Süddeutsche Zeitung

EZB kauft Staatsanleihen von Krisenländern:Wenn die Feuerwehr brennt

Erneut greift die Europäische Zentralbank aktiv in die Schuldenkrise ein - und kauft Anleihen von Krisenstaaten. Kurzfristig funktioniert das, die Risikoaufschläge für italienische und spanische Papiere sinken. Dennoch bleibt das Verhalten der EZB höchst fragwürdig: Es beschädigt die Institution nachhaltig - auf dem Spiel steht ihre Glaubwürdigkeit.

Johannes Aumüller

Die deutsche Bundesbank darf sich stets darüber freuen, als besonders unabhängig und glaubwürdig zu gelten. Das hat sie sich auch verdient, denn von den Tagen des ersten Bundesbank-Chefs Wilhelm Vocke bis zur Amtszeit des erst kürzlich ernannten Jens Weidmann hatte und hat die Institution eindeutige Aufgaben: Inflation verhindern, Geldwertstabilität garantieren. Und weil sie diesem Ansatz alles unterordnete, erarbeitete sich die Bundesbank über die Jahrzehnte ein Image als "Hüterin der Währung", die auch der großen Politik in Bonn beziehungsweise Berlin trotze.

Glaubwürdig und unabhängig - das würde die 1998 gegründete Europäische Zentralbank (EZB) auch gerne über sich lesen. Doch daraus wird so schnell nichts mehr: Spätestens seit sie am Sonntagabend ankündigte, erneut die Anleihen von Krisenländern der Euro-Zone aufzukaufen. Die EZB selbst benannte die betroffenen Länder zwar nicht konkret, doch nach Äußerungen von Händlern und dem französischen Finanzminister Francois Baroin ist eindeutig, dass es sich dabei, wie erwartet, um Spanien und Italien handelt - zwei der größten europäischen Volkswirtschaften. Die Sparprogramme in den beiden Ländern hätten die Notenbanker überzeugt, heißt es.

Die Idee dahinter: Die Euro-Wächter um ihren Vorsitzenden Jean-Claude Trichet wollen verhindern, dass niemand mehr den schwächelnden Staaten Geld leiht. Mit einer ähnlichen Argumentation wurde in der Bankenkrise viel Geld in den Markt gepumpt, um das Austrocknen des Inter-Banken-Handels zu verhindern.

Die Politiker mag das neuerliche Eingreifen freuen, die IWF-Chefin Lagarde auch, den Markt ebenso. Kurzfristig wirkten die Aktivitäten aus Frankfurt positiv. Die Rendite zehnjähriger italienischer Anleihen fiel um 0,57 Prozentpunkte auf 5,517 Prozent, entsprechende spanische Papiere um 0,58 Punkte auf 5,457 Prozent.

Doch aus ökonomischer Sicht ist der Schritt äußerst schwierig. Denn im Prinzip soll die EZB den Markt über Geldpolitik, also Gelddrucken und Geldentzug, das Heben und Senken der Leitzinsen, steuern. Die Anleihenaufkäufe bedeuten, dass sie parallel nun auch noch Fiskalpolitik betreibt. Das Aufweichen der Trennlinie zwischen Geld- und Fiskalpolitik führt zu einem Verlust an Unabhängigkeit, was zum Beispiel der deutsche Bundesbankchef Weidmann massiv kritisiert. Konkret hat das EZB-Rezept diese Folgen:

Erstens verwässert die EZB mit diesem Eingriff den Markt. Sie bezahlt Geld für etwas, das offenkundig niemand mehr haben möchte und entsprechend nicht mehr so viel wert ist. Freuen dürfen sich vor allem die Banken und Investoren, die so ihre schwachen Papiere geschickt loswerden können; das Risiko wandert von ihnen ab zur Zentralbank.

Aus diesem Grund hatten die Märkte die EZB schon in den vergangenen Tagen gedrängt. "Der einzige Feuerwehrmann, der uns schnell aus dem brennenden Haus tragen kann, ist die EZB, die seit Beginn der Krise bei der Beruhigung der Märkte eine bewundernswerte Rolle gespielt hat", sagte Jean-Michel Six, Chefökonom von Standard & Poor's für Europa, kürzlich.

Zweitens ist das Vorgehen der obersten europäischen Notenbanker auch für den Steuerzahler bedenklich. Denn in gewisser Weise tut die EZB mit dem Ankauf der Staatsanleihen etwas, was die Politik immer den Finanzmärkten vorwirft: Sie wettet. Sie setzt darauf, dass die Krise bald zu Ende geht, dass sich die Situation in den klammen Staaten erholt und dass Italien und Spanien ihre Schulden bald wieder in den Griff bekommen. Den Gegenwert der Wette hält der Steuerzahler, der notfalls mit Steuern, Abgaben und höheren Preisen für die EZB-Aktivitäten haften muss. Und wahrscheinlich ist ein Krisenende derzeit wahrlich nicht.

Drittens macht die EZB nun eine angebliche Ausnahme zur Regel. Vom "Sündenfall" war im Mai des vergangenen Jahres die Rede gewesen, als die EZB erstmals ankündigte, griechische Schrottpapiere aufzukaufen. Und wie es bei Sündenfällen so oft ist: Danach scheint alles möglich. Irgendwann einmal hatte die EZB erklärt, nur Staatsanleihen mit mindestens A-Rating zu kaufen, dann senkte sie diesen Anspruch immer so weit, wie sie es brauchte, um Griechenland doch noch und sogar trotz CCC-Ranking zu unterstützen - und mittlerweile kauft die EZB alles gerade so, wie es ihr passt.

Viertens führt das alles zu einem: Die Glaubwürdigkeit der Institution leidet massiv. Doch die Zahl derer, die sich dagegen sträuben, ist gering. Der deutsche Bundesbank-Chef Jens Weidmann gehört dazu. Er und drei weitere Mitglieder des EZB-Rates stimmten vergangene Woche gegen den Beschluss, das ruhende Anleihekaufprogramm wieder aufzunehmen. Weidmanns Vorgänger Axel Weber hatte sich nicht nur, aber auch wegen seiner Vorbehalte gegen das Aufkaufprogramm griechischer Staatsanleihen aus seinen finanzpolitischen Ämtern in Richtung Chicago beziehungsweise Zürich verabschiedet.

Weidmann, Weber und die wenigen anderen verbliebenen Stabilitätsverfechter können nur hoffen, dass es sich bei dem aktuellen Aufkaufprogramm um das letzte Eingreifen der EZB handelt. Denn die europäischen Regierungschefs hatten ja beim Gipfel in Brüssel vor zweieinhalb Wochen beschlossen, dass künftig der noch in seinen Feinheiten zu konzipierende Rettungsfonds EFSF als Krisenfeuerwehr zu wirken habe. Dieser steht aber erst im Oktober. Allerdings hieß es aus Berlin, dass die EZB die Staatspapiere nicht einfach so an den EFSF weiterreichen könnte.

Wer es nun gut mit der EZB meint, der kann sagen, dass ein letzter Noteinsatz nötig war, um Italien und Spanien bis dahin Luft zu verschaffen - und den betreffenden Ländern Zeit, den neuen happigen Rettungsschirm auch parlamentarisch korrekt zu verabschieden. Wer es nicht so gut mit der EZB meint, der verflucht die Verstöße gegen die eigenen Prinzipien und denkt mit Wehmut an die guten alten Bundesbankzeiten zurück.

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