EZB-Milliardenprogramm:Nach ihm die Geldflut

EZB-Milliardenprogramm: Streit um Käufe von Staatsanleihen: EZB-Chef Mario Draghi

Streit um Käufe von Staatsanleihen: EZB-Chef Mario Draghi

(Foto: AP)

Deutschland geht es gut, dem Rest der Euro-Zone nicht. EZB-Chef Mario Draghi glaubt, dass Europas Wirtschaft nur wieder in Gang kommt, wenn er ein wenig Inflation riskiert. Doch handeln müssen andere.

Analyse von Markus Zydra

Bei einer der ersten Sitzungen der neu gegründeten Europäischen Zentralbank (EZB) im Jahr 1998 war es dem damaligen Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer vorbehalten, den fortan regelmäßigen Treffen der nationalen Notenbankchefs eine europäische Note zu geben. Tietmeyer schlug vor, von seinem Namensschild, das auf dem Sitzungstisch vor ihm stand, das Wort "Bundesbank" zu entfernen. Er sitze hier nicht für Deutschland, sondern als Fachmann für Geldpolitik. EZB-Präsident Mario Draghi erzählt diese Geschichte immer wieder gerne mit dem Hinweis, dass die Frankfurter Notenbank diesen Geist lebe. Die EZB denke und handele europäisch. Nationale Egoismen hätten dort keinen Platz.

Draghi möchte den EZB-Rat am Donnerstag auf eine erneute Rettungsaktion einschwören. Der Italiener plant den Ankauf von Staatsanleihen aus der Euro-Zone. Eine Summe von mindestens 500 Milliarden Euro ist im Gespräch. So soll das Wachstum in der Euro-Zone angekurbelt werden. Die Maßnahme ist sehr umstritten. Noch nie war sich der EZB-Rat so uneinig. Fast hat man das Gefühl, dass nun sogar Fähnchen der einzelnen Euro-Staaten auf dem Verhandlungstisch stehen.

Grundsatzstreit mit nationaler Färbung

Die EZB führt in diesen Wochen einen Grundsatzstreit, und Draghi merkt sehr deutlich, dass es - europäischer Geist hin oder her - einen Unterschied macht, ob ein Notenbankchef aus Italien, Frankreich oder Deutschland kommt. Dabei spielt weniger der Pass eine Rolle als vielmehr die Sozialisierung der EZB-Ratsmitglieder. Die EZB sucht eine Lösung für die gesamte Euro-Zone, doch jedes Euro-Land und damit jeder Notenbanker erlebt die wirtschaftliche Lage zu Hause höchst unterschiedlich. Deutschland geht es gut, Italien nicht.

Dazu kommt der mitunter sehr starke innenpolitische Druck. Die französische Regierung fordert immer wieder, dass die EZB die Anleihekäufe endlich angehen möge. Da ist es auch für sonst resistente Notenbanker nicht immer leicht, sich solchen Einflüssen zu entziehen. Zudem sind die Notenbanker von unterschiedlichsten Denktraditionen geprägt.

Wer mit sinkenden Preisen rechnet, investiert nicht

Im normalen Tagesgeschäft lassen sich solche Divergenzen kaschieren. Bei der nun anstehenden Entscheidung schälen sich diese unterschiedlichen Haltungen jedoch immer deutlicher heraus. Bundesbankpräsident Jens Weidmann und die EZB-Direktorin Sabine Lautenschläger sind gegen den Ankauf von Staatsanleihen, weil durch das große Geldangebot der Notenbank die Kreditzinsen für die Länder sinken würden. Die Regierungen in Italien und Frankreich könnten sich dann am Finanzmarkt günstiger verschulden, was den Reformdruck mindere. In diesem Zusammenhang steht auch der Vorwurf der illegalen Staatsfinanzierung im Raum. Schließlich subventioniere die EZB durch das Absenken der Kreditzinsen die Staatshaushalte über die Notenpresse.

Doch Draghi und die Mehrheit im EZB-Rat bereiten die ökonomischen Rahmendaten der Euro-Zone Sorgen: kaum Wachstum, hohe Arbeitslosigkeit und aufgrund des sinkenden Ölpreises zu niedrige Inflation. Zu wenig Inflation? Das ist erklärungsbedürftig in einer Zeit, da gut gelaunte Autofahrer den Liter Diesel teilweise für unter ein Euro tanken. Draghi fürchtet, wie er es nennt, "eine Ent-Ankerung der Inflationserwartungen". Wenn die Menschen mit immer niedrigeren Preisen rechneten, könnten sie ihren Konsum und Firmen ihre Investitionen aufschieben. Das sei gefährlich. In Japan habe eine solche Deflation zu jahrzehntelanger wirtschaftlicher Stagnation geführt. Also müsse die EZB die Inflation anheizen - willkommen in den Tiefenregionen der Geldpolitik.

Der Euro dürfte weiter im Wert fallen

Die in den Verträgen fixierte Hauptaufgabe der EZB ist es, für stabile Preise in der Euro-Zone zu sorgen. Preisstabilität bedeutet aber nicht null Teuerung. Die EZB strebt im Mittel zwei Prozent Inflation an, als Puffer gegen Deflation. Draghi muss eingreifen, wenn die Inflation auf vier Prozent steigt, aber auch wenn sie, wie derzeit, unter null Prozent gefallen ist. Die EZB hat deshalb im letzten Jahr den Leitzins auf 0,05 Prozent reduziert und milliardenschwere Kreditprogramme für Banken beschlossen. Die Kritiker fragen: Sollte man nicht erst abwarten, wie das wirkt?

Der Ankauf von Staatsanleihen ist umstritten, auch wenn die Notenbanken in den USA, Großbritannien und Japan das machen. Der frühere US-Notenbankchef Ben Bernanke sagte einmal, das Problem sei, es funktioniere "in der Praxis, nicht aber in der Theorie".

Mit dem Ankauf der Anleihen würde frisches Geld in das Finanzsystem der Euro-Zone kanalisiert. Diese Flutung drückt dann den Außenwert des Euro gegenüber dem US-Dollar noch weiter. Dabei ist der seit Mai 2014 um fast 20 Prozent gefallen. So aber wird die Exportwirtschaft der Euro-Zone gestärkt. Gleichzeitig werden Einfuhren teurer: Man importiert also die gewünschte Inflation. Zudem können Euro-Staaten auf diese Weise leichter ihre Schuldenberge weginflationieren. Weil die Kreditzinsen für Staatskredite durch die Ankäufe der EZB weiter sinken, haben Regierungen mehr Geld für Investitionen übrig.

Die Politik muss mehr machen

Soweit der Plan. Doch Draghi weiß, dass die EZB allein kein Wachstum herbeizaubern kann. Die Politik muss mehr machen. Mehr Geld in Ausbildung und Forschung stecken, Monopolstrukturen aufbrechen und die Arbeitsmärkte öffnen.

Der EZB-Präsident hat in den vergangenen Tagen versucht, so viele Notenbanker hinter sich zu scharen wie möglich. Schließlich schöpft die EZB ihre Glaubwürdigkeit auch aus der Geschlossenheit des Gremiums. Die Kollegen Weidmann und Lautenschläger kann Draghi wohl nicht mehr überzeugen, Kanzlerin Angela Merkel vielleicht schon.

Ein Kompromiss bahnt sich an. Die nationalen Notenbanken der Euro-Zone sollen die Verlustrisiken der Staatsanleihekäufe übernehmen - und nicht etwa die EZB. So würde die italienische Banca D'Italia italienische Staatsanleihen und die französische Banque de France französische Schuldscheine kaufen. Das Volumen bestimmt die EZB. Die Mission wäre erfüllt und eine gesamteuropäische Lastenteilung ausgeschlossen. Nur der viel beschworene europäische Geist der EZB hätte sich dann verflüchtigt.

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