Süddeutsche Zeitung

EZB-Politik:Pumpen, pumpen, pumpen

Lesezeit: 4 min

Banken hoffen darauf, dass die EZB ihre Nullzins-Politik beendet. Doch als Nächstes wird sie wahrscheinlich nochmal das Gegenteil tun - und das Programm zum Kauf von Anleihen verlängern.

Von Markus Zydra, Frankfurt

In den vergangenen Krisenjahren hat es eine stillschweigende Übereinkunft zwischen der Europäischen Zentralbank (EZB) und den Regierungen der Euro-Zone gegeben. Die Notenbanker, so der Plan, würden die Finanzmärkte zähmen. Die Regierungen ihrerseits nutzen die ruhige Phase, um ihre Länder durch wirtschaftspolitische Reformen auf Wachstumskurs zu bringen. Dieser Arbeitsteilung lag die Überzeugung zugrunde, dass eine Notenbank mit ihrem Geld viel schaffen könne, nicht aber Jobs und Wohlstand.

Nun hat man schon lange den Eindruck, dass die EZB mit den Politikern alles andere als zufrieden ist. Jetzt wird der Ton rauer. EZB-Direktor Benoît Cœuré hat Europas Regierungen beim Notenbankertreffen im amerikanischen Jackson Hole ungewöhnlich scharf gerügt. Diese hätten sich lediglich zu "halbgaren und halbherzigen Strukturreformen" durchringen können.

Auch darüber wird man reden am Donnerstag nächster Woche, wenn sich der EZB-Rat zu seiner Sitzung trifft. Die 28 Notenbanker werden dann entscheiden, ob sie noch mehr Geld ins Finanzsystem pumpen. Das Versagen der Politiker könne die EZB geradezu zwingen, noch mehr zu tun, sagte Cœuré, auch wenn das mit "Nebenwirkungen" verbunden wäre. Die Aussage darf man als Melange aus tiefer Verzweiflung und Drohung interpretieren.

Der französische Notenbank-Präsident François Villeroy de Galhau spricht von der "Pflicht" der EZB, ihren geldpolitischen Kurs beizubehalten. "Wir machen unseren Teil des Jobs", sagte das EZB-Ratsmitglied am Mittwoch in Frankfurt. Die Politiker, so sagte der Franzose, müssten ihren Beitrag leisten. Doch genau das fordert die EZB schon seit sieben Jahren.

Im normalen Geschäftsleben sind die Regeln härter: Wenn der eine seine Verpflichtungen nicht erfüllt, darf der andere die Übereinkunft aufkündigen. Doch so läuft das nicht bei der EZB. Die Notenbanker haben Angst davor, ihre Geldflut zu stoppen. Sie befürchten ansonsten eine Panik an den Finanzmärkten.

Die EZB, Retterin der Euro-Zone im Jahr 2012, wirkt gefangen.

Die Fachleute der Notenbank haben in den vergangenen Wochen verschiedene Handlungsoptionen durchgespielt. Bisher kauft die EZB jeden Monat Staats- und Firmenanleihen ( siehe Artikel rechts) im Wert von 80 Milliarden Euro. Das Gesamtprogramm umfasst 1,7 Billionen Euro. Es ist gut möglich, dass EZB-Präsident Mario Draghi nächste Woche eine Verlängerung des Anleihekaufprogramms über März 2017 hinaus andeutet.

Der Nutzen ist umstritten. Notenbanken denken über Alternativen nach

Die Finanzmärkte befürchten schon lange, dass die EZB bald nicht mehr genügend Anleihen findet. Der Grund: Die Notenbank kauft nur solche Wertpapiere, deren Verzinsung über dem Einlagezins von minus 0,4 Prozent liegt. Das Angebot schrumpft, vor allem an Bundesanleihen. Experten der Großbank HSBC sagen in einer Studie, schon jetzt müsse die EZB 60 Prozent aller Bundesanleihen vom Kauf ausschließen, weil sie unter dem Richtwert rentierten.

Die EZB ist also gezwungen, bald eine Lösung für das Problem anzubieten. Womöglich hebt man die selbstgesetzte 0,4-Prozent-Schranke einfach auf. Dann wäre das Angebot für ein weiteres Jahr gesichert. Es gilt als unwahrscheinlich, dass die EZB ihr Kaufprogramm im März abrupt abbrechen wird. Wahrscheinlicher ist eine Auslaufphase von einigen Monaten, in denen die Ankäufe langsam reduziert werden.

Mittlerweile liegt die Bilanzsumme der EZB bei 3,3 Billionen Euro. Das ist mehr als im Jahr 2012, als die Euro-Zone vor dem Zusammenbruch stand. Der Nutzen der Billionenspritze ist umstritten. Die EZB möchte Banken so zur Kreditvergabe ermuntern und die Inflation anheizen. Draghi subventioniert die Notenbankkredite sogar: Banken müssen unter bestimmten Bedingungen weniger zurückzahlen, als sie sich bei der EZB geliehen haben. Doch die Preise steigen nicht - man interpretiert das als Zeichen von Wachstumsschwäche.

Auch im August lag die Teuerung in der Euro-Zone bei 0,2 Prozent, wie das Statistikamt Eurostat am Mittwoch unter Berufung auf erste Berechnungen mitteilte. Der Wert liegt damit immer noch gefährlich nahe der Nulllinie, wo die Deflation beginnt. Dauerhaft sinkende Preise hält die EZB für gefährlich. Durch eine Deflation geraten Unternehmen in eine sogenannte Gewinnkompression: Weil die Löhne der Mitarbeiter unverändert bleiben, sinkt bei niedrigeren Verkaufspreisen die Profitmarge. Daher streben Notenbanker mittelfristig eine Inflationsrate von zwei Prozent an.

Die EZB befindet sich damit in guter Gesellschaft. Alle wichtigen Zentralbanken der Industriestaaten haben ein Inflationsziel von zwei Prozent. Das hat in den letzten beiden Jahrzehnten häufig geklappt. Im Jahr acht nach der Finanzkrise merken die Währungshüter aber, dass die Geldpolitik nicht mehr so wirkt wie gewünscht. Bei einem Nullzins müsste die Wirtschaft laut Lehrbuch eigentlich brummen. Doch das tut sie nicht. Man sucht nach neuen Antworten, zuletzt auf dem Notenbankertreffen von Jackson Hole vergangenes Wochenende. Vielleicht sollten die Zentralbanken ihre lockere Geldpolitik niemals beenden. Nullzins und Anleihekäufe bis in alle Ewigkeit? Das war ein Vorschlag. Akademiker diskutieren auch eine Abschaffung des Bargeldes mit anschließender Einführung von deutlich niedrigeren Negativzinsen. So könnten Sparer gezwungen werden, ihr Geld auszugeben und damit Konsum und Wirtschaft anzuheizen. Oder noch radikaler: Die Notenbanken stoppen die Geldflut und überlassen den Regierungen die Lösung der Probleme.

Doch so weit wird es in naher Zukunft nicht kommen. Europas Banken werden also weiter unter der EZB-Geldpolitik ächzen. Sie verdienen kaum noch Geld, weil der Leitzins bei null Prozent liegt und die Institute der EZB darüber hinaus einen Strafzins von 0,4 Prozent an die EZB bezahlen - und zwar für das Geld, das sie über Nacht bei der EZB parken. Zur Erklärung: Jede Bank hält bei der EZB ein Girokonto. Dort buchen die Kreditinstitute nach Geschäftsschluss das Geld ein, für das sie keine bessere Verwendung gefunden haben. Man spricht von der Überschussreserve. Sie liegt bei rund 970 Milliarden Euro.

Diese Überschüsse wachsen in dem Maße, wie die EZB den Banken Staats- und Firmenanleihen abkauft. Doch die Banken wissen nicht, was sie tun sollen mit dem Geld. Bald wird die Überschussreserve den Rekordwert von einer Billion Euro erreichen. Banken müssen dann jährlich vier Milliarden Euro Strafzins bezahlen.

Was für eine Veränderung: In den Krisenjahren 2010/11 bunkerten Banken ihr Geld bei der EZB, weil sich die Institute gegenseitig nicht mehr trauten. Jeder fürchtete, der andere könnte pleitegehen. Heute liegt das Geld bei der EZB, weil es zu viel davon gibt.

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Quelle:
SZ vom 01.09.2016
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