Süddeutsche Zeitung

Nahaufnahme:Diese Frau will die EZB zu mehr Klimaschutz bewegen

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Roda Verheyen möchte die Zentralbank notfalls per Gerichtsentscheid zwingen, ihre Geldpolitik an den Pariser Klimazielen auszurichten. Sie ist eine ernst zu nehmende Gegnerin.

Von Michael Bauchmüller, Berlin, und Markus Zydra, Frankfurt

Am Abend nach ihrem größten Erfolg schaltete sich Roda Verheyen, Jahrgang 1972, mit ihren Wegbegleitern zusammen. Sie alle konnten es immer noch nicht fassen. "Wir brauchen jetzt keinen Klimaschutz im Grundgesetz mehr, Leute", sagte Verheyen. "Das ist jetzt verschwendete Lebenszeit." Verheyen, eine sonst recht zurückhaltende, nüchterne Juristin, schwebte nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum deutschen Klimagesetz tagelang auf Wolke sieben. "Das Verschieben von Verantwortung, das ist jetzt vorbei", jubelte sie. Die 25 Jahre Arbeit seien belohnt worden.

Nun, da die Bundesregierung juristisch verpflichtet wurde, mehr für den Klimaschutz zu tun, hat Verheyen ein neues Angriffsziel ausgemacht: die Europäische Zentralbank. In einem juristischen Gutachten, das die Juristin am Freitag zusammen mit Greenpeace veröffentlicht, macht sie deutlich, welche Klimaschutz-Verpflichtungen sich für die EZB und die Bundesbank aus dem Karlsruher Urteil ergeben. "Klimaschutz ist Menschenrecht und konstitutives Prinzip der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten geworden", heißt es in dem Gutachten. All dies werfe die Frage auf, ob die EZB beziehungsweise die Bundesbank möglicherweise vor Gericht verantwortlich gemacht werden kann, weil sie notwendige Maßnahmen unterlassen hat, um die Geldpolitik in Einklang mit den politischen Anstrengungen zum Klimaschutz zu bringen.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat das Thema "grüne Geldpolitik" gleich zu ihrem Amtsantritt vor zwei Jahren ganz oben angesiedelt, zunächst gegen starke Widerstände bei den Kollegen. Inzwischen überprüft die Notenbank ihre geldpolitische Strategie, die zukünftige Rolle des Klimaschutzes gehört dazu. Im Kern geht es um die Frage, ob die EZB und die nationalen Notenbanken bei ihren Anleihekäufen die Umweltbilanz der Unternehmen und bei den Beleihungsgeschäften die Umweltrisiken der Bankkredite stärker berücksichtigen werden. Es ist gut möglich, dass die Währungshüter künftig bestimmte Unternehmensanleihen nicht mehr kaufen und sie nur noch mit einem hohen Abschlag beleihen.

Bis September möchte die EZB ihren neuen Strategieplan zur "grünen Geldpolitik" vorlegen. Dann wird Verheyen entscheiden, ob geklagt wird. Der Weg dorthin sähe ungefähr so aus: Verheyen würde die Bundesbank wegen Verletzung des EU-Vertrags vor dem zuständigen deutschen Verwaltungsgericht verklagen. Dieses könnte die Vorlage dann auf Antrag direkt in Luxemburg beim Europäischen Gerichtshof einreichen.

Wohl wie keine andere Juristin im Land hat sich Verheyen dem Klimaschutz verschrieben. "Ich habe Jura studiert, um mich dem Umweltrecht zu widmen", erzählt sie. Durch ihre akribische Arbeit entdeckt sie immer neue Paragrafen, an denen sich Klagen und Beweisführungen bei Umweltfragen aufhängen lassen. So vertritt Verheyen auch einen peruanischen Kleinbauern gegen den Energiekonzern RWE: Deutschlands größter CO₂-Emittent gefährde dessen Existenz in den Anden. Das Dorf des Bauern ist durch eine Lagune weit oberhalb bedroht. Schmelzende Gletscher lassen die Lagune immer voller laufen, Dämme drohen zu versagen. Und der Konzern RWE mit seiner Braunkohle trage an all dem eine Mitschuld. Verheyen beruft sich dabei unter anderem auf das Bürgerliche Gesetzbuch - und hat es geschafft, dass das Oberlandesgericht Hamm in die Beweisaufnahme eingetreten ist. Selbst ein Ortstermin in den Anden ist geplant. Der Streitwert ist relativ gering - aber es geht ums große Ganze. Wie immer bei der Hamburger Anwältin.

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