Biometrie und Gesichtserkennung:FaceApp ist noch unser geringstes Problem

US-Demokrat Schumer will FaceApp untersuchen lassen

Niemand weiß, in welchen Datenbanken sein Antlitz lagert - geschweige denn, wie es sich wieder herauslöschen lässt.

(Foto: dpa)

Die Panik um die beliebte App verfehlt das Ziel. Längst experimentieren Konzerne und Polizei mit gigantischen Datenbanken von Gesichtsfotos - ohne, dass die Fotografierten es wissen. Das Gesicht wird zum Peilsender, den man nicht loswerden kann.

Kommentar von Jannis Brühl

FaceApp heißt die derzeit beliebteste Spielerei auf den Smartphones der Welt. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz (KI) lassen sich Gesichter virtuell altern, wenn ein Porträtfoto in die App geladen wird. Der Effekt ist ebenso unheimlich wie lustig, das kleine Programm hat viele Millionen Nutzer.

Was tatsächlich unheimlich ist an diesem Spiel: Die Fotos bleiben nicht auf dem Handy, sondern wandern zum russischen Hersteller. Das löste vergangene Woche Panik aus. Der deutsche Datenschutzbeauftragte warnte vor der App, ein US-Senator rief nach dem FBI. Offensichtlich kann es sich die Firma leisten, die strengen Regeln der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zu ignorieren.

FaceApp ist aber vergleichsweise harmlos angesichts des wahren Problems: Aus Gesichtserkennungs-Technik wird derzeit die nächste Stufe der Überwachungsgesellschaft gebaut. FaceApps Sammlung von Gesichtsfotos ist nur eine von vielen. Die Architekten der Systeme brauchen möglichst viele Bilder, mit deren Hilfe lernfähige Algorithmen ihren "Blick" schärfen. Nach Tausenden Rechengängen können sie Gesichter besser und schneller vergleichen als ein Mensch.

Überwachungskameras vor Universitäten oder in Cafés sind Goldgruben für die offene Forschung an biometrischen Datenbanken: Gesichter von Millionen ahnungsloser Menschen sind so schon zu Übungsmaterial verarbeitet worden - etwa für Software, die Kampfdrohnen zur Zielerkennung dient. Andere Forscher wollen Programmen beibringen, sexuelle Orientierung am Gesicht zu erkennen: Outing-Maschinen - eine Horrorvorstellung.

Auch Facebook, Google und Microsoft verfügen über Sammlungen Hunderter Millionen Fotos von Gesichtern. KI-Forscher in Unternehmen und Streitkräften suchen nicht nur sauber fotografierte Passbilder, auf denen Augen und Ohren klar erkennbar sind; auch Fotos aus der Öffentlichkeit sind für sie wertvoll: Menschen, die bei schlechtem Licht über Straßen huschen, den Mund vom Schal verdeckt. Diese Bilder trainieren Algorithmen, ein Gesicht auch in unübersichtlichen Situationen aus der Menge zu picken. Drohnenflüge über Demonstrationen liefern Bilder, um Teilnehmer automatisch zu identifizieren.

Seehofer will Gesichtserkennung in der Breite einführen

Auch deutsche Behörden schaffen Fakten. Innenminister Horst Seehofer will die Gesichtserkennung in der Breite einführen, die von der Polizei am Berliner Südkreuz getestet wird. Wer genug Kameras aufstellt, kann eine Person verfolgen lassen. Das Gesicht wird zum Peilsender, den man nicht loswerden kann. Nach den G-20-Krawallen jagte Hamburgs Polizei Bilder mutmaßlicher Randalierer durch Spezial-Software, um sie auf anderen Fotos zu finden. Erfasst wurden auch friedliche Demonstranten, der Fall geht vor Gericht.

Die Generalprobe läuft für ein System, das mit einem Gedächtnis für Gesichter aus tausend Augen auf die Bürger blickt. Niemand weiß, in welchen Datenbanken sein Antlitz lagert - geschweige denn, wie es sich wieder herauslöschen lässt. Datenschützer müssen also die DSGVO durchsetzen. Plattformen wie Facebook und Instagram müssen ihre Nutzer aufklären, was mit biometrischen Daten passieren kann. Und die Politik muss genau prüfen, was die Polizei mit der Technik tut, denn für die gilt keine DSGVO. Den Bürgern sollte der Fall FaceApp bewusst machen: Ihr Gesicht, der Spiegel ihrer Individualität, ist für andere lediglich ein Rohstoff.

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