EZB:Lagardes Ausputzer

Lesezeit: 2 min

Juristin, die beim Erklären der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank zu für Laien kaum bemerkbaren Ungenauigkeiten neigt: EZB-Präsidentin Christine Lagarde. (Foto: Thomas Lohnes/Getty Images)

Der Chefvolkswirt der Notenbank, Philip Lane, telefoniert mit Vertretern des Großkapitals, um ihnen die Geldpolitik genauer zu erklären, als es die EZB-Präsidentin vermag. Aber darf er das überhaupt?

Von Markus Zydra, Frankfurt

Sie sei eine großartige Kommunikatorin. Dieser Ruf eilte Christine Lagarde voraus, als sie den Chefposten bei der Europäischen Zentralbank (EZB) vor gut einem Jahr antrat. Und es stimmt: Die Französin redet klar und verständlich. Mit ihrer offenen Art gewinnt sie die meisten Menschen. Doch manche verliert sie auch; die Profis an den Finanzmärkten beispielsweise. Gleich bei ihrer ersten wichtigen Pressekonferenz im Frühjahr wählte sie ihre Worte so salopp, dass die Börsen dachten, Lagarde distanziere sich von Mario Draghis Rettungsmantra "Whatever it takes". Die ehemalige Chefin des Internationalen Währungsfonds erklärte damals forsch, die EZB sei nicht dazu da, die Darlehenszinsen für den italienischen Staat im Zaum zu halten. Was gab das für ein Durcheinander!

Lagarde eilte nach der Pressekonferenz stante pede zum US-Fernsehsender CNBC, um den Fauxpas auszubügeln. Ungefähr zur selben Zeit an diesem 12. März setzte sich EZB-Chefvolkswirt Philip Lane an sein Telefon und begann Experten des internationalen Großkapitals anzurufen. Einzeln. Darunter Deutsche Bank, Blackrock, Goldman Sachs etc pp. Diese Telefonate waren auch in Lanes Geschäftskalender eingetragen, dessen Inhalt regelmäßig mit drei Monaten Verzögerung auf der Homepage der Notenbank veröffentlicht wird. Das Wall Street Journal hat dort nachgeschaut und am Dienstag einen kritischen Artikel veröffentlicht, in dem diese augenscheinliche Nähe der EZB zu Banken problematisiert wird.

Eigentlich muss die Notenbank alle Menschen gleichzeitig über ihre geldpolitischen Entscheidungen informieren, Insider hätten sonst den Vorteil, mit Vorabinformationen an den Börsen Geld zu verdienen. Lane sprach aber nicht vor, sondern nach der Entscheidung des EZB-Rats mit den Banken. Insoweit alles okay. Der Ire wollte - Experten unter sich - geraderücken, was Lagarde verrückt hatte. Lane ist Geldpolitiker, und nur das. Seine Vorträge sind fachlich vom Feinsten, alle Details und Implikationen akkurat auf den Punkt. Für Normalbürger ist das eine unmögliche Kost, für die Profis aber das Evangelium.

Lagarde fremdelt mit der Sprache der Finanzmärkte

Lagarde tut sich schwer. Sie ist Juristin, keine Geldpolitikern. Das musste sie auch in anderen wichtigen Pressekonferenzen dieses Jahres erleben, in denen ihr immer wieder für den Laien kaum bemerkbare Ungenauigkeiten über die Lippen kamen. Deshalb hatte es sich bald eingebürgert, dass Lane nach EZB-Entscheidungen tagsdrauf auch in einem Blog die Geldpolitik präzisierte.

Die diskreten Telefonate des EZB-Chefvolkswirts mit den Großbanken nähren den Verdacht, dass bestimmte Gruppen von der Notenbank besser informiert werden als andere. Das kann der Notenbank kaum gefallen, zumal es schon einmal einen weitaus peinlicheren Vorfall gab: Im Jahr 2015 verriet der frühere EZB-Direktor Benoît Coeuré Hedgefondsmanagern in London Details zur künftigen Geldpolitik, die noch nicht öffentlich waren. Eine schlimme Panne, die auch dazu beitrug, dass die EZB die Kalendereinträge ihrer Chefetage fortan veröffentlichte.

Das Schicksal meint es nicht gut mit Lagarde, hat sie doch diesen Schlamassel mit zu verantworten. Die ehemalige französische Finanzministerin fremdelt mit der "Sprache der Finanzmärkte". Das hat sie auch nie verschwiegen, gelobte sie doch Europas Bürgern zu ihrem Amtsantritt, sie wolle einfacher kommunizieren. Doch den Börsen reicht das nicht. Kollege Lane macht den Ausputzer.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: