Geldpolitik:Wie die EZB Ungleichheit fördert

Frankfurt - Blick auf die Skyline

Die EZB vor der Frankfurter Skyline.

(Foto: Thomas Lohnes/Getty)

Die Europäische Zentralbank hat in der Corona-Krise das Schlimmste verhindert. Aber das hat seinen Preis: Die Vermögensungleichheit steigt.

Gastbeitrag von Gerhard Schick

Um mit dem Lob zu beginnen: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat uns in der Corona-Krise erneut vor dem Schlimmsten bewahrt. Ohne ihr beherztes Eingreifen im Frühjahr 2020 hätte sich eine massive Finanzkrise entwickeln können. Doch so richtig das kurzfristig gewesen sein mag: Im Rückblick wird eine massive Fehlentwicklung sichtbar.

Das Einschreiten der EZB in der Corona-Krise ist von historischem Ausmaß. So wuchs die Bilanzsumme der EZB in der Finanzkrise von 2007 bis 2010 um 813 Milliarden Euro, 2020 allein zwischen Februar und Dezember hingegen um 2261 Milliarden Euro. Die am wenigsten diskutierte Folge davon ist die steigende Vermögensungleichheit.

Gerhard Schick DEU Deutschland Germany Berlin 31 05 2014 Portrait von Gerhard Schick Bündnis 90

Gerhard Schick ist Geschäftsführer der Denkfabrik Finanzwende.

(Foto: imago)

Zu Beginn der Pandemie sanken wegen der wirtschaftlichen Unsicherheit kurzfristig die Aktienkurse. Zeitgleich stiegen die Zahlen der Arbeitslosen und der Kurzarbeiter. Anderthalb Jahre später liegen diese Zahlen weiter über dem Vorkrisenniveau, und die realen Löhne der Beschäftigten fallen derzeit sogar. Die Aktienmärkte dagegen sind zwar 2020 zunächst eingebrochen, derzeit befinden sich die Kurse dagegen auf Allzeithoch. Auch die Immobilienpreise sind stark gestiegen. Die massive und weiterhin anhaltende Bilanzausweitung der EZB treibt die Vermögenswerte nach oben. Und das obwohl die Pandemie immer noch nicht vorbei ist.

Auch die Bank für den internationalen Zahlungsausgleich sieht die expansive Geldpolitik als einen der Hauptgründe für die Höchststände an den Börsen. Die Zentralbanken agieren in einer Rezession normalerweise über das Senken der Leitzinsen und derzeit aber vor allem über massive Anleihenkäufe und subventionierte Milliardenkredite an die Banken, da der zentrale Leitzins bereits negativ ist. Die EZB kauft bewusst Anleihen zu hohen Preisen, weil dadurch die Zinsen gedrückt werden, in der Hoffnung, die Wirtschaft anzukurbeln. Doch durch die hohen Preise für Anleihen und die damit verbundenen niedrigen Zinsen werden für Anleger wiederum Alternativen wie Aktien oder Immobilien attraktiver. Mit ihnen hoffen die Investoren, mehr Rendite zu erwirtschaften. Und je mehr Kapital in Aktien oder Immobilien fließt, desto stärker steigen diese Werte.

Dieser Effekt der Geldpolitik kommt vor allem denjenigen zugute, die bereits relative hohe Vermögen in Form von Anleihen, Aktien oder Immobilien besitzen. Diese Menschen sind in Deutschland weiterhin deutlich in der Minderheit. Trotz eines Anstiegs 2020 besitzen in Deutschland nur 17,5 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren Aktien oder Aktienfonds. Nur 46,5 Prozent aller Deutschen besitzen eine Wohnimmobilie. Auch dank des Booms an den Börsen stieg 2020 wiederum die Zahl der Milliardäre in Deutschland um 29 auf 136, während zahlreiche Arbeitnehmer weiter in Kurzarbeit sind und oft reale Einkommenseinbußen erleiden.

Das liegt auch daran, dass Geldpolitik nur indirekt auf die reale Wirtschaft wirkt. Die EZB versucht, über die Finanzmärkte Impulse zu setzen, welche die Wirtschaft stimulieren. Von der verbesserten wirtschaftlichen Lage sollten theoretisch auch Arbeitnehmer profitieren und mehr konsumieren. Diese höheren Ausgaben sollen dann die Inflation steigern. Ob ein so erzeugter Vermögenszuwachs dauerhaft die produzierende Wirtschaft und über gesteigerte Reallöhne auch den Arbeitnehmenden zugutekommt, ist unklar. Das hängt auch davon ab, ob Banken die niedrigen Zinsen weitergeben und ob Firmen diese für zusätzliche Investitionen nutzen. Der Effekt ist umstritten. Die Empirie zeigt, dass das günstige Geld teilweise zum Investieren, aber auch für Aktienrückkäufe und Dividendenausschüttungen genutzt wird. Ein viel klareres Bild gibt es hinsichtlich des Einflusses auf die Finanzmärkte: Dort kommen die Impulse der EZB direkt an, was sich in höheren Börsenkursen und Immobilienpreisen manifestiert.

Wie der Kreislauf der Krisenintervention gestoppt werden kann

Nur um dies noch mal klarzustellen: Es war wichtig und richtig, dass die EZB in Krisensituationen eingegriffen hat. Aber es ist auch wichtig, den gestiegenen Einfluss der Geldpolitik und deren Folgen für die Vermögensungleichheit mehr zu thematisieren und nach Auswegen zu suchen. Dass das Agieren der EZB aktuell die Ungleichheit steigert, gestand unlängst sogar der scheidende Bundesbankchef Jens Weidmann ein. Aus seiner Sicht sei dies allerdings kein Problem, da es nur ein kurzfristiger Trend sei und die Geldpolitik wieder normalisiert werden würde.

Der vermeintlich kurzfristige Trend hält allerdings schon seit 2009 an. Die Antworten auf die Finanzkrise der Jahre 2007 bis 2009 sowie auf die Euro-Krise 2010 bis 2012 waren hauptsächlich geld- und fiskalpolitische Maßnahmen, die tendenziell vermögende Finanzinvestoren begünstigt und damit die Vermögensungleichheit erhöht haben.

Um den Kreislauf der Krisenintervention zu beenden, sind drei Punkte zentral. Erstens sollten die Zentralbanken ihre Instrumente so einsetzen und weiterentwickeln, dass die soziale Schieflage nicht noch weiter verstärkt wird. Dazu bedarf es auch einer mutigen und offenen Kommunikation, die klarstellt, dass die Geldpolitik im aktuellen Umfeld nicht mehr alleine dauerhaft die Beschäftigung und Reallöhne erhöhen kann, insbesondere nicht mithilfe weiterer Anleihenkäufe und Subventionen für Banken.

Zweitens sollten die Regierungen wieder eine größere Rolle in der Bekämpfung von (Finanz-)Krisen einnehmen und die bisher ignorierte Aufgabe übernehmen, die durch Kriseninterventionen erzeugte Vermögenskonzentration zu korrigieren. Eine aktivere Ausgaben- und Einnahmenpolitik könnte Ungleichheit entgegenwirken und zugleich den Bedarf an weiteren Zentralbankinterventionen mindern.

Drittens müssen die Zentralbanken von ihrer Aufgabe entlastet werden, ständig einen instabilen Finanzmarkt zu retten. Im März 2020 mussten die Zentralbanken in bisher nicht dagewesener Größenordnung auch intervenieren, weil zahlreiche Banken und Fonds zu Beginn der Pandemie viel zu geringe Verlust- beziehungsweise Liquiditätspuffer hatten. Im Vertrauen auf die Rettung durch die Notenbanken wurden einmal mehr zu hohe Risiken eingegangen. Es braucht endlich konsequente Schuldenbremsen bei Banken und Schattenbanken und eine höhere Liquiditätsausstattung. Es ist schwer zu verstehen, dass Zentralbanken und Politiker diese Risiken nicht viel deutlicher angehen. Wer will, dass Zentralbanken nicht ständig zu Interventionen gezwungen werden, die auch zu Ungleichheit führen, muss den Finanzmarkt zügig mit solchen Maßnahmen krisenfest machen - vor den nächsten Turbulenzen.

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