Geld:Warum sich die EZB schon über zu wenig Inflation sorgt

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EZB-Zentrale in Frankfurt: „Ein Großteil der letzten Etappe, um die Inflation nachhaltig wieder auf das Ziel von zwei Prozent zu bringen, wird im nächsten Jahr erreicht.“ (Foto: Michael Probst/AP)

Der Kampf gegen die hohen Teuerungsraten ist noch nicht gewonnen, da fürchten die Währungshüter bereits die umgekehrte Gefahr.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Die Europäische Zentralbank hat den Kampf gegen die Inflation noch nicht gewonnen. Und doch macht sich der Chefvolkswirt der Währungshüter, Philip Lane, schon über das gegenläufige Risiko Gedanken. Dabei handelt es sich um eine kontrovers diskutierte Frage, die die Notenbank-Ära Draghi in den 2010er-Jahren dominiert hat: Kann Inflation auch zu niedrig sein und eine mutmaßlich gefährliche Deflation samt Wirtschaftskrise auslösen?

Unter dem Eindruck der letzten Jahre mit Hochinflation erscheint das aktuell eher von akademischem Interesse zu sein, doch Lane machte in einem Interview mit der französischen Zeitung Les Echos deutlich, dass ihn dieses Thema beschäftigt: „Die Geldpolitik sollte nicht zu lange restriktiv bleiben. Andernfalls wird die Wirtschaft nicht ausreichend wachsen und die Inflation wird meiner Meinung nach unter den Zielwert fallen“, sagte Lane. Das Inflationsziel der EZB beträgt 2,0 Prozent, im Oktober hat sie dieses Ziel auch exakt erreicht. Zwar werde es nach Meinung der EZB noch bis 2025 dauern, bevor diese Marke verlässlich eingehalten wird, doch dann könnten die Leitzinsen schnell und deutlich sinken, um nicht dauerhaft unter die Zielmarke zu fallen.

Für viele Menschen ist die Zwei-Prozent-Marke schwer nachvollziehbar. Warum sollte eine Notenbank überhaupt eine Inflation anstreben, anstatt auf stabile Preise zu zielen? Die Experten machen dafür Messprobleme geltend und die Beibehaltung eines Puffers, denn einmal an der Nulllinie angelangt, könne die Wirtschaft schnell in die Deflation abgleiten, also in eine Phase dauerhaft sinkender Preise. Die gilt gemeinhin als gefährlich, weil sie in einer Rezession münden könnte. Allerdings haben Experten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in ihrer Analyse, die bis 1870 zurückreichte, festgestellt, dass es nur eine sehr schwache Verbindung zwischen Deflation und geringem Wachstum gebe. Die EZB unter Draghi war da stets anderer Ansicht.

Nun hat der EZB-Chefvolkswirt das Wort Deflation nicht in den Mund genommen und mit dem Phänomen der „zu niedrigen Inflation“ ist aktuell nicht zu rechnen. Lane möchte auch erst einmal den Inflations-Horror hinter sich lassen: „Ein Großteil der letzten Etappe, um die Inflation nachhaltig wieder auf das Ziel von zwei Prozent zu bringen, wird im nächsten Jahr erreicht“, sagte er. Mitte Dezember, so erwarten die Finanzmärkte, wird die EZB den aktuellen Leitzins in Höhe von 3,25 Prozent deshalb wohl zum vierten Mal in diesem Jahr senken.

Was bleibt, ist die Aussicht, dass die EZB geldpolitisch wohl einschreiten würde, wenn die Inflation dauerhaft niedriger als zwei Prozent ausfiele. Ob es dann sinnvoll wäre, dass die Währungshüter im schlimmsten Fall erneut Staatsanleihen kaufen und den Leitzins im Negativbereich fixieren – damit beschäftigen sich die Notenbanker in ihrer Rückschau auf die Draghi-Jahre seit vielen Monaten. Mit öffentlichem Gegenwind dürfte die EZB aber rechnen: Verbraucher wünschen sich möglichst niedrige Preissteigerungen, die durchaus auch unter zwei Prozent liegen dürfen.

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