EZB-Führungswechsel:Trichet ist der Favorit

Der Weg an die Spitze der Europäischen Zentralbank scheint für Jean-Claude Trichet geebnet. Die EU-Finanzminister wollen den Franzosen als Nachfolger von Wim Duisenberg vorschlagen.

Der bisherige französischen Notenbankchef Jean-Claude Trichet (60) soll vom 1. November an für acht Jahre lang an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) stehen. Das wollen die EU-Finanzminister am Dienstag in Brüssel empfehlen.

Acht Jahre Amtszeit

Laut einer Protokollerklärung des EU-Vertrages beträgt die Amtszeit für EZB-Direktoriumsmitglieder, also auch den Präsidenten, acht Jahre. Eine informelle Vereinbarung, wonach Trichet wie der derzeitige Präsident Wim Duisenberg (68) vorzeitig aus dem Amt scheidet, gebe es nicht, betonten Diplomaten. Es ist der erste Wechsel an der Spitze der noch jungen europäischen Zentralbank.

Frankreich hatte im Mai 1998 eine informelle Verabredung der EU-Staats- und Regierungschefs durchgesetzt, wonach Duisenberg nicht bis zum Amtsende 2006 bleiben und von einem Franzosen ersetzt werde.

Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten sich bereits im Juni bei ihrem Gipfel in Thessaloniki auf Trichet verständigt. In der nun beginnenden Ernennung Trichets sind auch das Europaparlament und die EZB selbst eingebunden.

Fast hätte der Finanzskandal um die frühere Staatsbank Crédit Lyonnais alle Ambitionen von Jean-Claude Trichet vereitelt, in diesem Herbst die Nachfolge von EZB-Präsident Wim Duisenberg anzutreten. Der 60-jährige Chef der französischen Notenbank brauchte im Prozess um gefälschte Bilanzen und Falschinformationen einen Freispruch, um für den Chefsessel der Europäischen Zentralbank (EZB) empfohlen zu werden.

Praktisch in letzter Minute entschied das Pariser Gericht Mitte Juni zu seinen Gunsten.

In der französischen wie in der europäischen Finanzwelt genießt Trichet hohe Anerkennung. Sein Verdienst, die französische Notenbank vom Einfluss der Politik befreit zu haben und stets die Stabilität der Währung, ob früher beim Franc oder jetzt beim Euro, als oberstes Gebot hochzuhalten, ist allerdings in Frankreich nicht unumstritten.

Musterschüler Trichet

Der Musterschüler eckte mit seinen puristischen Auffassungen immer wieder an, zeigte sich jedoch als Karrierebeamter stets loyal. Als Angehöriger der Führungsschicht Frankreichs hat auch Trichet die Elite-Hochschulen des Landes mit einem Ingenieurstudium sowie die Kaderschmiede ENA mit einem Volkswirtschaftsstudium absolviert.

Als Leiter des Schatzamtes seit dem Jahr 1987 diente er allein fünf Premierministern, ehe er 1993 an die Spitze der Notenbank wechselte. Internationales Format gewann Trichet als Präsident des Pariser Clubs bei Umschuldungsverhandlungen westlicher Banken mit den Staaten der Dritten Welt und des früheren Ostblocks.

Wegen seiner Begeisterung für Literatur und Oper nannte ihn das Magazin L'Express einen der "kultiviertesten Beamten Frankreichs".

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: