Jahrelang bildeten sich die Deutschen etwas darauf ein, eine ganz andere Notenbank zu haben als die Amerikaner. Nämlich eine Bundesbank und danach eine Europäische Zentralbank EZB, die sich nur um Inflation kümmert - und nicht um Wachstum, Jobs und andere Probleme der Menschen.
Die Aufgabe so eng zu fassen, war eine Selbstbescheidung, die den hiesigen Notenbankern das amerikanische Dilemma ersparte: Auf der anderen Seite des Atlantiks entfachte Fed-Chef Alan Greenspan mit Minizinsen ein Jobwunder, befeuerte damit aber gleichzeitig Megaspekulationen, die in die Finanzkrise mündeten.
So ein Malheur konnte der auf Inflation konzentrierten EZB nicht passieren. Angesichts des Euro-Dramas muss man nun aber sagen: Das enge Bundesbank-Modell reicht für Europas heutige Realität nicht mehr aus.
Europas Realität ist eine gemeinsame Währung, die ohne gemeinsame Wirtschaftspolitik gestartet wurde, weshalb Süden und Norden auseinanderdrifteten. Dieser Fehler ist erkannt und soll durch harte Ausgabenregeln repariert werden. Gleichzeitig sparen und reformieren die angeschlagenen Südstaaten wie Spanien oder Italien (und auch Griechenland), um die Misswirtschaft des ersten Euro-Jahrzehntes zu korrigieren.
Beide Prozesse brauchen Zeit. Doch die hat keine Regierung, der Investoren das Vertrauen entziehen und die trotzdem weiter Lehrer und Polizisten bezahlen muss. Deshalb ist es richtig, dass übergangsweise die Euro-Partner mit Geld aushelfen - und dass nun übergangsweise die EZB eingreift, da sich die Geduld der Geber in Deutschland und anderswo erschöpft und die politischen Verfahren dauern.
Kluge Sowohl-als-auch-Strategie
Die Betonung liegt auf übergangsweise: Nur wenn der riskante Aufkauf von Staatsanleihen und anderes den Reformprozess erträglich gestalten, statt ihn zu verlangsamen, ist der ungewöhnliche Einsatz gerechtfertigt. Mit anderen Worten: Es kommt voll auf die Kunstfertigkeit von EZB-Chef Mario Draghi und seinen Kollegen an. Sie müssen Geld einsetzen, das sie wiederbekommen - und sie müssen dabei Inflation vermeiden.
Draghi agiert wie der Euro-Präsident, den die Währungsunion noch nicht hat, aber dringend bräuchte. Er ist kein Inflationswächter wie die früheren Bundesbankchefs Tietmeyer oder Pöhl, sondern ein Drahtseilartist wie Greenspan: mit Absturzgefahr.
Die große Herausforderung für ihn ist, den Menschen in Südeuropa klarzumachen, dass er nur hilft, wenn sie ihre Volkswirtschaften weiter radikal umbauen. Am Donnerstag wählte er dafür eine kluge Strategie des Sowohl-als-auch. Er stellte Anleihekäufe und anderes in Aussicht, aber nur für den Fall, dass die Regierungen Bedingungen erfüllen. Soll heißen: Geld gibt es nicht gratis, das wäre auch tödlich für deutsche Steuerzahler.
Enttäuschung der Börsianer ist kein Problem
Es ist kein Problem, dass die Börsianer enttäuscht reagierten, weil sie Konkreteres erhofft hatten. Es ist sogar wertvoll. Draghis Beharren auf Bedingungen zeigt, dass er die Risiken für Steuerzahler im Blick hat. Dabei hilft auch, dass er mit Bundesbankchef Jens Weidmann einen Mahner im Gremium hat, der als Anwalt der Bürger in den Geberstaaten fungiert.
Die Währungsunion steht vor einem unruhigen Sommer. Spanien und Co. beginnen trotz aller Anstrengungen erst, die Investoren zu überzeugen. Deshalb entscheidet über das Bestehen des Euro, dass starke Kräfte hinter der Währung stehen - die Zentralbank mit ihrem unbegrenzten Potenzial, Geld zu drucken. "Unumkehrbar" nennt Mario Draghi den Euro und macht damit klar, dass er den Euro auf seinem Weg zur Besserung vor Spekulanten schützen will. Das ist eine gute, starke Botschaft, denn ein Auseinanderbrechen der Währung wäre für alle Beteiligten immer noch das Teuerste.
Ein EZB-Gremium ist indirekter demokratisch legitimiert als ein EU-Gipfel, weswegen die Zentralbank wirklich nur übergangsweise helfen darf. Aber helfen muss sie, solange der Euro so unfertig ist. Hätten Regierung und Notenbank der USA nach der Lehman-Pleite 2008 monatelang über ihre Legitimation im Detail diskutiert, wäre das Weltfinanzsystem untergegangen.