Geldpolitik:Schluss mit dem Volkswirte-Jargon

Geldpolitik: EZB-Präsident Mario Draghi und Fed-Chef Jerome Powell: Sie erfüllen wichtige Aufgaben. Was sie genau machen, verstehen aber die wenigsten.

EZB-Präsident Mario Draghi und Fed-Chef Jerome Powell: Sie erfüllen wichtige Aufgaben. Was sie genau machen, verstehen aber die wenigsten.

(Foto: AP)

Das Vertrauen in die EZB sinkt. Damit die Leute die Zentralbank wieder stützen, muss diese das, was sie macht, so beschreiben, dass es alle Menschen verstehen.

Essay von Markus Zydra

Früher war die Arbeit der Notenbanker ziemlich überschaubar. Lief die Wirtschaft heiß, erhöhten sie den Leitzins. Schmierte die Konjunktur ab, senkten sie ihn. Die breite Öffentlichkeit nahm von den traditionell scheuen Technokraten kaum Notiz. Doch das diskrete Wirken stieß mit der globalen Finanzkrise ab 2008 an seine Grenzen. Weil Politiker weltweit wie gelähmt wirkten, mussten die Währungshüter den Finanzkapitalismus vor dem Kollaps retten. Dazu ergriffen sie beispiellose Maßnahmen: Nullzinsen für die Wirtschaft, unbegrenzte Notkredite für die Banken und Rettung der öffentlichen Finanzen durch den Ankauf von Staatsanleihen.

In ihrer Geschichte haben Zentralbanken selten einen so starken Einfluss auf die Weltwirtschaft genommen. Deshalb fragt die kritische Öffentlichkeit mit Recht, wer diese Leute sind, die über das Schicksal von Nationen entscheiden. EZB-Präsident Mario Draghi mag die Euro-Zone 2012 mit seiner "Whatever it takes"-Rede vor dem Kollaps bewahrt haben. Doch in Griechenland, Zypern, Italien und Frankreich haben viele Menschen die zunehmende Einmischung der Notenbank in die nationale Wirtschaftspolitik als unbotmäßig empfunden. Die Kritiker in Deutschland zerrten die EZB vor das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof. Auch dieser Aufruhr drückte aus, wie stark das Vertrauen der Bürger in die Europäische Zentralbank in den vergangenen zehn Jahren gesunken ist.

Draghi hinterlässt zum Ende seiner Mandatszeit im Oktober ein schweres Erbe. Die Notenpresse der EZB wirft mehr Geld aus als zum Höhepunkt der Finanzkrise. Der Leitzins liegt seit drei Jahren bei null Prozent. Krisengeldpolitik im Aufschwung? Das versteht kaum jemand und ist riskant. Was, bitte schön, kann die EZB noch tun, wenn die Wirtschaft in der Euro-Zone in eine große Rezession rutscht?

Die Notenbank muss sich mehr anstrengen, um ihre Arbeit zu legitimieren

Nach den EU-Parlamentswahlen an diesem Wochenende möchten sich die EU-Staats- und Regierungschefs auf einen Nachfolger für Draghi verständigen. Bundesbankpräsident Jens Weidmann, der Draghis Geldpolitik häufig kritisierte, hat gute Chancen, erster deutscher EZB-Präsident zu werden. Unter der Voraussetzung allerdings, dass kein anderer Deutscher einen der zahlreichen zu vergebenden EU-Spitzenposten erhält. Der vierte EZB-Chef muss mehr mitbringen als fundierte Kenntnisse in Geldpolitik. Die Notenbank wird öffentlich anders wahrgenommen als früher. Sie muss sich mehr anstrengen, um ihre Arbeit zu legitimieren.

Die Legitimität einer machtvollen Institution speist sich nicht nur aus Gesetzen, sondern auch aus dem Vertrauen der Bevölkerung. Letzteres ist gefährdet. Denn die Notenbank beeinflusst mit ihrer lockeren Geldpolitik immer stärker die Vermögensverteilung in der Gesellschaft. Wer sich aufgrund der Nullzinspolitik der EZB eine Immobilie kaufen konnte, darf künftig vom Preisboom auf den Häusermärkten profitieren. Die anderen suchen verzweifelt bezahlbare Mietwohnungen.

Die lockere Geldpolitik sorgt für Wirtschaftswachstum, die Löhne steigen, Arbeitnehmer profitieren also auch - aber eben nicht so stark wie ein Hausbesitzer. Ungerecht, könnte man sagen. Die Nullzinspolitik birgt auch wirtschaftliche Risiken, denen alle Bürger ausgesetzt sind. Die Verschuldung in der Welt ist heute höher als 2008. Banken vergeben immer riskantere Billigkredite. Es werden wenig rentable Projekte finanziert, so können eigentlich bankrotte Firmen überleben. Dadurch droht Teilen der Wirtschaft eine "Zombifizierung". Außerdem riskieren die Zentralbanken mit ihren Staatsanleihekäufen schlussendlich Steuergeld.

Die Währungshüter werden nicht direkt vom Volk gewählt, und sie sind unabhängig. Das ist ein Privileg mit Vertrauensvorschuss. Notenbanken müssen sich diesen besonderen Status dieser Tage neu verdienen. Bislang kommunizieren Notenbanken vor allem mit den Finanzmärkten. Das reicht nicht mehr. Die Währungshüter sollten mit allen gesellschaftlichen Gruppen reden. Dazu muss die Notenbank eine Sprache sprechen, die möglichst viele Menschen verstehen und der sie gerne zuhören. Nur so können sie ihre Maßnahmen breit legitimieren.

Nur bestimmte Leute verstehen, was die EZB sagt

Genau daran hapert es. Ein Beispiel: Die sechs Direktoren der EZB haben 2018 rund 130 Reden zu Geldpolitik, Bankenaufsicht und Finanzstabilität gehalten, meist auf Expertentreffen. Ein Blick auf die Manuskripte verdeutlicht die Schwierigkeit für interessierte Bürger. Fachleute erfahren viel von der "Phillipskurve", dem "neutralen Zins" und der "Forward Guidance". Doch simple, dem Laien eingängige Worte hört man wenig. Auch Journalisten, die als Mittler wirken sollen, stehen immer wieder vor der Frage, wie viel Vereinfachung bei der Berichterstattung komplizierter Geldpolitik statthaft ist.

Die EZB hat ihre Kommunikation verbessert. Sie hält viele Pressekonferenzen, die Zahl der öffentlichen Auftritte und Redetermine ihrer Führungskräfte hat sich seit 1999 vervielfacht. Die EZB legt offen, welche Banker, Politiker und Journalisten ihre Direktoren an welchem Tag zu welcher Uhrzeit treffen, und veröffentlicht auch Protokolle ihrer geheimen Sitzungen. Viel Masse, ja. Aber der Empfängerkreis ist sehr eng.

Die Bank of England hat herausgefunden, dass 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung eine Wahlkampfrede von Donald Trump verstehen. Bei einem Lied von Elvis Presley sind es 60 Prozent. Themen zur Geldpolitik in einem Zeitungsartikel verstünden aber nur rund 20 Prozent, dem Inhalt der Sitzungsprotokolle der US-Notenbank könnten gerade mal zwei Prozent der Menschen intellektuell folgen.

Geldpolitiker wagen es - manche mit Erfolg, manche scheitern krachend

Eigentlich hat die EZB einen leicht verständlichen Auftrag. Sie soll für stabiles Geld sorgen, sprich die Inflation im Zaum halten. In der Euro-Zone liegt die Teuerungsrate seit 2016 zwischen ein und zwei Prozent. Vernünftige Conclusio: Auftrag erfüllt. Doch das sieht die EZB anders. Sie folgt einer eigenen Definition von Preisstabilität und strebt langfristig eine durchschnittliche Teuerungsrate von "nahe, aber unter zwei Prozent" an. 1,5 Prozent oder nahe zwei Prozent - ist das so wichtig? Die EZB sagt Ja, und deshalb setzt sie auch in Zeiten von Wirtschaftswachstum ihre lockere Geldpolitik fort. Für die breite Öffentlichkeit ist das kaum zu begreifen. Auch deshalb regen sich viele Sparer über die Nullzinspolitik auf, zumal viele Ökonomen einräumen, dass da mit Scheingenauigkeiten hantiert wird: Ob 1,4 oder 1,7 Prozent Inflation - so genau könne man das gar nicht messen.

Ökonomen rätseln schon lange, warum die Inflation in den westlichen Industriestaaten vergleichsweise niedrig bleibt, obwohl die Zentralbanken Billionen in die Wirtschaft gepumpt haben und die Löhne langsam anziehen. In den akademischen Lehrbüchern steht, dass die Preise bei dieser lockeren Geldpolitik ordentlich steigen müssten, was aber nicht geschieht.

Diese Anomalie wirft Fragen auf für die EZB und andere Notenbanken: Die Globalisierung hat die Verzahnung der Wirtschaftsräume gestärkt. Womöglich ist die Entwicklung der nationalen Inflationsraten heutzutage stärker von externen Einflüssen abhängig, die jenseits der Macht der Notenbank liegen. Vielleicht sollte die Inflationsmessung erweitert werden. Bislang fließen die Verbraucherpreise dort ein. Aber was ist mit den Immobilien- und Aktienpreisen? Müssten die nicht stärker berücksichtigt werden? Die Notenbankwelt muss diese tatsächlich schwierigen Grundsatzfragen diskutieren, gerade auch mit der Öffentlichkeit.

"Einfaches Englisch" - das wurde für den Fed-Chef schnell zum Risiko

Bei aller Kritik: Die Kommunikation der Währungshüter hat sich in den letzten Jahrzehnten verbessert. In den 1920er-Jahren musste die Briten auf die Augenbrauen des britischen Notenbankchefs blicken, um zu erkennen, wie es um das Pfund stand. Später folgten Vernebelungstaktiken. Der frühere US-Notenbankchef Alan Greenspan brachte es zur Perfektion mit dem Satz: "Sollten Ihnen meine Aussagen zu klar gewesen sein, dann müssen Sie mich missverstanden haben." Notenbanker gerierten sich früher als Orakel.

Der amtierende Fed-Chef Jerome Powell hat immerhin versprochen "einfaches Englisch" zu reden. Doch schnell merkte er, wie riskant das sein würde. Ein paar lockere Sätze von ihm genügten, um an den Finanzmärkten für Aufregung zu sorgen. Dort ist man den technischen Jargon gewohnt, jedes ungewohnte Wort der Fed sorgt für Unruhe. Die Notenbankchefs können ihre Sprache im Dialog mit den Finanzmärkten wohl nur sehr behutsam anpassen. Aber wenn es darum geht, in der breiten Öffentlichkeit die Geldpolitik zu erklären und zu debattieren, darf man Klartext verlangen.

Es gibt Hoffnung. Bundesbankpräsident Jens Weidmann traf sich Anfang des Jahres mit jungen Menschen in einer Frankfurter Fabrikhalle und beantwortete ohne Umschweife deren Fragen. Die Bundesbank hatte ausschließlich über soziale Medien für diese Veranstaltung geworben. Ein Novum für die Institution. Alle wichtigen Notenbanken haben in letzter Zeit ihre Aktivitäten in den sozialen Medien ausgebaut. Es ist ein Anfang. Die Notenbanker sollten mehr Geschichten erzählen, fordert Andrew Haldane, der Chefvolkswirt Bank of England. "Aussagen, die an Erzählungen aus der realen Welt anknüpfen, bleiben besser hängen."

Die Richtung stimmt

Am wichtigsten bleibt aber die direkte Ansprache, auch und gerade der Skeptiker. Beispielsweise traf sich EZB-Direktor Benoît Cœuré 2014 zur Diskussion mit Globalisierungskritikern. Bundesbankvorstand Joachim Wuermeling sprach dieser Tage erstmals für die Institution über die Rolle der Zentralbanken in Zeiten von Populismus. "Wir müssen für die Akzeptanz unserer Politik Sorge tragen", sagte er. "Dabei sollten wir den Adressatenkreis unserer Kommunikation und unsere Instrumente erweitern." Man profitiere auch von Expertise, die außerhalb der Finanzmärkte angesiedelt sei.

Die Richtung stimmt. Notenbanker müssen ihre Höhlen verlassen und sich mit allgemein verständlichen Worten ausdrücken. Die Welt braucht keine Zentralbankverdrossenheit. Die Geldpolitik ist zu wichtig, als dass sie dem größten Teil der Bürger ein Rätsel bleiben sollte.

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