Süddeutsche Zeitung

EZB:Warum die EZB mehr Inflation will

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Analyse von Markus Zydra, Frankfurt

Die Sturheit, mit der Zentralbank-Präsident Mario Draghi die Preise in der Euro-Zone erhöhen möchte, lässt sich ganz gut verstehen, wenn man die Geschichte von Don Brash kennt. Der neuseeländische Notenbankchef versprach 1989, gerade frisch ins Amt gehoben, man werde alles tun, um die Preise auf der Insel nicht mehr als zwei Prozent ansteigen zu lassen - aber auch nicht viel darunter. Erstmals rief eine Notenbank ein konkretes Inflationsziel aus. Das war eine Revolution für die Zentralbankwelt. Niemand wusste bis dato genau, was, warum und wie die Notenbanken agierten. Brash öffnete diese Blackbox. Es war die Geburt des Zwei-Prozent-Ziels, das bis zum heutigen Tag die Geldpolitik aller führenden Zentralbanken beeinflusst.

Mario Draghi verfehlt dieses Ziel. Die Preise in der Euro-Zone sinken. Der EZB-Rat entschied deshalb am Donnerstag, die Zinsen weiter abzusenken und noch mehr Geld zu drucken, um die Inflation zu erhöhen. "Es gibt keine Grenzen für das, was wir innerhalb unseres Mandats tun werden, um unser Ziel zu erreichen", sagte er bereits im Vorfeld der Entscheidung. Die Beharrlichkeit Draghis mag viele überraschen.

Durch eine Deflation bekommen Bürger mehr für ihr Geld

Sinkende Preise haben Vorteile, denn Verbraucher bekommen dann mehr für ihr Geld. Außerdem ist es der niedrige Ölpreis, der die Inflationsraten drückt. Doch jeder weiß, dass die Ölpreise an der Börse auch wieder steigen können. Das Mandat der EZB, das im EU-Vertrag geregelt ist, sieht vor, dass die Notenbank stabile Preise sichert. Doch das Ziel, die Inflation "unter, aber nahe zwei Prozent" zu fixieren, hat sich der Zentralbank-Rat 2003 selbst gesteckt. Das oberste Entscheidungsgremium könnte das Ziel revidieren. Immerhin liegt das wegweisende Beispiel Neuseeland 27 Jahre zurück. Doch jetzt das Inflationsziel zu verändern, weil man es nicht erreicht, interpretierten die entscheidenden Leute an den Finanzmärkten wohl als Ausdruck des Versagens. Deshalb kommt das für Draghi derzeit kaum infrage

Ökonomen streiten schon lange darüber, ob ein Inflationsziel von zwei Prozent noch zeitgemäß ist. Der Nobelpreisträger Paul Krugman forderte schon einmal vier Prozent als Ziel. Der Amerikaner hält Inflation für die Lösung der globalen Schulden- und Wachstumskrise. Andere Ökonomen würden ein oder gar null Prozent für angemessen halten. Die globale Wirtschaft erzeuge grundsätzlich weniger Teuerung, weil die Löhne der Belegschaften kaum stiegen und technologischer Fortschritt die Preise senke.

Die zwei Prozent als Inflationsziel sind willkürlich gewählt. Es hätten auch 2,3 oder 1,7 Prozent sein können. Die Situation ist mit den Maastrichter Stabilitätskriterien der Währungsunion vergleichbar. Sie schreiben ein maximales Haushaltsdefizit des Staates in Höhe von drei Prozent des Bruttoinlandprodukts vor. Man hätte sich in den EU-Vertragsverhandlungen in den Neunzigerjahren auch auf 2,5 oder 3,5 Prozent einigen können.

Entscheidend ist aber, dass die einmal beschlossenen Ziele eingehalten werden. Gelingt das nicht, geht das auf Kosten der Glaubwürdigkeit. Die EU spürt das, weil die meisten Staaten die Stabilitätskriterien nicht einhalten. Auch die EZB spürt schwindendes Vertrauen an den Finanzmärkten, weil die vermaledeite Zwei bei der Inflationsrate unerreichbar scheint.

In Japan zeigt sich, was es bedeutet, wenn alles dauerhaft günstiger wird

Man kann sich natürlich grundsätzlich fragen, warum die EZB, die Bank of Japan, die Bank of England und die US-Notenbank überhaupt wollen, dass die Preise jährlich um zwei Prozent steigen. Unter stabilen Preisen könnte man doch eher null Prozent Inflation verstehen.

Das stimmt, doch die Messung der Inflation ist im Nachkommabereich ungenau. Denkbar wäre, dass die Statistiker für die Euro-Zone null Prozent Inflation ausweisen, die Preise in Wirklichkeit aber schon leicht sinken. Genau das möchte man vermeiden. Zur Nulllinie soll es einen Puffer geben, weil die EZB dauerhaft sinkende Preise für gefährlich hält. Die Notenbanker befürchten, dass die niedrigen Ölpreise auch zu Preissenkungen in anderen Wirtschaftsbereichen führen könnten. Dann drohe eine Abwärtsspirale - man spricht von Deflation. Dauerhaft sinkende Preise könnten dazu führen, dass Verbraucher ihre Einkäufe aufschieben, weil sie hoffen, das Produkt später noch günstiger zu erhalten. Weil die Löhne in einer Deflation unverändert bleiben, sinken bei niedrigeren Verkaufspreisen die Profitmargen der Unternehmen. In Japan führte die Deflation zu einer jahrzehntelangen Wirtschaftskrise. Die Experten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) differenzieren: Nicht immer mündet Deflation in die Katastrophe - manchmal folgt sogar eine Wachstumsphase.

Die EZB hängt also ganz fest am Zwei-Prozent-Ziel. Je häufiger sie es betont, desto schwieriger wird es, ohne Glaubwürdigkeitsverlust davon abzurücken. Draghi gibt sich entschlossen. "Sollen wir aufgeben, unser Ziel zu erreichen?", fragte er neulich rhetorisch und lieferte selbst die Antwort. "Nein, wir geben nicht auf."

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SZ vom 10.03.2016
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