EZB-Präsident:Einsamer Herr Draghi

Draghi, President of the ECB, addresses the media during its monthly news conference in Frankfurt

Allein: Nicht allen gefällt der Kurs des EZB-Präsidenten Mario Draghi.

(Foto: REUTERS)

Für den EZB-Präsidenten wird die heutige Sitzung des Rats heikel. Mario Draghi bestimmt die Leitlinien der Zentralbank gerne mal alleine, ohne Absprache mit Kollegen - die sich nun beschweren. Droht da ein Rosenkrieg?

Von Claus Hulverscheidt, Berlin, und Markus Zydra, Frankfurt

In der Welt der Notenbanker ist es guter Brauch, interne Unstimmigkeiten auch intern auszuräumen. Schließlich fußt die Macht der Währungshüter nicht zuletzt auf Einigkeit und Korpsgeist. Entsprechend tief wird Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), seinen 23 Ratskollegen in die Augen schauen, wenn sich das oberste Gremium der EZB an diesem Donnerstagvormittag im Frankfurter Eurotower trifft - voraussichtlich zum letzten Mal vor dem Umzug in den Neubau im Osten der Stadt.

Einige der Ratsmitglieder nämlich haben zu Wochenbeginn der Nachrichtenagentur Reuters ihr Herz ausgeschüttet und sich darüber beklagt, dass Draghi zu viel alleine entscheide und zu wenig auf das höre, was die Kollegen in den gemeinsamen Sitzungen vortrügen. Dieses öffentliche, wenn auch anonyme Lamento hat nun wiederum andere Ratsherren in Rage gebracht, die - ebenfalls unter Wahrung ihrer Anonymität - im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung kontern: Es gebe da ganz offensichtlich "zwei, drei Kollegen", die nicht willens seien, "in ernster Lage wichtige Entscheidungen zu treffen".

Droht da ein Rosenkrieg oder gar eine gefährliche Spaltung innerhalb der EZB?

Die Ratsmitglieder sind unabhängig und unantastbar

In einem privat geführten Unternehmen könnte der Chef die paar Quertreiber im gegenseitigen Einvernehmen hinauskatapultieren. Doch die EZB tickt anders. Deren nationale Ratsmitglieder sind unabhängig und unantastbar. Draghi muss mit den 23 Kollegen leben - und sie mit ihm.

Dass Draghi anders führt als sein Vorgänger Jean-Claude Trichet, ist ein offenes Geheimnis. "Er ist kein Gruppenmensch, der Spaß an langen Debatten im großen Kreis hätte", sagt einer, der den EZB-Chef gut kennt. "Lieber führt er Einzelgespräche, konzentriert sich auf das Wesentliche und hält die offiziellen Sitzungen so kurz wie möglich." Das ist einerseits zwar höchst effizient, führt andererseits in der Bank gelegentlich zu Unmut. Man fühlt sich nicht ernst, nicht wahrgenommen.

Dabei ist es keineswegs so, dass Draghi die Kollegen komplett ignorieren würde. Im Gegenteil: Ratsmitglieder, die er für skeptisch, aber überzeugbar hält, erfahren immer wieder die direkte Zuwendung ihres Präsidenten. Den Kampf um den aus seiner Sicht dauerrenitenten Bundesbankchef Jens Weidmann hingegen hat Draghi aufgegeben. Die beiden werden in diesem Leben keine Freunde mehr.

Das liegt auch daran, dass der Italiener die großen Leitlinien der EZB-Geldpolitik gerne ganz alleine zeichnet, ohne Absprache mit den Kollegen. So geschehen im Sommer 2012, als sein Versprechen, die EZB werde alles tun, um den Euro zu retten, die Spekulanten zurück in ihre Löcher trieb. So geschehen auch im August dieses Jahres, als Draghi beim Notenbankergipfel im amerikanischen Jackson Hole seine ursprünglich geplante Rede um ein entscheidendes Detail aufpeppte: Er unterstrich die Gefahr einer Deflation und kündigte damit auf Umwegen eine nochmalige Lockerung der ohnehin schon lockeren Geldpolitik an. Das Vorpreschen des Präsidenten verärgerte viele Kollegen im EZB-Rat.

Will Draghi italienischer Staatspräsident werden?

Draghi hat lange von seinem Nimbus als Retter der Euro-Zone gezehrt. Doch zuletzt unterliefen dem Italiener Fehler. In der Pressekonferenz Anfang September deutete er an, die EZB werde mit ihren neuen Hilfsmaßnahmen bis zu einer Billion Euro in den Markt pumpen - die Nennung einer konkreten Zahl aber war mit den Kollegen nicht abgesprochen. Auch setzte er die EZB damit dem Druck der Finanzmärkte aus - diese nämlich fordern die Summe nun ein. Dabei ist noch gar nicht klar, ob die EZB mit dem Programm überhaupt so viel Geld freisetzen kann. An anderer Stelle wird Draghi vorgehalten, er habe die Gefahr einer Deflation in der Euro-Zone unterschätzt. Draghis Vertrauen an den Finanzmärkten sinkt auch, weil er die Deutschen nicht dafür gewinnen kann, dass die EZB nach dem Vorbild anderer Notenbanken in großem Stil Staatsanleihen aufkauft.

Immer wieder tauchen in Frankfurt und Berlin zudem Gerüchte auf, Draghi wolle vorzeitig aus seinem acht Jahre laufenden Vertrag ausscheiden, um Giorgio Napolitano als italienischer Staatspräsident zu beerben. Darüber, so heißt es, soll der EZB-Chef im August bereits mit Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble gesprochen haben - was die Bundesregierung bestreitet. Verbürgt ist dagegen ein Besuch Draghis bei Merkel Anfang Oktober. Auch dabei aber soll es dem Vernehmen nach nicht darum gegangen sein, wie lange der Italiener im Amt bleiben und wer sein Nachfolger werden könnte.

Wahrscheinlich geht Draghi nicht, solange die Krise andauert

Tatsächlich ist kaum vorstellbar, dass Draghi seine Zukunftsplanungen ausgerechnet Merkel oder Schäuble offenbart. Dazu fehlt es schlicht am nötigen Vertrauen zwischen den Beteiligten: Schäuble etwa hat Draghis Politik in den vergangenen Monaten immer wieder einmal öffentlich kritisiert, was den EZB-Chef auch deshalb ärgert, weil es ja das mangelhafte Krisenmanagement der EU-Regierungen war, das die Notenbank zu ihrer Harakiri-Politik gezwungen hat.

Von den Gerüchten gehört allerdings hat man in Berlin sehr wohl - und für plausibel hält man sie auch. Schließlich wäre die Übernahme des Präsidentenamts der letzte, krönende Schritt in der glanzvollen Karriere des mittlerweile auch schon 67-jährigen Mario Draghi. Allerdings geht man regierungsintern davon aus, dass der EZB-Chef die Notenbank nicht verlassen wird, solange die Euro-Krise andauert und die Geldpolitik nicht in ruhigeres, normaleres Fahrwasser zurückgekehrt ist. Bis es soweit ist, könnten noch Jahre vergehen.

Ob Draghi allerdings überhaupt eine Chance hätte, Staatspräsident zu werden, weiß allein Regierungschef Matteo Renzi. Auch weiß niemand, wie lange Amtsinhaber Napolitano noch willens und in der Lage ist, seine Rolle als Staatsoberhaupt auszufüllen. Ende Juni kommenden Jahres wird der große alte Mann der italienischen Politik 90 Jahre alt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: