Süddeutsche Zeitung

Europäische Zentralbank:Rückkehr des Draghi-Moments

Lesezeit: 2 Min.

Die EZB konzipiert einen neuen Rettungsplan - zu Recht: Sie muss verhindern, dass Spekulanten aus Profitgier eine zweite Euro-Schuldenkrise auslösen.

Kommentar von Markus Zydra, Frankfurt

In Deutschland wächst der Unmut über die Europäische Zentralbank. Das geschieht aus gutem Grund, denn die Währungshüter haben den Kampf gegen die hohe Inflation viel zu lange hinausgezögert. Die erste Leitzinserhöhung soll nun am Donnerstag beschlossen werden. Es wäre die erste nach elf Jahren und käme viel später als die Zinserhöhungen der anderen großen Zentralbanken. Die Zögerlichkeit von EZB-Präsidentin Christine Lagarde und ihrem Team erzeugt bei manchen Menschen ein besonderes Misstrauen, weil ein Verdacht in der Luft liegt: Die Notenbank wollte die Zinsen so lange wie möglich niedrig halten, um die Finanzierungsbedingungen für den Euro-Staat Italien nicht zu verschlechtern.

Italien, mal wieder. Die Staatsschulden sind mit 2,5 Billionen Euro im Verhältnis zur Wirtschaftskraft hoch, und die Regierung unter Ministerpräsident Mario Draghi droht zu zerbrechen. Die Finanzmärkte sind alarmiert, die Zinskosten für Italien steigen, wenn auch noch nicht gefährlich stark. Dennoch möchte die EZB vorbereitet sein. Die Experten doktern an einem neuen Rettungsplan, der den Ausbruch einer Euro-Schuldenkrise 2.0 im Keim ersticken soll.

Das Whatever-it-takes-Versprechen des früheren EZB-Präsidenten Draghi jährt sich am 26. Juli zum zehnten Mal, der Italiener versprach damals, "alles zu tun" um den Euro zu retten - und zwar durch den Ankauf von Anleihen. Dieses Programm hat einen Haken, denn notleidende Euro-Staaten müssten vorab mit dem Euro-Rettungsschirm ESM ein Kreditprogramm vereinbaren. Daran sind strenge wirtschaftspolitische Bedingungen geknüpft. Es ist kaum vorstellbar, dass ein großer Euro-Staat wie Italien sich auf diese Knebelung einlassen würde.

Die Antwort darauf ist nicht trivial, Streit ist programmiert

Daher der Wunsch nach einer Revision, Lagarde wird die Umrisse des neuen Rettungsinstruments am Donnerstag vorstellen. Das Problem ist dasselbe wie 2012: Ab welcher Höhe der Darlehenszinsen soll die EZB einen Euro-Staat stützen? Wann ist dieser Marktzins für eine Staatsanleihe von den Wirtschaftsdaten her gerechtfertigt, wann ist er Ausdruck einer übertriebenen Spekulation an den Börsen?

Die Antwort darauf ist nicht trivial, Streit ist programmiert. Nach der EZB-Entscheidung dürften sich Kläger finden, die auch das neue Rettungsprogramm dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof zur Prüfung vorlegen werden. Im Vorfeld kam bereits Kritik von Bundesbankpräsident Joachim Nagel: Die EZB dürfe nicht zu leichtfertig als Retter einspringen. Lagarde steht in Deutschland ein "Draghi-Moment" bevor - der Vorwurf, die EZB würde Staaten durch die Hintertür aus der Notenpresse finanzieren, erhält neue Nahrung. Die Kritik an der EZB als Retterin in der Not ist nachvollziehbar. Euro-Staaten vor dem Bankrott zu schützen, gehört nicht zur Kernaufgabe der Währungshüter. Die Notenbank soll sich um stabile Preise kümmern.

Doch man kann die bisherige Entwicklung nicht zurückdrehen. Wenn die EZB das Versprechen Whatever it takes kassieren und Lagarde in Anlehnung an den letzten sächsischen König Friedrich August III. den Menschen zurufen würde: "Macht euern Dreck alleene" - an den Finanzmärkten bräche Chaos aus.

Die Zeiten sind schon turbulent genug. Es kann sich vieles zum Guten wenden, aber genauso ist es möglich, dass sich die Lage durch eine wirtschaftliche Rezession und die weitere Eskalation des Ukraine-Kriegs deutlich verschlechtert.

Die EZB muss verhindern, dass Spekulanten aus Profitgier eine zweite Euro-Schuldenkrise auslösen. Das politische Überleben einer Währungsunion darf nicht allein an den Börsen entschieden werden: Finanzmärkte sind manchmal effizient, mitunter sind sie aber auch völlig spinnert. Deshalb ist es vernünftig, dass die EZB ein Rettungsinstrument für den Notfall bereithält - für Italien und alle anderen Euro-Staaten.

In diesem Zusammenhang über Italien die Nase zu rümpfen, verbietet sich sowieso. Ob Bahn, Autobahnbrücken, Internet, Flughäfen - Deutschland macht im Vergleich eine schlechte Figur. Darüber hinaus treiben Corona-Kosten und die Folgen der Energiekrise die Staatsschulden auch hierzulande stark nach oben: Wer weiß, auch Deutschland könnte einmal auf EZB-Hilfen angewiesen sein.

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