Geldpolitik:"Diese Gewinne gehören der Gesellschaft"

Geldpolitik: Europäische Zentralbank in Frankfurt/Main: Wenn die EZB den Leitzins anhebt, profitieren die Banken.

Europäische Zentralbank in Frankfurt/Main: Wenn die EZB den Leitzins anhebt, profitieren die Banken.

(Foto: Norbert Neetz/imago images)

Die Zentralbank zahlt Banken Zinsen, wenn diese ihr Geld dort lagern. Warum eigentlich? Die Milliarden würden den Menschen zustehen, sagt ein Ökonom.

Von Meike Schreiber und Markus Zydra, Frankfurt

Es steht schon lange der Verdacht im Raum, die Europäische Zentralbank kümmere sich mehr um das Wohlergehen der Banken als um die Belange der Bürger. Die hohen Inflationsraten belasten die Menschen, die Währungshüter sind von den hohen Preisen kalt erwischt worden. Die jüngsten Leitzinserhöhungen sollen die Entwicklung bremsen, aber bis die Inflation wieder auf das angestrebte Niveau sinkt, werden Jahre vergehen. Unterdessen verdienen die Banken in Europa an der Zinswende viel Geld. "Die EZB wird in diesem Jahr 92 Milliarden Euro an die Kreditinstitute auszahlen", schreibt der Wissenschaftler Paul De Grauwe in einem Artikel für das Centre for Economic Policy Research (CEPR). Dieses Geld entgehe dann den Staatshaushalten, an die die EZB jedes Jahr ihre Gewinne ausschüttet. "Diese Gewinne gehören der Gesellschaft und sollten an die Regierungen ausbezahlt werden." Banken bräuchten keine "Subventionen" von den Währungshütern.

Worum geht es? Die Banken aus der Währungsunion lagern ihre Überschüsse im Gesamtwert von rund 4,6 Billionen Euro auf ihren Konten bei der Notenbank. Dafür erhalten sie derzeit einen Zins in Höhe von zwei Prozent. Es handelt sich um den sogenannten Einlagenzins, der viele Jahre lang negativ war. In dieser Phase mussten die Kreditinstitute "Strafzins" an die Notenbank überweisen - für deutsche Banken belief sich das in den Jahren 2016 bis 2021 auf 15,8 Milliarden Euro, so Daten von Barkow Consulting. Jetzt läuft es andersherum: Da die EZB aufgrund der Inflation den Leitzins noch weiter anheben dürfte, könnten die Profite für die Kreditinstitute noch deutlich höher ausfallen, sagt der Ökonom der London School of Economics.

Immer wieder profitieren Banken von der Geldpolitik: Zuletzt kassierten sie - auch wegen der nun hohen Leitzinsen - risikolose Zusatzerträge in Milliardenhöhe als Konsequenz des groß angelegten extrem profitablen Kreditprogramms aus der Covid-Krise, bekannt geworden unter dem Kürzel TLTRO 3. Erst spät und nach massiver Kritik aus Fachkreisen stoppte die EZB diesen Geldsegen.

Für die Bürger sind solche Bankhilfen schon immer kaum nachvollziehbar gewesen, auch in den wirtschaftlich schweren Jahren ab 2014, als eine langwierige Deflation drohte. Damals prallte die Idee eines "Helikoptergelds" für die Bürger stets an den Entscheidungsträgern der Notenbank ab. Der Ex-US-Notenbankchef Ben Bernanke nutzte einst die Metapher vom Helikoptergeld, die dem Wirtschaftswissenschaftler Milton Friedman zugeschrieben wird. Eine Notenbank, so die Idee, müsse in einer Deflation aus dem Helikopter über dem ganzen Land für die Verbraucher Dollarnoten abwerfen - bildlich gesprochen. Konkret gab es vor einigen Jahren Vorschläge, die EZB solle jedem Erwachsenen 500 Euro schenken, damit die Wirtschaft in Schwung kommt. Doch daraus wurde nichts.

Der Kreditsektor verdient ordentlich, und das teilweise ohne Risiko

Dafür gewinnen die Banken nun auch in der Hochinflationsphase, in der die EZB den Leitzins stark anhebt, um den Preisdruck zu dämpfen. Die Währungshüter haben die Zinsen im vergangenen Jahr vier Mal kräftig angehoben. Höhere Zinsen dämpfen Investition und Nachfrage. Dadurch, so die Erwartung, würde die Inflation wieder zurückgehen. Doch bis die Erhöhungen in der Wirtschaft die erwünschte Wirkung entfalten, vergeht in der Regel ein Jahr. Das Leiden der Bürger wird also weitergehen, während der Kreditsektor ordentlich verdient, und das teilweise ohne Risiko.

Der Wissenschaftler De Grauwe argumentiert, den Banken stünden diese "Subventionen" durch den Einlagenzins nicht zu. Es handele sich schließlich um jederzeit verfügbare Sichteinlagen, die nicht verzinst werden müssten. Schließlich würden Privatkunden auf ihren Girokonten von ihrer Bank auch keinen Zins erhalten. Es gebe keinen Grund, dass die EZB bei den Banken anders vorgehe. Überhaupt, so De Grauwe, sei das Konzept der Einlagenverzinsung von der Bundesbank übernommen worden - andere europäische Notenbanken hätten dies vor Beitritt zur Währungsunion auch nicht angeboten.

Die Überschussreserven des europäischen Bankensektors sind in den vergangenen Jahren in dem Maße gestiegen, wie die EZB den Instituten in der Draghi-Ära Staatsanleihen in Billionenhöhe abgekauft hat. Ein Beispiel: Die Notenbank hält inzwischen deutsche Bundesanleihen im Wert von rund 900 Milliarden Euro - das ist knapp die Hälfte der gesamten deutschen Staatsschulden.

Eine Bank könnte ihre aus diesen Anleiheverkäufen eingenommenen Überschüsse auf dem EZB-Konto abbauen, etwa indem sie mehr Kredit vergibt oder Wertpapiere kauft. Doch solange man einen risikolosen Zins von zwei Prozent erhält, ist der Druck, dies zu tun, eher schwach. Die entscheidende Frage lautet: Handelt es sich hier wirklich um eine Subvention von der EZB?

Die EZB sei nicht dafür da, Gewinne für die Bürger zu erwirtschaften, heißt es

"Ich denke, Subvention ist da in der Tat der falsche Begriff. Die EZB hat den Banken Staatsanleihen abgekauft. Wer von beiden damit Geld verdiente oder verlor, das hing dann vor allem vom geldpolitischem Kurs der EZB ab, den die Banken nicht beeinflussen können", sagte Dirk Schumacher, Chefvolkswirt der französischen Investmentbank Natixis. "Zu Beginn des Quantitative Easing, sprich der massiven Anleihekäufe, und der Niedrigzinsphase war das Ganze für die Banken recht teuer, da sie nur sehr begrenzt die negativen Zinsen weitergeben konnten. Nun hat sich das Ganze umgedreht."

Die Idee, den Einlagenzins abzuschaffen, kursiert in Wissenschaftskreisen - eine Umsetzung ist derzeit unwahrscheinlich. Weder die EZB, die Bundesbank noch die deutschen Banken möchten De Grauwes Vorschlag kommentieren. Eine Abschaffung des Einlagenzinses würde der EZB ein wichtiges Steuerungsinstrument zerschießen, heißt es in Notenbankkreisen. Zudem sei die EZB nicht dafür da, Gewinne für die Bürger zu erwirtschaften. Vielmehr sorge sie für stabile Preise: Aber da hakt es ja leider.

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