Süddeutsche Zeitung

Geldpolitik:"Die EZB erwischt viele auf dem falschen Fuß"

  • "Die EZB musste handeln" - "Die EZB hat ihr Pulver längst verschossen": Ökonomen diskutieren, ob Draghis jüngste Entscheidung richtig war.
  • Die Freibeträge bei den neuen Niedrigzinsen helfen vor allem der Deutschen Bank und der Commerzbank.

Von Alexander Hagelüken und Meike Schreiber

Notwendig oder gefährlich? Mario Draghis mutmaßlich letzte große Geldspritze als Chef der Europäischen Zentralbank spaltet die Fachwelt. Während die Debatte noch tobt, gibt es Schätzungen, wonach die deutschen Banken durch neue Regeln jährlich eine halbe Milliarde Euro sparen. Analysten sagen voraus, die EZB werde unter Draghis Nachfolgerin Christine Lagarde bald die Zinsen weiter senken und die Anleihekäufe ausweiten.

Zahlreiche Ökonomen halten die am Donnerstag beschlossenen neuen Anleihekäufe sowie höheren Strafzinsen für Bankeinlagen für notwendig. Draghi zeigte sich besorgt über die Folgen der Niedrigzinsen für die Altersvorsorge. Die Zinsen könnten aber erst steigen, wenn es mehr Fiskalpolitik gebe - ein deutlicher Wink an die Bundesregierung, die seit Langem zu mehr Investitionen aufgefordert wird.

"Die Bundesregierung sollte die Aufforderung ernst nehmen, selbst ihren Beitrag zur wirtschaftlichen Stabilität in Europa zu leisten", verlangt auch Marcel Fratzscher, der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Deutschland wolle aber weder die Investitionen erhöhen noch seinen Handelsüberschuss senken, andere Länder seien dazu schlicht nicht in der Lage. Deshalb sei Deutschland, so Fratzscher, "mit seiner exzessiven Ersparnis mitverantwortlich für die niedrigen Zinsen".

Mit ihrer Entscheidung, die viele auf dem falschen Fuß erwischt habe, zeige die Zentralbank, dass sie sich von politischem Druck nicht beeinflussen lasse. "Die EZB hatte vor dem Hintergrund der schwachen europäischen Wirtschaft und der viel zu niedrigen Inflationserwartungen keine andere Wahl, als die Geldpolitik zu lockern", findet Fratzscher. Nun stehe Europa vor vielen weiteren Jahren der Nullzinsen.

Wie umstritten Draghis Geldspritze selbst im Rat der Europäischen Zentralbank ist, ließ Bundesbankchef Jens Weidmann erkennen. "Aus meiner Sicht ist er damit aber über das Ziel hinausgeschossen", sagte Weidmann der Bild-Zeitung, die zuvor den EZB-Präsidenten als "Graf Draghila" bezeichnet hatte, der deutsche Konten leer sauge. Wichtig sei für ihn, sagte Weidmann, dass die expansive Geldpolitik wieder zurückgefahren werde, sobald es der Inflationsausblick zulasse. "Ich werde mich jedenfalls dafür einsetzen, dass Zinserhöhungen nicht unnötig auf die lange Bank geschoben werden."

Auch der niederländische Notenbankchef Klaas Knot kritisierte die Entscheidung: "Dieses breite Maßnahmenpaket, insbesondere die Wiederaufnahme der Anleihekäufe, steht in keinem Verhältnis zu den gegenwärtigen wirtschaftlichen Bedingungen, und es gibt triftige Gründe, an seiner Wirksamkeit zu zweifeln", schrieb er. Österreichs Notenbankchef Robert Holzmann äußerte ebenfalls Kritik. Am Donnerstag sollen zehn von 25 Ratsmitgliedern gegen die neuen Anleihekäufe plädiert haben.

"Die EZB hat ihr Pulver längst verschossen", glaubt Stefan Kooths, Leiter des Prognosezentrums am Kieler Institut für Weltwirtschaft. Die Maßnahmen dürften kaum positive Konjunktureffekte haben. Dafür würden die Nebenwirkungen immer problematischer. "Insbesondere erlahmt die politische Reformbereitschaft und der Strukturwandel wird künstlich aufgehalten. Es bleiben Unternehmen am Markt, die nur noch wegen der künstlich niedrigen Zinsen ihre Kapitalkosten verdienen können."

Günstiger wird es durch die Beschlüsse von Donnerstag für die deutschen Banken. Zwar steigt der Negativzins für Banken nun, es gibt aber Freibeträge. Nach Schätzungen des Bundesverbandes deutscher Banken sparen die Institute dadurch rund 500 Millionen Euro im Jahr. Ohne die Freibeträge wären die Kosten auf drei Milliarden Euro jährlich gestiegen.

Besonders stark profitieren wegen ihrer hohen Liquiditätsrücklagen die Deutsche Bank und die Commerzbank. Nach Berechnungen der US-Bank JP Morgan dürfte die Deutsche Bank rund 200 Millionen Euro sparen, die Commerzbank rund 100 Millionen Euro. Kein Wunder, dass am Freitag ihre Aktien stiegen: Die Deutsche Bank legte bis zum Nachmittag um 2,2 Prozent zu, die Commerzbank 3,6 Prozent.

Das neue Anleihenkaufprogramm erhöhe den Anlagedruck

Die Banken beklagen sich dennoch. "Die EZB erinnert an einen Autofahrer, der falsch in eine Sackgasse abgebogen ist und dennoch weiter Gas gibt", sagt Hans-Walter Peters, Präsident des Bankenverbandes. Das neue Anleihenkaufprogramm erhöhe den Anlagedruck. Im Juli besaßen deutsche Banken 600 Milliarden Euro an überschüssigem Geld.

Auch der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, glaubt, dass die EZB-Maßnahmen der Realwirtschaft kaum helfen werden. Weil die Zentralbank dies aber anders sehe, werde sie im Frühjahr die Zinsen weiter senken und die Anleihekäufe ausweiten, sagt er voraus. Dabei halte die EZB bei den Anleihen einiger Länder wie Deutschland bereits knapp ein Drittel des ausstehenden Volumens. Sie dürfte damit im deutschen Fall Anfang 2021 an die geltende Obergrenze von einem Drittel stoßen. "Allerdings dürfte die EZB deshalb kaum die Käufe dann einstellen, sondern eher die Obergrenze anheben. Zur Rechtfertigung dürfte sie auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Anleihenkaufprogramm verweisen".

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SZ vom 14.09.2019/bbr
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