Kommentar:Die EZB muss die Nebenwirkungen stärker berücksichtigen

Zydra, Markus

Illustration: Bernd Schifferdecker

Die lockere Geldpolitik der Notenbank verstärkt die Vermögensungleichheit. Andererseits kann die EZB die Anleihenkäufe nicht einfach beenden. Wie kommt sie aus dem Dilemma?

Von Markus Zydra

Die lockere Geldpolitik der Notenbanken vergrößert die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich. Es gibt gute Gründe für diese Behauptung, doch Währungshüter haben diesen Vorwurf bislang zurückgewiesen. Ihre Geldpolitik, so das Argument, sorge für stabile Preise, Wachstum und damit Jobs. Für Fragen der Gerechtigkeit seien Politiker zuständig.

Diese "Geht uns nichts an"-Phalanx scheint zu brechen. EZB-Direktorin Isabel Schnabel sagte in einer Rede, die Zentralbank sei in dieser Debatte kein "unbeteiligter Zuschauer". Schließlich gebe es Befürchtungen, die Währungshüter würden durch den Ankauf von Anleihen die Besitzer von Aktien und Immobilien begünstigen. Schnabel spricht vielen Deutschen wohl aus der Seele.

Die zunehmende Vermögenskonzentration beschädigt den Kitt der Gesellschaft. Deutschland ist reich, das Vermögen der Privathaushalte beträgt stolze 7,3 Billionen Euro. Doch diese Reichtümer aus Bargeld, Bankeinlagen, Aktien und Versicherungsansprüchen sind extrem ungleich verteilt. Die Ökonomen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung haben ausgerechnet: Das reichste Prozent der Bevölkerung vereint rund 35 Prozent des Vermögens auf sich, die oberen zehn Prozent hierzulande besitzen gut zwei Drittel des gesamten Nettovermögens. Und das wenige, das übrig bleibt, teilt sich der große Rest der Bevölkerung.

Geringverdiener haben wenig von steigenden Aktienkursen und Immobilienpreisen

Der Fall Deutschland ist exemplarisch für viele Industriestaaten, in denen die Verteilung der Vermögen in den vergangenen Jahren immer ungerechter geschah. Die lockere Geldpolitik der Zentralbanken gilt als eine Ursache für diese beschleunigte Entwicklung. Die Nullzinspolitik ermöglichte Privathaushalten und Profiinvestoren die günstige Kreditaufnahme zum Erwerb von Immobilien, gleichzeitig sorgten niedrige Zinsen dafür, dass die Aktienkurse stark angestiegen sind. Der Leitindex Dax erreicht einen Höchststand nach dem anderen. Allerdings können sich Haushalte mit geringen Einkommen den Kauf von Aktien und Immobilien kaum leisten. Sie bleiben bei diesem Gewinnzuwachs außen vor.

Gleichzeitig steht außer Frage, dass die lockere Geldpolitik die Wirtschaft ankurbelt. Dadurch entstehen neue Jobs. Arbeitslose finden wieder bezahlte Beschäftigung. In manchen Sektoren steigen in der Folge auch die Löhne. Das billige Geld der Notenbank nutzt also den Ärmsten der Gesellschaft, weil sich deren Chance auf einen festen Job erhöht. Es steigen aber wegen des billigen Geldes die Kosten für das Wohnen, worunter gerade die Ärmsten am stärksten leiden. Die Häuserpreise sind in Deutschland seit 2015 um 60 Prozent geklettert. Da weniger als die Hälfte der deutschen Bevölkerung Wohneigentum besitzt, so Schnabel, könnten die hohen Preise "Ungleichheit und soziale Spannungen auslösen".

Schnabel positioniert sich als Währungshüterin mit gesellschaftlicher Verantwortung

Die Debatte über diese Nebenwirkungen der lockeren Geldpolitik ist überfällig. Schnabel positioniert sich damit im Kampf um die Nachfolge des scheidenden Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann als Währungshüterin mit gesellschaftlicher Verantwortung. Nur über den Leitzins zu reden, reicht nicht mehr. Ungleichheit und Klimawandel sind ebenso wichtige Themen. Dazu kommt das Kerngeschäft, denn die Preise steigen stärker als erwartet. Die Teuerungsrate in der Euro-Zone betrug im Oktober 4,1 Prozent, bezieht man die Kosten für eigengenutztes Wohnen mit ein, erhöht sich der Wert auf 4,6 Prozent. In Deutschland gingen die Preise auf Jahresbasis um 4,5 Prozent in die Höhe, so stark wie seit 28 Jahren nicht mehr. Geldentwertung plus Nullzinsen auf dem Sparkonto - natürlich sind die Menschen sauer, dass die Notenbank ihre lockere Geldpolitik fortsetzt.

Die Rettungsbillionen der Notenbank haben in der Gesellschaft Spuren hinterlassen, positive wie negative. Es ist höchste Zeit, Bilanz zu ziehen. Die Bevölkerung ahnt: Eine Beendigung der Anleihekäufe durch die EZB ist trotz hoher Inflation unrealistisch, weil viele finanzschwache Euro-Staaten die Hilfe brauchen. Doch die geduldeten hohen Preise für Energie und Wohnen treffen einkommensschwache Gruppen härter als andere. Was kann die EZB tun, um diese Dilemmata zu lösen? Diese dringende Frage sollte die Notenbank beantworten. Es geht um ihre Glaubwürdigkeit.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: