Die Europäische Zentralbank (EZB) warnt vor einer möglichen Staatsschuldenkrise in der Euro-Zone. „Die Haushaltsrisiken sind eine Realität, die Finanzmärkte schauen stärker darauf“, sagte EZB-Vizepräsident Luis de Guindos am Mittwoch bei der Vorstellung des Finanzstabilitätsberichts. „Gegenwärtig sind die Anleiherenditen noch normal, aber das niedrige Wachstum ist ein Problem“, sagte de Guindos. Er wies zudem auf die Gefahr hin, dass die hohe US-Staatsverschuldung sich negativ auf die hiesigen Anleihemärkte auswirken könnte. Die Euro-Staaten müssten daher die EU-Haushaltsregeln einhalten und gleichzeitig Investments ermöglichen, um Wachstum zu erzeugen, so de Guindos weiter. Ohne Wachstum würden die Haushaltsprobleme größer werden.
Die Warnung der EZB vor einer nach 2011/2012 erneuten Euro-Staatsschuldenkrise unterstreicht die prekäre Lage, in der sich die globale Wirtschaft befindet. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine, die militärische Auseinandersetzung im Gazastreifen sowie die Spannungen zwischen China und den USA führen zu nationaler Marktabschottung. Der designierte US-Präsident Donald Trump hat die Einführung hoher Zölle auf Einfuhren aus China und der EU bereits angekündigt. Sollte es dazu kommen, dürften auch die EU und China ihre Zollschranken erhöhen. Das vergrößert potenziell zum einen die Inflationsgefahr, zum anderen könnte dieser Protektionismus das Wachstum und die Produktivität schmälern.
Bundesbank-Präsident Joachim Nagel sieht bei einer Zunahme der Spannungen im Welthandel auch die Geldpolitik gefordert. Sollte im Zuge eines stärkeren wirtschaftspolitischen Auseinanderdriftens der Wirtschaftsräume künftig der Inflationsdruck wieder steigen, hätten Notenbanken alle Mittel, um einer solchen Situation zu begegnen. Das sagte Nagel, ohne ausdrücklich das Mittel der Zinserhöhung zu erwähnen. Die EZB hat in diesem Jahr dreimal den Leitzins auf jetzt 3,25 Prozent gesenkt.
Ungeachtet der vielen Risiken für den Welthandel haben die Aktienmärkte zuletzt immer neue Rekordstände erreicht. Und zwar auch in Europa. Die EZB warnt vor möglichen Kurskorrekturen. Hohe Börsenkurse und eine Konzentration von Risiken – vor allem an den Aktienmärkten – würden Finanzmärkte anfälliger machen. Sollten die Gewinnerwartungen von US-Firmen, die vom Boom bei der künstlichen Intelligenz profitieren, nicht erfüllt werden, könne dies an den Aktienmärkten weltweit negative Auswirkungen haben.
Auch die Immobilienmärkte bereiten der EZB Sorge. Während sich die Preise für Wohnimmobilien stabilisieren würden, bleibe der Gewerbeimmobilien-Markt angesichts des E-Commerce und der Home-Office-Arbeit weiter unter Druck, schreibt die EZB. Es bestehe die Gefahr, dass die Verluste aus gewerblichen Immobilienkrediten weiter steigen und für einzelne Banken und Investmentfonds erheblich sein könnten. Weil wegen des Home-Office-Trends weniger Büroflächen gebraucht werden, ist der Markt für diese Immobilien in vielen Ländern seit Längerem angespannt.