Gegner einer Klarnamenpflicht ist das jedoch keineswegs. Denn dass der BGH zu einer anderen Auffassung kam, hat eher formaljuristische Gründe. Als die Klagen gegen Facebook eingereicht wurde, sah das deutsche Telemediengesetz eine Pflicht vor, Kommunikation unter Pseudonym zu ermöglichen. Doch seit Mai 2018 gilt in der Europäischen Union ein neues Datenschutzrecht, das ausdrücklich keine solche Bestimmung enthält.

Die BGH-Richter haben die Fälle aber - anders als die Vorinstanzen - nach alter Rechtslage entschieden. Der BGH weist deshalb auch ausdrücklich darauf hin, dass "die unmittelbare Reichweite unserer Entscheidung auf Altfälle begrenzt" sei, wie der Vorsitzende Richter Ulrich Herrmann sagte. Der BGH gestand Facebook zu, dass das Unternehmen durchaus verlangen könne, dass die Nutzer Facebook gegenüber ihren wirklichen Namen nennen müssen, nach außen hin aber dürften sie auch anonym auftreten.

Hass und Hetze sind bereits im Geschäftsmodell von Facebook enthalten

Ein allgemeingültiges Urteil für oder gegen die Klarnamenpflicht ist damit nicht gefällt, zumindest lässt sich aus der Pressemitteilung des BGH nichts anderes entnehmen - das Urteil im Volltext liegt noch nicht vor. Für die Nutzer heißt das bis auf Weiteres: Wer sich vor dem 25. Mai 2018 angemeldet hat, darf sich weiterhin anonym auf Facebook bewegen. Zu diesem Datum trat die europäische Datenschutzgrundverordnung in Kraft - und die enthält eben keine explizite Verpflichtung, eine anonyme Kommunikation zu ermöglichen.

Interessant an dem Fall ist, dass Facebook die Klarnamenpflicht damit begründet, dass sie helfe, Hass und Hetze zu reduzieren. Das ist wohl nicht völlig falsch, im Grunde aber sind sich Experten darüber einig, dass es zum Geschäftsmodell des sozialen Netzwerks gehört, mehr kontroverse Inhalte an die Nutzer auszuspielen als etwa sachliche Diskussionen. Denn die Plattform profitiert davon, wenn die Nutzer länger bleiben - und das tun sie eher bei kontroversen Inhalten.

Die Gegner einer Pflicht, sich mit seinem Klarnamen anzumelden, argumentieren grundsätzlicher. Für sie ist es eine Frage der freiheitlichen Ordnung, ob man sich anonym am Diskurs beteiligen dürfe oder nicht. Wenn Facebook Klarnamen einfordere, verstoße das Unternehmen gegen den allgemeinen Grundsatz der Datensparsamkeit. Ein Grundsatzurteil, dass Klarheit darüber schafft, wie es generell mit der Klarnamenpflicht weitergeht, steht noch aus, genau wie eine neue E-Privacy-Verordnung der EU. Bis dahin werden die Gerichte wohl oder übel Einzelfälle abwägen müssen.

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