Fabrikeinsturz in Bangladesch:Im Stich gelassen

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Eine Arbeiterin in einer Textilfabrik in Dhaka, Bangladesch (Foto: REUTERS)

Es war die größte Katastrophe in der Geschichte der Textilindustrie: 1130 Menschen starben im April 2013 beim Einsturz einer Fabrik in Bangladesch. Fast ein Jahr danach warten die Näherinnen immer noch auf Hilfe der Firmen, für die sie geschuftet haben. Doch die schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu.

Von Hans Leyendecker und Anne Ruprecht

Die Näherin Jasemin Akther arbeitete in der achtstöckigen Textilfabrik Rana Plaza in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch. Sie nähte Blusen für Deutschland, T-Shirts für England und was sonst noch so alles im Dauer-Akkord produziert werden musste. Immer war "Deadline". Ihr Monatslohn lag weit unter 50 Dollar, trotz der vielen Überstunden. Aber wenigstens hatte sie Arbeit.

Dann, am 14. April 2013, brach das Fabrikgebäude zusammen. Mehr als 1130 Menschen starben, 332 Menschen gelten immer noch als vermisst. Es gab mindestens 1800 Verletzte. Die größte Katastrophe in der Geschichte der Textilindustrie.

Jasemin Akther überlebte. Aber sie wurde schwer verletzt, kann kaum noch gehen, nicht mehr arbeiten. Ihre Familie kommt nur schwer über die Runden. Sie hat einen Kredit aufnehmen müssen und muss für diesen Kredit 40 Prozent Zinsen zahlen. Die Näherin wartet auf Hilfe der Unternehmen, für die sie geschuftet hat. Sie wartet auch auf Hilfe deutscher Firmen.

Was war den Opfern, den Verletzten, den Hinterbliebenen nicht alles versprochen worden, gleich nach der großen Katastrophe, als die Journalisten aus aller Welt kamen und die Trümmer filmten.

Geredet wurde über großzügige Entschädigungen für die Hinterbliebenen der Toten, volle Bezahlung der medizinischen Kosten, Weiterzahlung von Löhnen und, wenn irgend möglich, sichere Renten. Nur die irische Firma Primark hat eine Million Dollar für Soforthilfe auf den Weg gebracht und sich um medizinische Versorgung gekümmert. Aber heute, fast ein Jahr nach der Katastrophe, weiß man immer noch nicht, ob jemals das wirklich große Geld kommen wird. Das ergaben Recherchen des ARD-Magazins Panorama und der Süddeutschen Zeitung. Es gibt zwar einige wenige Entschädigungszusagen, doch selbst die sind noch fragil.

Schätzungsweise 29 Modeunternehmen aus aller Welt haben aus Rana Plaza Waren bezogen. Billigketten wie Walmart (USA) waren darunter. Auch Marken des mittleren Segments wie etwa Benetton (Italien). Für Fabrikarbeiterinnen wie Jasemin Akther machte es keinen Unterschied, ob sie eine Bluse für ein drei Euro oder für 50 Euro nähte. Ihr Hungerlohn blieb immer gleich.

Auf Initiative von Gewerkschaften und der Kampagne für saubere Kleidung (CCC) wurden alle Unternehmen Mitte September vergangenen Jahres nach Genf zu Entschädigungsverhandlungen bei der ILO, der Internationalen Arbeitsorganisation der UN, eingeladen. "Wir haben die Firmen regelrecht zum Verhandlungstisch tragen müssen. Bitte, bitte kommen Sie", sagte Frauke Banse vom CCC. Neun Unternehmen schickten Leute nach Genf. Auch die drei deutschen Unternehmen, KiK, Adler Mode und NKD, standen auf der Einladungsliste. Aus Deutschland kam nur Kik. Die allermeisten Unternehmen blieben den Verhandlungen fern. "Sie ducken sich weg und finden lauter Ausreden", sagt Banse. "Ein sehr beschämender Zustand."

Im Dezember unterzeichneten vier Unternehmen aus Kanada, England, Spanien und Irland eine Absichtserklärung. Man kann, wie die Kämpferin Banse, zuversichtlich sein, dass zumindest daraus was werden wird. Man kann die Vereinbarung aber auch so interpretieren, dass diese Unternehmen nur die feste Absicht haben, dass den Opfern geholfen werden soll. Mindestens 30 Millionen Euro sollen aus mehreren Töpfen, darunter einem Topf der Regierung in Bangladesch, zusammenkommen.

Rechtlich verbindlich ist dieses Memorandum nicht. Alles freiwillig. Und wer bewegt sich als erster? Die Organisatoren der Konferenz haben in diesen Tagen Briefe verschickt, um festzustellen, wie es mit den Willenserklärungen aussieht, wenn es ans Bezahlen geht. Was da passiert, ist so etwas wie organisierte Verantwortungsdiffusion. Jeder verweist auf den anderen. In der Verhaltensforschung gibt es das Phänomen, dass die Anwesenheit von Zuschauern die Wahrscheinlichkeit von Hilfeleistungen senken kann. Das nennt man Bystander-Effekt. Je mehr beteiligt sind, desto weniger setzt sich der Einzelne ein.

Niemand sollte jetzt allein an den Pranger gestellt werden. Jeder für sich hat wenig in Rana Plaza produzieren lassen, alle zusammen produzierten sehr viel. Niemandem darf man den Willen, helfen zu wollen, absprechen. Aber man wartet ab, verweist auf dunkle Sub-Lieferanten und ringt die Hände. Der Discounter NKD beispielsweise, der seit Dezember einen neuen Eigentümer hat, schaltete Aufträge über eine Firma in Deutschland, die dann über eine Adresse in Bangladesch in Rana Plaza produzieren ließ. Gleich nach der Katastrophe im Mai 2013 erklärte NKD, man befände sich "in einer sehr intensiven Prüfungsphase", wolle aber die Bemühungen um die Entschädigungszahlungen unterstützen.

Im Dezember vertrat NKD "die Ansicht, dass zuerst diejenigen, die diese unermessliche Tragödie verursacht haben, ihren Beitrag, so wie das die entsprechenden Verträge und internationalen Konventionen vorsehen", leisten. Wann sich das Unternehmen in welcher Höhe an Entschädigungsleistungen beteiligen wird, ist ungewiss. Eine "Abgabe von verbindlichen Zusagen" sei nicht möglich, hieß es am Mittwoch. Der vielgescholtene Discounter KiK zeigt sich irgendwie verständig, ist noch nicht ganz weg von dem Fonds, sucht aber einen eigenen Weg. Das Schicksal der Opfer sei dem Unternehmen nicht gleichgültig, teilt die Firma mit.

Adler Mode wiederum sieht sich "nicht unmittelbar in der Verantwortung". Man habe im November 2012 einem Lieferanten den Auftrag zur Herstellung von zwei Mal je 7500 Blusen gegeben, teilt das Unternehmen mit. Der Lieferant habe den Auftrag, ohne zu fragen, an einen Sub-Lieferanten weitergereicht, den Adler Mode nicht gekannt habe. "Ohne Wissen" von Adler Mode sei die Order in Rana Plaza "platziert worden". Von dem Lieferanten habe man sich getrennt und "aus humanitärem Verantwortungsgefühl" den Betroffenen "unbürokratisch und schnell" 20 000 Euro zukommen lassen. Man "bedauere" das Unglück sehr, könne aber "keine ethische Verpflichtung" erkennen, "dem Fonds beizutreten".

Die Näherin Jasemin Akther erkennt die KiK-Bluse aus der "Verona Pooth Kollektion 2013", die in den Trümmern lag, sofort wieder. Sie drückt sie an sich - eine Erinnerung an diesen schrecklichen Tag, den viele da draußen längst vergessen haben.

© SZ vom 23.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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