Mit ihrer fünften Leitzinssenkung in Folge hat die Europäische Zentralbank einen weiteren Schritt in Richtung lockerer Geldpolitik getan. „Die Inflation in der Euro-Zone wird kurzfristig noch schwanken, wir werden 2025 aber unser Inflationsziel von zwei Prozent erreichen“, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag in Frankfurt, nachdem die Notenbank einmütig beschlossen hatte, die Leitzinsen um 0,25 Prozentpunkte zu senken. Der für die Finanzmärkte relevante Einlagensatz liegt nun bei 2,75 Prozent. „Geopolitische Krisen könnten dafür sorgen, dass die Energiekosten und Frachtpreise ansteigen, und Unwetterkatastrophen könnten die Lebensmittelpreise erhöhen“, warnte Lagarde. Ob die EZB die Leitzinsen noch weiter absenkt, werde man auf Basis der aktuellen Daten von Fall zu Fall entscheiden, so die EZB-Präsidentin. Zuletzt hatten die Preise in der Währungsunion angezogen. Die Inflation stieg im Dezember auf 2,4 Prozent, das war der höchste Stand seit Juli 2024. Vor allem die Preise für Dienstleistungen und Lebensmittel legten stärker zu als sie sollten.
Dazu gesellt sich ein neues Risiko: Die drohenden Handelskonflikte mit den USA könnten die Inflation anheizen. US-Präsident Donald Trump droht vielen Staaten mit hohen Importzöllen auf Güter und Dienstleistungen. Sollte es zu einem Handelskrieg kommen und alle Seiten mit Strafzöllen reagieren, könnte das zu Preisverwerfungen und weniger Wachstum führen. Wohl auch deshalb hat die US-Notenbank Federal Reserve in ihrer ersten Sitzung nach Trumps Wiedereinzug ins Weiße Haus darauf verzichtet, den Leitzins weiter abzusenken. Der Satz liegt unverändert in der Spanne von 4,25 bis 4,5 Prozent. Der Weg zur Senkung der Inflationsrate sei „manchmal holprig“, sagte Fed-Chef Jerome Powell am Mittwoch. Das bedeute auch, dass man es nicht eilig haben müsse, den geldpolitischen Kurs zu ändern. Die Fed hatte zuvor dreimal in Folge den Leitzins gesenkt. Auch in den USA ist die Inflation im Dezember zum dritten Mal hintereinander gestiegen, und zwar auf 2,9 Prozent.
Mit seiner Zinspause stellte sich Fed-Chef Powell gegen Trump, der zuletzt mehrfach auf Zinssenkungen gedrängt hatte. „Angesichts der sinkenden Ölpreise verlange ich eine sofortige Senkung der Zinsen, und ebenso sollten sie überall auf der Welt sinken“, sagte der US-Präsident und legte gegen Powell persönlich nach: „Ich denke, ich kenne die Zinssätze viel besser“, sagte er. Und dann noch: „Ich denke, ich kenne sie mit Sicherheit viel besser als derjenige, der in erster Linie für diese Entscheidung verantwortlich ist.“
Weltweit machen Politiker Druck auf die Zentralbanken
Diese Einmischung Trumps in die Geldpolitik bricht mit der Regel, dass die Fed ihre geldpolitischen Entscheidungen unabhängig und ohne politische Einfluss auf rein sachlicher Ebene treffen sollte. Die Fed, die EZB und viele andere Notenbanken genießen politische Unabhängigkeit. Das Privileg ist in Gesetzen geregelt, auch in der EU. Der Grund: In der Geschichte haben Politiker Notenbanken oft gezwungen, Leitzinsen zu senken und Staatsschulden zu finanzieren. Erst die Einführung der politischen Unabhängigkeit hat dazu beigetragen, die Inflation über Jahrzehnte hinweg einzudämmen. Doch inzwischen machen Politiker aller Couleur erneut weltweit Druck auf ihre Zentralbank, Leitzinsen zu senken. Die Motivation liegt auf der Hand: Dadurch lassen sich Haushaltsdefizite günstiger finanzieren. Doch das ist gefährlich: Niedrige Leitzinsen führen zwar kurzfristig zu einem Wirtschaftsaufschwung, doch am Ende drohen hohe Inflation, Rezession und eine Finanzkrise.
Auch Europas Währungshüter sind beunruhigt. „Während neuere Untersuchungen darauf hindeuten, dass nach geltendem Recht die Unabhängigkeit der Zentralbanken noch nie so weitverbreitet war wie heute, besteht kein Zweifel daran, dass die tatsächliche Unabhängigkeit der Zentralbanken in mehreren Teilen der Welt infrage gestellt wird“, sagt EZB-Präsidentin Christine Lagarde in dieser Woche. Stärkerer politischer Einfluss auf die Geldpolitik könne die Aufgabe der Währungshüter erschweren, für stabile Preise zu sorgen.
Bewegung gibt es am Anleihemarkt, aus dem sich die EZB zum Jahreswechsel als Käufer endgültig zurückgezogen hat. Die Renditen sind etwas gestiegen, die Kreditkosten für die Euro-Staaten werden teurer, gleichzeitig steigt deren Kreditbedarf. Inzwischen sind wie in den Euro-Staatsschuldenkrisenjahren 2011/12 wieder vermehrt Hedgefonds als Spekulanten aktiv. „Im Jahr 2018 betrug der Anteil von Hedgefonds rund 26 Prozent am europäischen Staatsanleihemarkt, im Jahr 2023, da hatte die EZB schon begonnen, sich aus dem Anleihemarkt zurückzuziehen, waren es 56 Prozent“, sagt Christoph Kutt, Abteilungsleiter für Rentenmärkte im DZ Bank Research. Die Preise würden daher stärker schwanken.