Die Bankenaufseher der Europäischen Zentralbank fordern Großbanken auf, sich besser gegen globale Gefahren zu wappnen. „Cyber-Risiken, Klima- und Umweltrisiken oder geopolitische Risiken haben an Intensität zugenommen“, sagte EZB-Bankenaufsichtschefin Claudia Buch zur Eröffnung einer Notenbankkonferenz. „Dieses neue Risikoumfeld stellt eine große Herausforderung dar, da wir nicht sinnvoll auf historische Datenreihen und Modelle zurückgreifen können, die bisher gut funktioniert haben“, sagte Buch und sprach von einem „Paradoxon der Risikobewertung“. Gerade in einer Zeit, in der vorausschauende Risikoeinschätzungen erforderlich seien, seien die bestehenden Modelle nicht sehr nützlich. „Deshalb brauchen die Banken alternative Ansätze, um diese neuartigen Risiken zu quantifizieren und einzudämmen.“
Die frühere Bundesbankerin und Ex-„Wirtschaftweise“ Claudia Buch hatte die Führung der EZB-Bankenaufsicht erst zu Jahresbeginn übernommen. Die Institution überwacht 112 Geldhäuser und feiert dieser Tage ihr zehnjähriges Bestehen. Gegründet wurde sie als Reaktion auf die Finanzkrise 2008. Steuerzahler in der ganzen Welt mussten damals Banken retten, allein in Deutschland brachte die Gesellschaft etwa 70 Milliarden Euro auf, um hiesige Kreditinstitute, die sich verzockt hatten, vor dem Ruin zu bewahren. Das sollte künftig verhindert werden. Die EZB-Bankenaufsicht hat in den vergangenen zehn Jahren die Aufsichtsregeln in der Währungsunion weitestgehend vereinheitlicht und die Kapitalregeln für den Finanzsektor verschärft. Mit der Bankenunion, die aus der EZB-Bankenaufsicht und der Bankenabwicklungsbehörde SRB besteht, unternahm Europa 2014 den größten Integrationsschritt seit den Maastricht-Verträgen 1992.
Die Risiken für Banken haben sich jedoch mit den zunehmenden internationalen Spannungen infolge des russischen Einmarschs in die Ukraine im Vergleich zu den 2010er-Jahren verändert. „Geopolitische Spannungen können zu Wirtschaftssanktionen, Handelsbeschränkungen und Störungen in den internationalen Beziehungen führen“, sagte Buch. Das könne allgemein die Kreditrisiken erhöhen. Außerdem würden Cyber-Risiken durch geopolitische Konflikte noch verschärft. Darüber hinaus könne geopolitische Instabilität das Zahlungssystem stören. „Grenzüberschreitende Zahlungskanäle können durch Sanktionen oder Cyberangriffe beeinträchtigt werden, was zu Verzögerungen oder Ausfällen bei Transaktionen führt“, sagte die Volkswirtin.
Die EZB möchte die Banken daher mit Blick auf diese Gefahren künftig noch stärker beobachten. Schwere Bankenkrisen ziehen stets Wirtschaftskrisen und in der Folge Gesellschaftskrisen nach sich und fördern – das ergaben auch Studien – populistische und antidemokratische politische Kräfte. Der Crash von 2008 ist bis heute sichtbar, etwa in der gewachsenen Vermögensungleichheit und dem fehlendem Geld in den Staatskassen. Wie schnell der Bankensektor in Turbulenzen geraten kann, zeigte erst wieder das vergangene Jahr. Im Frühjahr 2023 verzeichneten einige US-Regionalbanken binnen Stunden milliardenhohe Geldabflüsse. Der Bank Run beschleunigte sich durch die sozialen Medien, wo das Misstrauen gegen die Banken geschürt wurde. Die Silicon Valley Bank und einige weitere US-Geldhäuser sind in der Folge kollabiert. Später ging mit der Credit Suisse auch noch eine globale Großbank fast Pleite, nur die Notübernahme durch den Rivalen UBS und milliardenhohen Garantien der Schweizer Notenbank konnte verhindern, dass sich die Krise damals weiter ausbreitete.
Sollten Bankchefs geglaubt haben, mit Claudia Buch ziehe eine harmlose Aufseherin in die EZB ein, dürften sich diese getäuscht haben. Ihr Vorgänger, der Italiener Andrea Enria, hatte sich zum Ende der Amtszeit immer wieder mit der Finanzbranche angelegt. Aber auch Buch scheint Grenzen zu setzen: Zuletzt stellte sie Geldstrafen in Aussicht, falls Banken ihre Klimarisiken in den Bilanzen nicht ausreichend berücksichtigen.