Süddeutsche Zeitung

Geldpolitik:EZB-Präsidentin Lagarde: "Jeden Stein" umdrehen

  • Lagarde möchte mit ihren 24 Kollegen des EZB-Rats in Klausur gehen. Die Frage: Welches Inflationsziel ist glaubwürdig?
  • Die EZB-Ökonomen sollen bei ihren Wirtschaftsprognosen Klimarisiken mehr berücksichtigen.

Von Markus Zydra

Die neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, dürfte am Donnerstag erste Details zur geplanten Strategiedebatte der Notenbank bekanntgeben. Die Französin hat versprochen, "jeden Stein" umzudrehen, um die Notenbank für die nächste Dekade fit zu machen. Hauptsächlich geht es um das künftige Inflationsziel.

Die EZB möchte die Teuerungsrate im Schnitt bei nahe aber unter zwei Prozent Inflation fixieren. Dieses Ziel stammt von 2003, damals hatte die Welt noch Angst vor hoher Inflation. Zwei Prozent schien damals die optimale Obergrenze zu sein. Doch im Zuge der Finanzkrise und fortschreitenden Globalisierung, die den Preisdruck auf Löhne verstärkte, aber auch durch die zunehmende Sparneigung der älteren Menschen in der westlichen Welt, verharrt die Teuerungsrate in Europa seit Jahren deutlich unter zwei Prozent. Damit können die meisten Menschen auch gut leben.

Doch die EZB bleibt bei der Nullzinspolitik, nur um die anvisierten zwei Prozent zu erreichen - der eigenen Glaubwürdigkeit wegen, wie es heißt. Für die Bevölkerung ist das kaum begreiflich, zumal die erlebte Inflation, vor allem bei den Wohnkosten, sowieso schon hoch genug ist. Welches Inflationsziel ist glaubwürdig?

Lagarde möchte dazu in Klausur gehen mit den 24 Kollegen im EZB-Rat. Diskutieren möchte sie aber auch mit Akademikern, EU-Politikern und der Zivilgesellschaft. Eine entspanntere Haltung bei der Inflation scheint angezeigt, denn die Verbissenheit, mit der Lagardes Vorgänger Mario Draghi immer wieder auf das Zwei-Prozent-Ziel rekurrierte, erzeugte eine gewissen Entfremdung zwischen der Institution und Europas Bürgern. Die Reputation der EZB gerät in Gefahr, wenn sie sklavisch ein Ziel verfolgt, das sich womöglich gar nicht mehr erreichen lässt.

Es bedarf einer klaren Definition von "grün"

Einen anderen Punkt, den Lagarde diskutieren möchte, ist die künftige Rolle der EZB im Kampf gegen den Klimawandel. Die Französin möchte mehr tun. Zum einen sollen EZB-Ökonomen bei ihren Wirtschaftsprognosen Klimarisiken mehr berücksichtigen. Zum anderen könnte die EZB bei Leihgeschäften solche Banken begünstigen, die "grün" sind. Doch dazu würde es einer klaren Definition von "grün" bedürfen. Gibt es die, dann könnte eine weitere Idee umgesetzt werden: der Kauf von grünen Anleihen zur Förderung des Klimaschutzes.

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) hat in dieser Woche einen Bericht vorgestellt mit dem Titel "Grüner Schwan", eine Anspielung auf den "Schwarzen Schwan". Die Metapher steht für unvorhersehbare und seltene Extremereignisse an den Finanzmärkten. Die BIZ-Autoren fordern, Notenbanken sollten für den Klimaschutz ihre Arbeit besser mit den Regierungen koordinieren. Sie warnen: Ein zu schneller Wechsel der Wirtschaftsregeln für besseren Klimaschutz könne zu Turbulenzen an den Finanzmärkten führen.

Ein Beispiel: Ein sofortiges Verbot der Kohleverbrennung würde wohl die Kohlefirmen an den Börsen über Nacht wertlos machen. Dürfte die EZB dann eingreifen und eigentlich "wertlose Aktien" kaufen, um die Börsen zu stabilisieren? Auch auf diese Frage muss die EZB eine Antwort finden.

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SZ vom 23.01.2020/mxh
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